Im Gehirn sorgen aktivierende und dämpfende Neurotransmitter als Gegenspieler dafür, dass eine bestimmte Signalstärken-Bandbreite nicht überschritten wird. Bei epileptischen Anfällen gewinnt die Überaktivierung die Oberhand. Ein Gen für ein Sensorprotein dient als Schutzschild.
Werden Nervenzellen überstark erregt, gehen sie häufig zugrunde. Dies beobachten Mediziner oft als Folge eines epileptischen Anfalls. Eine Ursache solch übersteigerter Aktivierung ist häufig eine zu starke Ausschüttung des Botenstoffs Glutamat. „Dieser Neurotransmitter kann Signalwege anschalten, die auf Nervenzellen toxisch wirken“, sagt Prof. Dr. Schoch McGovern von der Klinik für Epileptologie des Universitätsklinikums Bonn. Allerdings versuchen die Gehirnzellen, sich davor zu schützen und einer gefährlichen Übererregung vorzubeugen.
Welche Art von „molekularen Bodyguards“ hier aktiv werden, ist noch nicht genau geklärt. Es ist jedoch bekannt, dass Transkriptionsfaktoren für den Selbstschutz von Nervenzellen eine wichtige Rolle spielen. Diese Faktoren schalten bestimmte Gene an, die dann über Signalketten zur Produktion von Schutzstoffen führen. Letztere wirken der gefährlichen Glutamat-Übererregung effektiv entgegen. Ein Forscherteam um Schoch McGovern konnte zeigen, dass ein Gen für das Sensorprotein Synaptotagmin 10 (Syt10) einen solchen Schutzschild darstellt. Erleiden zum Beispiel Ratten einen epileptischen Anfall, so steigt die Menge an Syt10 in der Hirnregion des Hippocampus deutlich an. Die Wissenschaftler verwendeten Nervenzellen der Maus, in denen das Gen für Syt10 ausgeschaltet war, und versetzten diese durch eine dem Glutamat sehr ähnliche Substanz in starke Erregung. Daraufhin starben vermehrt Nervenzellen ab.
Das Team hat nun herausgefunden, welcher Transkriptionsfaktor das Gen für Syt10 anschalten kann. Der für die Leibgarde des Gehirns so wichtige Modulator heißt NPAS4. Die Wissenschaftler kultivierten Nervenzellen von Nagetieren und fügten verschiedene Transkriptionsfaktoren hinzu. NPAS4 aktivierte das Gen für Syt10 und benötigte Syt10, um seine protektive Wirkung zu entfalten. „NPAS4 übernimmt offensichtlich die Rolle eines Vermittlers, der über weitere Signalketten die Produktion von Schutzstoffen für die Nervenzellen anstößt“, so Schoch McGovern. Um welche schützenden Substanzen es sich dabei genau handelt, haben die Forscher noch nicht herausgefunden. „Der insulinähnliche Wachstumsfaktor IGF-1, der im Fokus stand, reicht alleine jedenfalls nicht aus“, berichtet die Neurobiologin. Derzeit prüfen die Wissenschaftler eine Vielzahl von Substanzen. Sind diese molekularen Bodyguards im Gehirn aber erst einmal gefunden, eröffnen sich möglicherweise – zum Beispiel für Schlaganfall- und Epilepsiepatienten – neue Ansatzpunkte für Therapien. „Ziel ist es, solch schützende Substanzen künstlich verabreichen zu können, um ein Zugrundegehen der Nervenzellen im Gehirn zu verhindern“, sagt Prof. Dr. Albert Becker, der als Mediziner an der Studie beteiligt ist. Doch bis dahin sei es noch ein weiter Weg. Originalpublikation: Identification of Synaptotagmin 10 as Effector of NPAS4-Mediated Protection from Excitotoxic Neurodegeneration Anne M. H. Woitecki et al.; The Journal of Neuroscience, doi: 10.1523/JNEUROSCI.2027-15.2016; 2016