Töten Frauen ihren Säugling direkt nach der Geburt, spricht man von einem Neonatizid. Erstmals konnten in einer Studie Risikofaktoren festgemacht werden: Die betroffenen Frauen verdrängen ihre Schwangerschaft, haben keinen Zugang zu medizinischer Versorgung und oft auch psychische Probleme.
In einer Studie konnte Dr. Claudia Klier, Leiterin der Pädiatrischen Psychosomatik an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der MedUni Wien, gemeinsam mit finnischen Experten erstmals Risikofaktoren von einmaligen und wiederholten Neugeborenentötungen identifizieren. Das überraschende Ergebnis: Die 28 untersuchten Fälle von Neonatiziden unterscheiden sich nur in einzelnen soziodemographischen Variablen, wie dem Alter der Frau, der Gesamtzahl an Kindern sowie des Ausbildungsstatus und der Lebenssituation. Die wichtigste Gemeinsamkeit ist hingegen, dass die Negierung der Schwangerschaft durch die betroffenen Frauen und ihr soziales Umfeld den größten Risikofaktor darstellt.
„Generell konnte gezeigt werden, dass wiederholte Neonatizide nicht so selten sind, wie angenommen. Im Zeitraum von 1995-2005 war überraschenderweise jeder dritte getötete Säugling auf einen vorher noch nicht entdeckten Wiederholungsfall zurückzuführen“, sagt Dr. Klier.
Wie definiert man Neonatizid – und wie kommt es dazu?
Neonatizid ist die Tötung eines Kindes in den ersten 24 Stunden nach der Geburt. Der Tötung geht oft ein monatelanger Prozess von Negierung voraus. Die Frau kann aufgrund verschiedener Traumata und/oder einer Persönlichkeitsstörung die Schwangerschaft nicht wahrhaben, negiert sie, und ihr soziales Umfeld hat – unabhängig von der Lebenssituation – häufig keine Kenntnis der Schwangerschaft. Eine Auseinandersetzung mit der ungewollten Schwangerschaft findet folglich nicht statt.
Dr. Klier weiß: „Auch das Wort Schwangerschaft wird nicht benutzt. Die Frau erklärt bei Nachfragen die Gewichtszunahme durch zu viel Essen, Blähungen und andere Gründe, wodurch also eine Uminterpretation der Symptome stattfindet. Die Frauen haben keinen Kontakt zum Gesundheitssystem, die Geburt, von der die Frauen meist überrascht werden, erfolgt unassistiert und heimlich, was ein hohes Risiko für die Gebärende und das Kind birgt. Denn das Neugeborene wird entweder nicht versorgt oder aktiv getötet, da es in dieser Situation zu Panik und dissoziativen Zuständen bei der Gebärenden kommen kann.“
Prävention ist möglich
In Österreich ist die Zahl der Neugeborenentötungen stark rückläufig. Waren zwischen 1991 und 2001 noch rund sieben von 100.000 Neugeborenen betroffen, so sind es heutzutage nur mehr drei Kinder pro Jahr. Österreich liegt damit inzwischen im europäischen Mittelfeld, die skandinavischen Länder haben jedoch deutlich niedrigere Zahlen. Zurückzuführen ist diese erfreuliche Entwicklung auf die Einführung der „Anonymen Geburt“ in Österreich im Jahr 2002.
„Die anonyme Geburt und Schwangerschaftsbegleitung ist ein sehr effektives Mittel, um diesen Frauen in ihrer schwierigen Situation zu helfen und sie vor, während und nach der Geburt medizinisch und psychosozial zu betreuen“, sagt Dr. Klier. Die anonyme Geburt ist an allen Abteilungen für Geburtshilfe in Österreich und einigen anderen europäischen Staaten möglich.
Das Forschungsteam hat eine Webpage mit allen wichtigen Informationen zum Thema für Betroffene, Fachleute und für die Teilnahme an laufenden Forschungsprojekten erarbeitet, abrufbar unter: http://anonymegeburt.at/anogeb-eur-map/ .
Quelle: Pressemitteilung der Medizinischen Universität Wien
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