Es zeichnet sich immer wieder der Gedanke in den Kommentaren auf meinem Blog ab, Antidepressiva seien letztlich Drogen, da sie – ebenso wie Kokain – eine Wirkung auf den Serotonin- teilweise auch auf den Dopaminstoffwechsel hätten.
Tasächlich sind Antidepressiva keine Drogen und wirken auch nicht wie Drogen. Der Unterschied ist pharmakologisch eindeutig, und ich möchte ihn hier und jetzt gerne mal erklären.
Was macht eine Droge aus?
Einige der klassischen Drogen wie Heroin, Kokain, Amphetamine oder Nikotin aktivieren alle das mesolimbische Belohnungssystem, entweder über eine dopaminerge Wirkung oder über die ebenfalls am Belohnungssystem aktive Opiatwirkung. Je schneller und stärker diese Aktivierung ist, desto größer ist der subjektiv erlebte Kick und desto stärker ist das Abhängigkeitspotential.
Heroin, Kokain und Nikotin wirken jeweils wenige Sekunden nach ihrer jeweiligen typischen Applikationsform mit einer extrem starken Aktivierung des Belohnungssystems.
Übrigens wirken auch die alltäglicheren Suchtmittel wie Alkohol, Kaffee oder Tee, indem sie das mesolimbische Belohnungssystem aktivieren. Wobei Koffein wegen der langsamen Anflutung kein verstärktes Suchtpotenzial hat.
Das Wirkprinzip von Kokain
Kokain ist ein Wiederaufnahmehemmer von Dopamin, Noradrenalin und Serotonin. Seine Hauptwirkung ist allerdings mit weitem Abstand die Wiederaufnahmehemmung von Dopamin. Und diese setzt nicht irgendwo im Gehirn an, sondern insbesondere im Belohnungssystem. Und zwar nicht zeitverzögert und milde, sondern sofort nach der Aufnahme und in extrem hohem Ausmaß. Direkt nach Aufnahme des Kokains steigt die Dopaminkonzentration im synaptischen Spalt an den Synapsen des mesolimbischen dopaminergen Belohnungssystems auf das tausendfache oder mehr, relativ zum Normalzustand, an.
Zum Vergleich: Ein Orgasmus läßt die Dopaminkonzentration im Belohnungssystem etwa auf das zehnfache ansteigen. Dieser sofortige und extreme Anstieg der Dopaminkonzentration im Belohnungssystem nach Aufnahme des Kokains ist das, was süchtig macht.
Darüber hinaus wirkt es auch auf Noradrenalin und Serotonin im Sinne eines Wiederaufnahmehemmers. Dieser Bestandteil des Wirkprinzips steht aber eher im Hintergrund und hat weit weniger mit der Suchtpotenz des Kokains zu tun.
Das Wirkprinzip der Amphetamine
Amphetamine werden über einen aktiven Transporter in die präsynaptische Zelle aufgenommen. Dort bewirken sie eine Freisetzung von Noradrenalin und Dopamin etwa im Verhältnis 3,5 Einheiten Noradrenalin zu einer Einheit Dopamin. Anders als beim Kokain oder den Antidepressiva geschieht diese Freisetzung auch ohne einen Signalimpuls der präsynaptischen Zelle.
Das Ergebnis bei einer entsprechenden Menge Amphetaminen ist ebenso wie beim Kokain eine sofort extrem erhöhte Noradrenalin- und Dopaminkonzentration im synaptische Spalt an den Synapsen des mesolimbischen dopaminergen Belohnungssystems. Das macht wach und süchtig.
In einigen Ländern wie beispielsweise in den USA wird Amphetamin auch zur Behandlung von ADHS eingesetzt. Unter anderem wegen seines hohen Suchpotentials ist dies in Deutschland heute aber unüblich.
Etwas anders ist die Lage bei Methylphenidat
Methylphenidat gehört als chemische Abwandlung von Aphetamin ebenfalls zu den Phenethylaminen. Häufig zu Behandlung von ADHS eingesetzt, ist es pharmakologisch gesehen auch ein Dopamin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer. Allerdings hat es eine andere Kinetik als die Amphetamine. Nach Einnahme einer Tablette Methylphenidat kommt es zu keinem plötzlichen Anstieg der Dopaminkonzentration, sondern nur sehr verzögert und langsam; die Patienten beschreiben daher auch kein High-Gefühl nach der Einnahme. Dies gilt natürlich noch mehr für das üblicherweise in der Therapie bevorzugte eingesetzte retardierte Methylphenidat, das eine noch langsamere Kinetik hat.
