BEST OF BLOGS | Das unfaire PJ treibt zurzeit viele meiner sonst so unpolitischen Kommilitonen auf die Straße. Gegen ungerechte Arbeitsbedingungen muss man kämpfen. Aber: Warum nur, wenn es um den eigenen Beruf geht?
Eine Petition, die ein faireres PJ einfordert, hat inzwischen mehr als 100.000 Unterzeichner gefunden. Ich gehöre natürlich auch dazu. Denn der Gedanke an unbezahlte Arbeit hat mir schon immer widerstrebt.
Die Petition wurde von der Bundesvertretung der Medizinstudierenden initiiert und hat unter uns Studierenden und auch darüber hinaus breiten Anklang gefunden. Die Forderungen sind nicht unrealistisch hoch und beziehen sich nicht nur auf Geld. So wird etwa gefordert, Dienstkleidung zu stellen oder direkten Zugriff auf bestimmte Daten zu gewähren. Kleinigkeiten, die eigentlich in jedem Klinikum bereits heute zum guten Ton gehören sollte. Dementsprechend wurde die Petition in meiner Umgebung mehrfach herumgeschickt, beworben und gelobt. Zu Recht, aber die meisten meiner Leser wissen ja inzwischen, dass ich gerne nach Haaren in der Suppe suche.
Interessieren wir uns nur für uns selbst?
Seit einigen Monaten laufen in vielen großen Städten Pflegeproteste, bei denen mehr Personal im Krankenhaus, eine bessere Bezahlung und mehr Freizeit gefordert werden. Das dies nicht nur einen entlastenden Charakter für die Arbeitnehmer selbst, sondern auch eine Schutzwirkung für die Patienten hätte, ist hinlänglich bekannt. Im Rahmen dieser Proteste habe ich nicht nur Pfleger, sondern auch sehr engagierte Ärzte kennengelernt. Sie bilden, obwohl es in jeder Stadt hunderte von ihnen gibt, allerdings eindeutig die Minderheit. Medizinstudenten habe ich nur selten bei den Bündnistreffen und Demonstrationen erlebt und das enttäuscht mich.
Ein Krankenhaus steht und fällt mit seiner personellen Ausstattung. Während angehenden Ärzten noch vor einigen Jahren geraten wurde, jede Stelle anzunehmen, die ihnen angeboten wird oder vorsorglich lieber gleich einen Taxischein zu machen, sind die Berufsaussichten für Medizinier heute fantastisch. Keiner von uns wird sich Sorgen um eine Stelle machen müssen. Die Arbeitgeber überbieten sich mit Zusatzangeboten wie Versicherungsleistungen, Gutscheinen für Sportstudios oder integrierter Kinderbetreuung. Die berufsständischen Vertretungen haben in den letzten Jahrzehnten ganze Arbeit geleistet. Natürlich ist die Tätigkeit als Arzt immer noch ein anstrengender Job mit wenig Freizeit und viel Verantwortung. Gleichzeitig befreit er aber von vielen Sorgen, etwa der vor Altersarmut oder unerwarteten größeren Aufwendungen für die Familie.
Diesen Luxus haben Pflegekräfte, Therapieberufe, Hebammen und andere Heilberufe oft nicht. Sie kämpfen deshalb immer energischer um Anerkennung. Dennoch fehlt gerade in der Ärzteschaft oftmals das Interesse für diese Kämpfe.
Unterschiedliche Vergangenheit führt zu unterschiedlichen Haltungen
Unsere Krankenversorgung ist, wenn man sie auf das Wesentliche reduziert, auf zwei Traditionen zurückzuführen. Die eine ist die der „Güte“ und die andere, ist die der „Macht“. Während der Pflegeanteil der Patientenversorgung weitestgehend auf die christlich-demütige Tradition der Hospize zurückgeht, beziehen sich medizinisch-therapeutische Berufe stark auf Wissenschaftstraditionen, an denen in der Regel gut betuchte Personen aus dem Bürgertum beteiligt waren. Das ist natürlich sehr verkürzt dargestellt. Beide Linien überschneiden sich und interagieren miteinander: Joseph Lister zum Beispiel war ein sehr bürgerlicher und konservativer Mensch, der einen starken christlichen Wertekodex vertrat und seine Arbeit mit großer Demut verrichtete.
Dennoch macht eine grobe Einteilung in zwei Traditionen Sinn. Wir brauchen diese beiden Strömungen, um eine wenig weiterzudenken. Während sich die Pflege vor allem in einer Tradition der Demut entwickelt hat, spielte der direkte Zugriff auf Gestaltungsmacht bei den Ärzten eine stärkere Rolle. Ärzte bestimmen den Krankenhausalltag, während Pflegende ihn organisieren. Viele berufsständische Vertretungen halten genau an dieser Denkweise fest.
Wir brauchen die Pflege. Unbedingt.
Die Ärzteschaft hat viel erreicht und ist durch die Behandlungsfreiheit ein enorm selbstwirksames Berufsfeld. Die Pflege hingegen sabotiert sich regelmäßig mit ihrem demütigen Anspruch immer wieder selbst. Man opfert sich gerne für seine Patienten auf. Streiken kann man nicht, wo käme man denn da hin? Und das Leben ist eh kein Ponyhof.
Doch aktuell bewegt sich etwas. Immer mehr Pflegekräfte sind frustriert, ihre Arbeitsumgebung macht sie unglücklich und sie verlassen das Berufsfeld. Dies erhöht den Druck auf das System und Proteste werden immer mehr in die Öffentlichkeit getragen. Das ist gut, denn wir brauchen die Pflege. Ohne sie werden viele von uns irgendwann sehr qualvoll dem Lebensende entgegen vegetieren.
Gesundheit gelingt nur im Team
Hier sind nun auch jene Menschen gefragt, die im Gesundheitswesen traditionell über die größere Durchsetzungsmacht verfügen. Ich sehne mich nach dem Tag, an dem mich BVMD und Hartmannbund darum bitten, Petitionen für die Belange der Pflegekräfte zu unterzeichnen und an dem Medizinstudenten Demos mitorganisieren, um für gute Ausbildungsbedingungen in den Pflegeberufen zu kämpfen.
Das „Bündnis Junger Ärzte“ führte in der letzten Woche die Kampagne #nurMITeinander durch. Sie wollten damit ein Zeichen gegen unhöflichen Umgang im Krankenhaus setzen. Eine Kultur der Freundlichkeit rettet Leben, denn Reibung wird vermieden und alle Beteiligten können sich mehr auf die Patienten und eine gelingende Krankenversorgung konzentrieren, so die Idee.
Ein einfaches „Lass uns mal netter zueinander sein“ ist aber, auch wenn es ein schöner Gedanke ist, zu kurz gedacht. Stattdessen ist es für viele Pflegekräfte sogar ein kleiner Schlag ins Gesicht, denn relativ genau vor einem Jahr sorgte Erwin Rüddel mit seinem „Die-Pflege-soll-mal-wieder-artig-sein-damit-das-Berufsfeld-wieder-attraktiv-wird“-Tweet für Empörung. Solange #twitternwierueddel als Hashtag noch notwendig ist, wird #nurMITeinander nicht viel bringen. Wenn wir alle netter zueinander sein sollen, müssen wir damit anfangen, auch die Interessen der anderen zu vertreten.
Bildquelle: Marcelo Leal, unsplash