Impfen oder nicht impfen – das ist für viele Eltern die zentrale Frage. Eine Studie nimmt Kritikern den Wind aus den Segeln. Wissenschaftler belegen, dass die Mortalität bei Kindern vor allem durch Vakzine gesunken ist. Jetzt suchen Skeptiker vor Gericht ihr Heil.
Eindringliche Worte zum Weltkrebstag: In Deutschland raten Kinderärzte allen Mädchen zwischen neun und 14 Jahren, sich gegen humane Papillomviren (HPV) impfen zu lassen. In der Praxis folgen viele Menschen dieser Empfehlung nicht. Laut Zahlen des Robert Koch-Instituts profitieren nur 29 Prozent aller 15-Jährigen vom vollen Impfschutz. „Ein sehr trauriges Ergebnis“, sagt Professor Dr. Harald zur Hausen angesichts dieser Statistik.
Der Nobelpreisträger war lange Zeit Vorstandsvorsitzender des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) und hat wissenschaftliche Grundlagen zur Entwicklung von HPV-Vakzinen geschaffen. Zur Hausen: „Die Hauptursache dafür ist sicherlich, dass Ärzte, medizinisches Personal und Gesundheitspolitiker, aber auch die Kinder und ihre Lehrer und Eltern nicht genügend über die sehr hohe Wirksamkeit und Sicherheit der HPV-Impfung informiert sind.“ Er kritisiert „die immer wieder beobachtete Ignoranz einiger Mediziner“, aber auch die „Verweigerung der Impfung durch Eltern und Kinder“. Derzeit erkranken pro Jahr 5.000 bis 6.000 Frauen am Zervixkarzinom, und 1.500 bis 2.500 versterben daran. „Man kann also eine einfache Rechnung anstellen, wie es sich später auswirkt, wenn über die Hälfte der Mädchen nicht geimpft sind“, erklärt zur Hausen. Mit seiner Argumentation greift er einen alten, oft zu hörenden Vorwurf von Impfkritikern auf: Die sinkende Mortalität sei nicht auf Vakzine, sondern auf medizinische und technologische Fortschritte zurückzuführen.
Maarten van Wijhe aus Bilthoven versucht, auf Basis von Statistiken mit dem Vorurteil aufzuräumen. Von 1903 bis 1992 verringerte sich die Mortalität bei Kindern exponentiell. Als Halbwertszeit gibt der Wissenschaftler 19 Jahre an. Wie er herausfand, kann man diesen Trend in Teilen sehr wohl mit Impfungen erklären. Van Wijhe zieht die verlorenen Lebensjahre bis zum 20. Geburtstag heran (years of life lost; verlorene Lebensjahre, YLL20). Bis zum ersten Weltkrieg verstarben Kinder aus unterschiedlichen Gründen. Von 3,80 verlorenen Jahren ließen sich statistisch 0,34 Jahre (8,8 Prozent) mit Diphtherie, Keuchhusten, Masern und Tetanus in Zusammenhang bringen. Im Jahr vor der Einführung der Diphtherie-Impfung, sprich 1952, gingen noch 0,01 Jahre durch diese Infektionserkrankungen verloren. Das sind 2,5 Prozent von 0,59 Jahren als Gesamt-YLL20. Mumps, Polio und Rötel führten zu 0,001 Jahren weniger. Für das Jahr 1992 gibt van Wijhe eine Gesamt-YLL20 von 0,16 an. Lediglich 0,0001 Jahre gingen auf das Konto vermeidbarer Infekte. Sein Resümee: Zwischen 1903 und 1992 verstarben rund 9.000 Menschen vor ihrem 20. Lebensjahr durch Kinderkrankheiten, was minus 148.000 Lebensjahren entspricht. Nationale Impfprogramme hätten die Kindersterblichkeit langfristig gesenkt, resümiert der Wissenschaftler im Beitrag.
Kritiker lassen sich von Fakten nicht beirren und ziehen für ihre Meinung auch vor Gericht. Mitte Februar kam es erneut zum Showdown. Dr. Stefan Lanka, seines Zeichens Biologe und ein erklärter Impfgegner, hatte 100.000 Euro im Internet ausgelobt. Wer die Existenz von Masern-Viren beweist, sollte belohnt werden. Diese Chance wollte sich Dr. David Bardens, ein Arzt aus dem Saarland, nicht entgehen lassen. Er recherchierte und schickte Lanka mehrere Arbeiten zur Fragestellung. Doch der Biologe weigerte sich, die Prämie auszuzahlen. Bardens zog vor den Kadi, bekam in erster Instanz Recht, verlor aber aus formalen Gründen in zweiter Instanz. Das Oberlandesgericht Stuttgart sah es als erwiesen an, dass die geforderte „eine Publikation“ nicht als Beweis vorgelegt werden konnte. Doch Lanka ist mit seiner Sichtweise nicht allein.
„Ehrliche Empörung, dass ein seit Jahrzehnten geltender Konsens unter den Wissenschaftlern nun von jemandem angezweifelt wird, kann nun mal nachträglich keine echten Negativ-Kontrollen herbeizaubern“, schreibt Hans Tolzin in einem Kommentar zum Prozess. Über die Homepages impfkritik.de und impf-report.de meldet sich der erklärte Impfgegner regelmäßig zu Wort. Tolzin: „Da diese niemals durchgeführt wurden (das Gegenteil ist zu beweisen), kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Masern eine oder mehrere andere Ursachen haben.“ Um Ebola zu erklären, führt er gleich etliche Gründe zur Erklärung an – es müssen ja nicht nur Viren sein. Auch bei HIV/AIDS fehlen ihm stichhaltige Beweise für den Auslöser. Diagnostizieren Ärzte eine subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE), rät Tolzin, „nachzuprüfen, welche Medikamente die Kinder zuvor erhalten haben“. Seine These: „Betrachtet man die Produktinformationen der symptomunterdrückenden Medikamente wie zum Beispiel Ibuprofen oder Paracetamol, die bei Masernverdacht gerne von vielen Kinderärzten ‚rein vorsorglich‘ verschrieben werden, findet man auch die Beschreibung von Symptomen, die auch als Gehirnentzündung interpretiert werden können.“ Laien schenken diesen Worten nur allzu gerne Glauben. Sie ignorieren Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am RKI. Bleibt abzuwarten, ob die Gesamt-YLL20 wieder ansteigt.