Verloren gegangene Stoppsignale bei der Proteinproduktion führen zu langen Lysinketten am Proteinende, was das Ribosom verstopft. Gesunde Zellen erkennen blockierte Ribosome und bauen nutzlose Proteine ab. Funktioniert diese Kontrolle nicht, verklumpen Proteine zu toxischen Aggregaten.
Um neurodegenerative Krankheiten in Zukunft behandeln zu können, untersucht Forscher Ulrich Hartl zusammen mit seinem Team vom Max-Planck-Institut für Biochemie seit vielen Jahren die zellulären Ursachen für das Sterben von Nervenzellen. Als eine entscheidende Ursache gelten Proteinverklumpungen. „Wir konnten zeigen, dass die Bildung von Aggregaten begünstigt wird, wenn es Fehler in der Proteinbauanleitung gibt und diese durch die interne Qualitätskontrolle nicht erkannt werden“, erklärt Erstautor Young-Jun Choe.
„Die DNA kann man sich wie eine riesige Bibliothek an Proteinbauanleitungen vorstellen, die sich im Zellkern befinden. Für die Herstellung eines Proteins wird zunächst eine Kopie der Anleitung hergestellt, die mRNA. Diese wird dann aus dem Zellkern an die Ribosomen geleitet, die aus Aminosäuren das Protein aufbauen“, so Choe. Die mRNA enthält ein Startsignal, die Information des Proteinaufbaus, ein Stoppsignal und am Ende einen Poly-A-Schwanz. Wird der Bauplan beschädigt, beispielsweise durch die Einwirkung von Strahlung oder erbgutverändernden Substanzen, kann es zum Verlust dieses Stoppsignals kommen. Dann kann bei der Proteinherstellung in den Ribosomen das fertige Protein nicht freigesetzt werden. Stattdessen wird der Poly-A-Schwanz als Bauanleitung interpretiert, wodurch zusätzlich Aminosäuren anhängt werden. Die dadurch positiv geladene Lysinkette blockiert die Proteinfabrik und die Herstellung kommt zum Erliegen. In gesunden Zellen gibt es bei der Proteinherstellung eine sehr effiziente Qualitätskontrolle. Fehlgefaltete und nutzlose Proteine werden markiert, repariert oder zügig abgebaut. Ein wichtiger Bestandteil der Qualitätskontrolle ist Ltn1p. „Ist Ltn1p in krankhaft veränderten Zellen nicht aktiv oder fehlen andere Bestandteile der Qualitätskontrolle, reichern sich fehlerhafte Proteine im Zellinneren an, sie verklumpen“, sagt Sae-Hun Park. Welche fatalen Folgen das Versagen der Qualitätskontrolle haben kann, konnte bereits im Mausmodell gezeigt werden. Tiere mit einer entsprechenden Mutation zeigen Symptome von fortschreitender Neurodegeneration und eingeschränkter Bewegungsfähigkeit.
Entstandene Proteinaggregate haben klebrige Eigenschaften und wirken wie ein Kristallisationskeim. Sie binden schließlich auch fehlerfrei funktionierende und für die Zelle lebensnotwendige Proteine an sich. Dies hat zur Folge, dass die Zelle aus dem Gleichgewicht gerät und auf lange Sicht Schaden erleidet. „Interessanterweise scheint die Zelle dabei einem bereits bekannten Muster zu folgen“, sagt Hartl. „Dass die Proteinaggregate auch essenzielle, fehlerfreie Proteine an sich binden, kennen wir bereits aus früheren Studien mit dem Protein Huntingtin. Dieses Protein verklumpt von selbst und ist im Menschen für die Entstehung der neurodegenerativen Krankheit Chorea Huntington verantwortlich.“ „Mit unseren Ergebnissen zeigen wir nicht nur einen möglichen Mechanismus zur Entstehung von neurodegenerativen Krankheiten auf, sondern haben zudem ein weiteres Beispiel dafür gefunden, auf welche Weise Proteine zu Aggregaten verklumpen und der Zelle schaden können. Dies bestätigt uns in unserer Vermutung, dass die Unterdrückung des Aggregationsprozesses ein vielversprechender Therapieansatz für eine Vielzahl von heute noch unheilbaren neurodegenerativen Krankheiten darstellt“, fasst Hartl zusammen. Originalpublikation: Failure of RQC machinery causes protein aggregation and proteotoxic stress. Young-Jun Choe et al.; Nature, doi:10.1038/nature16973; 2016