Migränepatienten probieren viel aus, um ihre Beschwerden in den Griff zu bekommen. In den USA hat ein Hersteller Ohrstöpsel auf den Markt gebracht, die den Kopfschmerz lindern sollen. Da ich selbst an Migräne leide, wollte ich die Earplugs testen. Mein Erfahrungsbericht.
Gerade Migräne-Patienten mit häufig wiederkehrenden Beschwerden wünschen sich arzneimittelfreie Alternativen. Auf diesen Zug ist Cirrus Healthcare, eine Firma aus den USA, jetzt aufgesprungen und verkauft Ohrstöpsel, die gegen Migräne wirken soll. Der Hersteller führte vor wenigen Tagen ein Interview mit dem amerikanischen Onlinemagazin MedGadget, in dem er erklärte, wie diese Ohrstöpsel funktionieren sollen.
MigraineX™-Ohrstöpsel (gesehen auf migrainex.net) Ausgangspunkt ist die vermeintlich erhöhte Migräneinzidenz bei Wetterveränderungen. Grant O'Connell von Cirrus Healthcare beschreibt sein Gadget als „druckregulierenden Ohrstöpsel speziell für das Mittelohr“. Per App erfassen User ihre Beschwerden und können diese mit Wetterdaten ihres Standorts abgleichen. Daraus ergeben sich individuelle Werte für Druckänderungen, weit bevor Kopfschmerzen eintreten. Per Push-Nachricht fordert die App dann Patienten auf, ihre Ohrstöpsel einzusetzen.
Mit Behauptungen ist das immer so eine Sache. Cirrus Healthcare nennt auf der Website keine einzige Studie. Auch bei Recherchen über clinicaltrials.gov, PubMed oder Google Scholar wurde ich nicht fündig. Auf der Umverpackung ist von einem „klinischen Test“ die Rede, Details bleiben im Dunkeln. Aus rein wissenschaftlicher Sicht bestehen ohnehin Zweifel am häufig genannten Wetterphänomen. Wissenschaftler des Instituts für Informationssysteme, Hochschule Hof, haben laut einem Bericht im „Ärzteblatt“ Daten von 6.000 Migräne-Patienten ausgewertet. Das ernüchternde Ergebnis: Nur bei rund vier Prozent triggerten Wetteränderungen die Beschwerden.
Professor Dr. Hans-Christoph Diener vom Uniklinikum Essen und von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) hat sich das Gadget ebenfalls angesehen. Er ist Koordinator der DGN-Leitlinie Migräne. „Das Ohr spielt in der Pathophysiologie keine Rolle", so Diener. Migräne bewertet er als „komplexe neurobiologische Erkrankung des Gehirns“. Gleichzeitig verweist der Experte auf methodische Defizite beim Ohrstöpsel: „Für Migraine-X gibt es keine sham-kontrollierten Studien.“ Bei diesem Design werden Interventionen und Scheininterventionen randomisiert miteinander verglichen. Derzeit spielt das Produkt in der evidenzbasierten neurologischen Therapie keine Rolle. Die DGN rät zur Akuttherapie und gegebenenfalls zur Prophylaxe anhand der Leitlinie.
Da auch ich etwa alle vier bis sechs Wochen unter Migräne leide, habe ich selbst die Probe aufs Exempel gemacht. Weder Amazon USA noch der Hersteller schicken das Gadget nach Deutschland. Über einen eBay-Store aus Großbritannien konnte ich MigraineX™ doch noch bekommen. Obwohl die zugehörige App keine charakteristischen Druckschwankungen meldete, bemerkte ich Symptome einer Migräne-Prodromalphase mit typischem Heißhunger auf Süßes. Zu diesem Zeitpunkt wurde der Ohrstöpsel zum Druckausgleich eingesetzt, brachte aber keine Linderung. Am nächsten Morgen traten die typischen Kopfschmerzen auf, wobei die Einnahme von Sumatriptan 50 mg nach einer Stunde die Beschwerden deutlich lindern konnte. Auch im Selbstversuch fallen die Earplugs also durch.