Manchmal drückt eine bestimmte Medikation eher die Ratlosigkeit der Behandler als eine klare Therapiestrategie oder eine symptomgeleitete und in der Wirkung geprüfte Behandlung aus. In solchen Fällen ist die Disziplin gefragt, jedes einzelne Medikament zu hinterfragen und gegebenenfalls abzusetzen.
Der Besuch des DGPPN-Kongresses lohnt sich eigentlich immer, schon wegen der vielen Kleinigkeiten, die man so aufgreift.
Eine Schweizer Ärztin hat über die häufig zu beobachtende merkwürdige Medikation von Borderline-Patienten gesprochen.
Es gibt Patienten, die einen hohen Leidensdruck haben, der aber von einer bestimmten Medikation nicht besser wird. Das führt oft dazu, dass ein einmal ausprobiertes Medikament nicht abgesetzt wird, weil man unsicher ist, ob es dem Patienten ohne dieses Medikament nicht noch schlechter gehen würde, als mit dem Medikament, und stattdessen eher ein weiteres Medikament angesetzt wird. Nach einer längeren Behandlung, am besten durch viele verschiedene Ärzte, sieht die Medikation oft so ähnlich wie diese:
Oder andere Medikamente dieser Wirkstoffgruppen. Also praktisch aus jeder in der Psychiatrie verfügbaren Medikamentengruppe ein bis mehrere Substanzen. Gegen was da was helfen soll – oder gar wirklich hilft – kann man bei so einer Kombination nicht mehr feststellen. Und die Diagnose oder eine erkennbare Therapierichtung spiegeln sich hier auch nicht gerade wieder ... Ich denke schon, dass auch bei der Borderline-Erkrankung in bestimmten Phasen bestimmte Medikamente sinnvoll sein können. Besteht gegenwärtig eine depressive Phase, ist ein Antidepressivum sinnvoll. Ein niedrig dosiertes SSRI kann auch außerhalb einer depressiven Phase etwas zur Stabilität beitragen. Und auch ein niedrig dosiertes Sedativum bei Bedarf kann hilfreich sein.
Wenn aber praktisch alle zur Verfügung stehenden Wirkstoffgruppen nach dem Gießkannenprinzip zusammen eingesetzt werden, ist das nicht länger der Ausdruck einer Therapiestrategie. Diese Medikation hat die Schweizerin „Medikation gewordene Ratlosigkeit“ genannt. Besser kann man es nicht beschreiben.
Wenn man sieht, dass ein Patient eine solche Medikation erhält, ist es erforderlich, sich in Ruhe mit dem Patienten hinzusetzen und jedes einzelne Medikament zu prüfen. Seit wann erhält er es? Gegen was wurde es ursprünglich eingesetzt? Hat es in dieser Hinsicht geholfen oder nicht? Soll man es belassen oder einen Absetzversuch machen?
Bei mehreren Medikamenten mit unklarer Indikation muss man Absetzversuche natürlich schrittweise durchführen, eines nach dem anderen. Dann muss man einige Tage warten, um zu sehen, ob sich die Symptomatik ändert. Bei ausbleibender Verschlechterung kann man dann das nächste Medikament absetzen.
Ich selbst reduziere bei fraglicher Indikation die Neuroleptika immer besonders konsequent. Aber auch Antiepileptika und Sedativa müssen bei fehlender Indikation abgesetzt werden.
Am Schluss kann man oft die Hälfte der Medikamente absetzen, ohne dass es dem Patienten schlechter geht. Aber er hat nur noch halb so viele Nebenwirkungen und weitaus weniger Interaktionen. In aller Regel geht es ihm deutlich besser nach so einem gründlichen Ausmisten nicht erforderlicher Medikamente.