Üblicherweise werden die Rezeptorbindungsprofile von Neuroleptika im Kreisdiagramm dargestellt. Die Wirkungen und Nebenwirkungen muss man dann meist in einer zweiten Tabelle nachlesen. Ich habe deshalb beide Informationen in einer Grafik zusammengefasst. Was sagt ihr dazu?
Ich habe auf dem diesjährigen DGPPN-Kongress zum wiederholten Male den Workshop „Psychopharmakologie-Update“ besucht. Besonders gut haben mir in diesem Jahr die neuen Darstellungen der Rezeptorbindungsprofile der gängigen Neuroleptika gefallen. Die Grafik hat Prof. Dr. Christoph Hiemke von der Uni Mainz entworfen. Wr hat mir erlaubt, diese Darstellung hier wiederzugeben, vielen Dank dafür. Er stellt die Rezeptorbindungsprofile folgendermaßen dar:
Auf dem Bild stellt jeder senkrechte Strich ein Neuroleptikum dar. Von links nach rechts: Hal = Haloperidol, Ami = Amisulprid, Ris = Risperidon, Zip = Ziprasidon, Ari = Aripiprazol, Cpz = Clorpromazin, Clo = Clozapin, Ola = Olanzapin, Que = Quetiapin.
Die waagerechten Balken geben an, wie stark das Medikament den links aufgeführten Rezeptor blockiert. Wenn Haloperidol also einen schmalen Balken in der ersten Zeile bei D1 hat und einen breiten bei D2, dann bedeutet das, dass Haloperidol den Dopamin-D1 Rezeptor etwas und den Dopamin-D2 Rezeptor stark blockiert.
Die lilafarbenen Blöcke stehen für die Dopaminrezeptoren D1-D4. Die grünen Blöcke stehen für die Serotoninrezeptoren 5HT-7, wobei der erste Block für einen 5HT1A-Partialagonismus steht. Alpha1 und Alpha2 sind die Alpha 1 und Alpha 2-Adrenorezeptoren. Es folgen der H1 = Histamin-H1 und die M1/M3 = muskarinischen Acetylcholinrezeptoren. DAT ist der Dopamin-Transporter, NAT der Noradrenalin-Transporter und SERT der Serotonin-Transporter.
Üblicherweise stellt man die Rezeptorbindungsprofile so dar, wie in dem oben wiedergegebenen Kreisdiagramm zu Risperidon. Diese Abbildung ist aus meinem Buch „Psychopharmakotherapie griffberei“ (Dritte Auflage) entnommen. Die Darstellung ist übersichtlich, aber interpretationsbedürftig.
Wie interpretiere ich das Rezeptorprofil eines Neuroleptikums?
Ich hatte in diesem Post schon einmal die wesentlichen Wirkungen der Blockade (oder partiellen Aktivierung) bestimmter Rezeptoren dargestellt.
Die Darstellung á la Hiemke gefällt mir besonders gut, da ich mir das Medikament in dieser Darstellung wie einen Schlüssel vorstelle. Die Balken darauf entsprechen den Zacken des Bartes des Schlüssels. Man hat ja immer die Analogie im Kopf, dass sich ein Wirkstoff zum Rezeptor wie ein Schlüssel zum Schloss verhält. Das stimmt auch für die primären Wirkstoffe wie Dopamin oder Serotonin. Wobei man im Kopf behalten muss, dass diese Wirkstoffe die Rezeptoren aktivieren, die Medikamente die Rezeptoren aber in der Regel blockieren. Ausnahmen stellen Medikamente wie Aripiprazol dar, die überwiegend Rezeptoren blockieren, einige wenige Rezeptoren aber partiell aktivieren.
Neuer Ansatz: Rezeptoraktivität und deren Wirkungen in einem Schaubild
Nun habe ich mir überlegt, dass es etwas mühsam ist, die Rezeptoraktivität in einem Diagramm darzustellen und die Wirkung, also die erwünschten Wirkungen und die unerwünschten Wirkungen dieser Aktivität am Rezeptor, in einer zweiten Tabelle nachzulesen. Daher habe ich in meiner neuen Darstellung die jeweilige Rezeptoraktivität mit der erklärenden Tabelle überlagert. Die Darstellungen sind so zu lesen, dass die Länge des farbigen Balkens die Aktivität des jeweiligen Medikamentes an diesem Rezeptor wiedergibt. Wenn ein Medikament einen bestimmten Rezeptor gar nicht blockiert, dann ist der Text daneben entsprechend ausgegraut.
Haloperidol
Haloperidol ist der Klassiker eines typischen Neuroleptikums. Es blockiert die Dopamin-D2-Rezeptoren stark, was zu einer sicheren antipsychotischen Wirkung, aber in höheren Dosierungen auch zu extrapyramidalmotorischem System (EPMS) und Hyperprolaktinämie führt. Ein Teil der vegetativen Nebenwirkungen und ein Teil der Sedierung sind auf die Blockade der Alpha-1-Adrenozeptoren zurückzuführen.