Opiate
Die als Heroinersatzstoffe oder als Opiatschmerzmittel eingesetzten Opioide wie Methadon, Levomethadon, Morphinund Fentanyaktivieren das Opiat-gebundene Belohnungssystem und können bei längerer Einnahme natürlich – auch bei medizinischer Verordnung – abhängig machen. Allerdings fluten alle hier genannten Substanzen nicht schnell an und lösen daher bei niedrigen Dosen, im Gegensatz beispielsweise zu Heroin, keinen Kick aus. Dosiert man die Opioide allerdings entsprechend oder inhaliert sie gar, lässt sich sehr wohl auch ein Kick herbeiführen.
Im klinischen Gebrauch werden sie gegen Schmerzen eingesetzt, reduzieren oder verhindern Entzugssymptome etwa im Opiatentzug und führen insgesamt zu einer ruhigeren Stimmung.
Die Wirkung der Benzodiazepine
Benzodiazepine wirken nicht am Belohnungssystem. Aber sie reduzieren stark die Angst und wirken beruhigend. Das ist bei Benzodiazepinen der Grund, warum schnell eine körperliche und noch stärker psychische Abhängigkeit entstehen kann.
Das Wirkprinzip der Antidepressiva
Antidepressiva erhöhen die Konzentration von Serotonin und bei manchen Antidepressiva auch Noradrenalin im synaptischen Spalt. Für diese beiden Substanzen interessiert sich das Belohnungssystem nicht die Bohne.
Es gibt einzelne Antidepressiva wie Venlafaxin und Seroxat, die in sehr hohen Dosierungen als unerwünschte Wirkung auch eine sehr geringe Dopaminwiederaufnahmehemmung bewirken. Diese tritt aber sehr verzögert auf und ist in ihrem Ausmaß so gering, dass sie klinisch nicht zu irgendeiner spezifischen Wirkung führt. Auch diese beiden Antidepressiva machen keine sofortige Stimmungsaufhellung. Auch bei ihnen dauert es zwei bis sechs Wochen, bis eine stimmungsnormalisierende Wirkung auftritt. Daher machen sie auch nicht süchtig.
Fazit
Wenn ich als Psychiater mit allen mir zur Verfügung stehenden Substanzen neben einem Dealer am Hauptbahnhof einer beliebigen Großstadt stünde, würde sich niemand für mich interessieren. Der Grund ist ganz einfach: Die Stoffe, die ein Drogendealer vertickt, lösen einen schnellen Kick aus, machen high. Keine Substanz, die in der Psychopharmakotherapie verwendet wird, macht high.
Solange sich ein Dealer neben mir befände, könnte ich mit meinem gesamten Tablettensortiment keinen Blumentopf gewinnen.
Würde der hypothetische Dealer verschwinden, hätte ich zwei Substanzgruppen im Angebot, die zumindest geeignet sind, Entzugssymptome zu lindern, nämlich die Opiate wie Methadon oder Morphin und die Benzodiazepine. Zwar geben diese keinen Kick, aber die Linderung von Entzugssymptomen wäre dem einen oder anderen schon ein paar Euro wert. Allerdings könnte ich diese Substanzen bei geeigneter Indikation, passenden Rahmenbedingungen und einem umschriebenen Zeitraum auch als Krankenkassenleistung im Rahmen einer ganz normalen Therapie auf Rezept verabreichen.
Methylphenidat nimmt insofern eine Sonderrolle ein, als das es das mesolimbische dopaminerge System aktiviert und aus pharmakologischer Sicht damit eines von zwei Kriterien für einen potentiellen Suchtstoff erfüllt; aufgrund seiner sehr langsamen Anflutung verursacht es aber keinen richtigen Kick; und würde am Hauptbahnhof allerhöchstens als eher unbeliebtes „Ersatzspeed“ oder Lerndroge Beachtung finden und spielt daher praktisch keine Rolle.