Gerade in Notfallsituationen ist es wichtig, dass man Bedenken oder Ideen, wie man den Kurs korrigieren kann, klar und eindeutig vorträgt. Unter den Experten für Fehlervermeidung nennt man das „Vetokompetenz“. Wie geht das am besten?
Als Psychiater hat man ja zum Glück nicht so oft mit Reanimationen zu tun. Aber so ein bis zwei Mal pro Jahr dann doch. Normalerweise läuft ja alles ungefähr so, wie man es in den Megacode-Trainings lernt. Und als Psychiater muss man eigentlich auch nur die fünf Minuten, bis der Notarzt kommt, überbrücken. Aber auch diese fünf Minuten können sehr lang werden.
Vor einigen Jahren kam ich – ich war damals Oberarzt – zu einer Reanimation dazu, die schon von einer anderen Oberärztin begonnen worden war. Zwei Pflegekräfte führten bereits die Herzdruckmassage durch und die Oberärztin versuchte, den Patienten zu intubieren. Aus welchem Grund auch immer: Genau das gelang ihr über einen quälend langen Zeitraum nicht. Der Patient war schon blau im Gesicht, und der Tubus wollte und wollte einfach nicht seinen Weg in die Luftröhre finden.
Vielleicht geht’s mit dem Larynxtubus besser?
Nun sind Psychiater beim Intubieren typischerweise auch nicht so gut in Übung, weil das ja so selten vorkommt. Daher hatten wir neben den normalen Schnorcheln auch sogenannte Larynxtuben im Notfallkoffer. Die sind viel einfacher zu setzen und tun für die Reanimation genau so gute Dienste. Nachdem ich mich eine kurze Zeit bei der Reanimation ein wenig nützlich gemacht hatte, war mir zunehmend klar, dass die Intubation einfach nicht klappte und ein Larynxtubus vielleicht rasch die Lösung bringen würde.
Auf meine höfliche Art sagte ich also so etwas wie: „Verzeihung Frau Dr. X, vielleicht ginge es mit einem Larynxtubus besser.“
Woraufhin mir Frau Dr. X antwortete: „Ich kann viel besser mit dem normalen Tubus intubieren und das mache ich jetzt gerade mal hier fertig!“
Daraufhin schaute ich betreten zu, wie der Patient immer blauer und blauer wurde, aber der Tubus sich einfach nicht legen lassen wollte. Ich versuchte es noch einmal höflich mit: „Soll ich mal versuchen?“
Ich bekam ein energisches „Ich bin jahrelang Notarzt gefahren, ich kann intubieren“ zurück. Wusste ich Bescheid. Der Tubus lag immer noch nicht.
Zum Glück kam dann Notarzt, der schon zu Beginn herbeigerufen worden war. Er übernahm, legte innerhalb von gefühlten drei Sekunden den Tubus und die Reanimation gelang letztendlich.
Zu viel Höflichkeit zahlt sich nicht immer aus
Dies ist ein gutes Beispiel für eine schlechte Vetokompetenz meinerseits. Ich habe den Begriff der Vetokompetenz in dem wirklich sehr guten Script „Faktor Mensch“ gelesen und sogleich dankbar in meinen aktiven Wortschatz übernommen. Vetokompetenz bedeutet, dass es nicht reicht, mit fiepsiger Stimme irgendetwas vor sich hin zu nuscheln, und dann innerlich beruhigt zu sein, dass man es ja gesagt hat. Man muss schon sicherstellen, dass das Gesagte beim Angesprochenen auch ankommt und verarbeitet wird. Mein Freund Stefan hat in unserem PsychCast über die Human Factors zum Thema Kommunikation im Cockpit das gleiche Konzept beschrieben.
Vetokompetenz: So geht’s!
Ein ordentlichen Einspruch hat diese Komponenten:
Das würde in meinem Beispiel etwa so geklungen haben:
Diese Formulierung führt dazu, dass der Angesprochene gar nicht anders kann, als sich aktiv mit dem Vorschlag auseinanderzusetzen. Und wenn er nicht reagiert, muss man ihn halt so lange weiter zu einer Reaktion auffordern, bis er etwas sagt. Er muss den Vorschlag natürlich nicht annehmen, aber dann könnte er seine Ablehnung ganz gerne auch kurz begründen. Ein so vorgetragener Einspruch ist viel wirksamer.
Also: Übt euch bei der nächsten Gelegenheit in der Kunst des wirksamen Einspruchs!