Amisulprid
Amisulprid ist ein lupenreiner Dopamin-Rezeptor-Antagonist. Das erklärt seine gute antipsychotische Wirkung. In höheren Dosierungen verursacht es EPMS und Hyperprolaktinämie. Es hat praktisch keine sedierenden oder anderen vegetativen Nebenwirkungen, was der Abwesenheit von Rezeptorblockaden anderer Rezeptoren entspricht.
Risperidon
Risperidon blockiert zum einen wie ein typisches Neuroleptikum in relevantem Ausmaß die Dopamin-D2-Rezeptoren und blockiert zum anderen wie viele atypische Neuroleptika den Serotonin-5HT2A-Rezeptor. Es verursacht nur in geringem Maße Gewichtszunahme und Müdigkeit, entsprechend seiner nur geringen, aber vorhandenen Aktivität am Histamin-H1-Rezeptor.
Ziprasidon
Ziprasidon entspricht ganz dem Profil eines atypischen Neuroleptikums. Es blockiert zwar auch den D2-Rezeptor, hat seinen Schwerpunkt aber eher auf 5HT2A. Interessant ist die Noradrenalin- und Serotonin-Wiederaufnahmehemmung, die eine milde antidepressive und angstlösende Wirkung plausibel macht.
Apripiprazol
Diese Darstellung ist für Aripiprazol eigentlich ungeeignet, da Aripiprazol am Dopamin-D2-Rezeptor sowohl antagonistische Wirkungen hat (das ist auch dargestellt), als auch partiell agonistisch am Dopamin-D2-Rezeptor wirkt (das ist hier nicht dargestellt). Diese partialagonistische Wirkung an D2 relativiert einige der Nebenwirkungen und natürlich auch einige der Wirkungen des Medikamentes an diesem Rezeptor. Und das auch noch dosisabhängig. Okay, die Darstellung ist natürlich eine Vereinfachung. Im übrigen zeigt sich das Profil eines atypischen Neuroleptikums mit milden Nebenwirkungen.
Chlorpromazin
Chlorpromazin wird in Deutschland praktisch nicht mehr verordnet. Es ist ein mittelpotentes Neuroleptikum mit eher sedierenden Eigenschaften. Ein Nischendasein führt es noch in der Behandlung des chronischen Schluckaufs.
Clozapin
Clozapin ist zwar ein Oldtimer, hat aber ein ganz spezielles Rezeptorbindungsprofil. Der hohe Anteil der Dopamin-D4-Blockade wird allgemein mit seiner guten antipsychotischen Wirkung bei wenig EPMS in Verbindung gebracht. Und D2-Rezeptoren läßt Clozapin ja ziemlich in Ruhe. Sieht man sich aber den unteren Teil der Grafik an, weiß man auch, warum es so ausgeprägte Nebenwirkungen verursacht. Insbesondere Müdigkeit und Gewichtszunahme (H1) wirken sich klinisch stark aus. Der erhöhte Speichelfluß unter Clozapin ist ursächlich auf eine reduzierte Schluckfähigkeit zurückzuführen. Die durch die Blockade des Acetylcholin-M1-Rezeptors verursachte Mundtrockenheit wiegt die Schluckstörung nicht auf.
Olanzapin
Olanzapin hat aus der Sicht des Rezeptorbindungsprofils viel Ähnlichkeit mit Clozapin. Interessant ist auch hier, dass D4-Rezeptoren fast so stark blockiert werden wie D2-Rezeptoren, was für eine gute antipsychotische Wirkung bei wenig EPMS spricht. Allerdings blockiert Olanzapin eben auch stark den Histamin-H1-Rezeptor, was die Sedierung und Gewichtszunahme erklärt.
Quetiapin
Quetiapin wurde lange als neuroleptisches Wundermittel vermarktet. Der Blick auf das Rezeptorbindungsprofil zeigt ein solides mittelpotentes Neuroleptikum mit einer recht ausgeprägten Sedierung (Alpha1, H1, M1, M3) und einer milden antipsychotischen Wirkung (D2, 5HT2A).
Ich selbst bin ein großer Freund davon, das Rezeptorbindungsverhaltens der Medikamente zu studieren. In meinen Augen entsprechen die neuroleptische Wirkstärke, das typische/atypische Wirkprofil und auch die Nebenwirkungen, die man in der Praxis beobachtet, ziemlich genau diesen Profilen.
Nun bitte ich euch um euer Feedback!
Ihr dürft die Darstellung gerne unter Nennung der Quelle weiterverwenden und auch weiter verbessern. Dann schickt mir doch gerne einen Link zu eurer Darstellung. Ich bin gespannt auf Kommentare!