Ein junger Mann kommt zum OP-Termin, die Hämorrhoiden müssen weg. Die Narkosemittel sind hoch dosiert. Trotzdem: Der Patient hustet, seine Füße wackeln. Ich steigere die Dosis, ohne Erfolg. Zu diesem Zeitpunkt weiß ich noch nicht, dass mir der Patient etwas verschweigt.
Herr Min kommt zur Hämorrhoidenentfernung. Er ist 32 Jahre alt und gesund. Er raucht seit über 15 Jahren bis zu zwei Päckchen Zigaretten pro Tag, hat keine Allergien und nimmt keine Medikamente. So weit, so gut.
Narkose: Die Füße wackeln
Zur Narkose kommt er leicht nervös, was natürlich völlig normal ist. Meine Oberärztin und ich plaudern mit Herrn Min, lenken ihn ab, bis wir die ganzen Vorbereitungen abgeschlossen haben, und starten dann mit der Narkose.Junge Männer brauchen mehr Narkosemittel als alte, das ist logisch. Wir leiten die Narkose mit einer hohen Dosis ein und müssen sie dann nochmal ein bisschen steigern, als er immer noch mit den Füßen wackelt, als ich ihm die Larynxmaske zur Beatmung in den Mund schieben will.
Im OP-Saal kommt dann die erste Überraschung: Der Patient hustet, als der OP-Assistent ihn zu desinfizieren beginnt. Das bedeutet, der Patient schläft zwar, aber sein Körper reagiert noch auf Reize – die Narkose ist, wie man sagt, zu flach. Ich steigere nochmal alle Medikamente, gebe mehr Opiate und warne dann die Chirurgin vor, als sie den Saal betritt.
„Ich krieg den nicht still!“
„Hör mal Andrea, der braucht jetzt schon enorm viel und du hast ihn noch nicht mal angefasst. Ich muss mich da ein bisschen herantasten, ja? Sag mir Bescheid, wenn was nicht gut ist.“
Andrea hat gute Laune und ist geduldig. Nochmal und nochmal muss ich die Narkose vertiefen, während sie an den Hämorrhoiden schnippelt, und trotzdem hustet der Patient und wackelt mit den Füßen, ich geb mehr und mehr Propofol, Opiate und schließlich sogar Gas – bis ich schließlich am Verzweifeln bin und meine Oberärztin wieder dazu rufe: „Ich krieg den nicht still!“
Andrea beobachtet mich leicht belustigt bei meinen Mühen. „Woran liegt das denn, dass der nicht ruhig liegen will?“
In der Regel ist es Drogenkonsum – Cannabis, Kokain, Heroin, Amphetamine und so weiter. Der Patient hat aber in der Sprechstunde ausdrücklich angegeben, keine Drogen zu konsumieren. Wie das so üblich ist, liegt der Patient endlich still, als die Oberärztin in den Saal kommt. Jetzt kann die Chirurgin endlich richtig loslegen – und ist nach wenigen Minuten schon fertig. Ich kann alle Medikamente abstellen und warte darauf, dass Herr Min erwacht.
Nein, die OP wurde nicht gefilmt
Als Herr Min ausreichend wach ist, ziehe ich ihm die Larynxmaske aus dem Mund und bringe ihn auf die Überwachungsstation. Er ist noch etwas müde von den Medikamenten, quasselt aber ohne Pause. „Haben Sie operiert? Wer hat operiert? Wie hat das ausgesehen? Wie sieht das jetzt aus? Wo ist die DVD?“
Öhm. „Welche DVD?“
Herr Min: „Na die von meiner Operation, die DVD.“
„Da gibt’s keine DVD, die Operation wurde nicht gefilmt.“
„Was? Warum nicht?“
Äh … Weil sowas keiner sehen will vielleicht? Bevor ich antworten kann, murmelt er „Oh, ich habe vergessen, Ihnen zu sagen … Ich vertrage kein Morphin. Davon juckt’s mich überall.“
„Ach, gut, dass Sie das sagen, das vermerke ich gleich noch.“
Unvermittelt grinst er schelmisch. „Ketamin vertrag ich aber gut.“
Solche Aussagen sind immer sehr suggestiv – ich frage aber noch nach:
„Ketamin? Nehmen Sie das denn manchmal?“
„Ja natürlich, immer im Ausgang und so!“
Das erklärt alles … Ich ärgere mich. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich andere Medikamente gewählt für die Narkose.
„Wenigstens bin ich diesmal nicht aufgewacht“, fährt er fort.
„Wie, aufgewacht? Sind Sie mal während der Narkose aufgewacht?“
„Ja, bei einer Schulteroperation letztes Jahr, war nicht so lustig …“
Das glaub ich – kommt aber davon, wenn man seinen Anästhesisten anlügt.
Nicht besonders lustig
Sein Narkosemittelverbrauch war etwa das vier- oder fünffache von dem, was ein Durchschnittspatient braucht. Wenn der Patient dann noch relaxiert ist, also Medikamente zur Muskellähmung bekommt, kann das in seltenen Fällen eben auch mal nicht auffallen. Von mir hat der Patient keine solcher lähmenden Medikamente bekommen, weshalb sein Körper mit abwehrenden Zuckungen reagiert hat. Das war für mich das Signal, dass die Narkose nicht ausreichte. Ohne diese Zuckungen kann es auch mal schwieriger werden, die Zeichen richtig zu deuten.
Nachdem ich Herrn Min auf der Überwachung abgegeben habe, erzähle ich meiner Oberärztin von diesem Gespräch und sage ihr auch, dass ich beabsichtige, ihn später, wenn er richtig wach ist, nochmal zu besuchen und ihm einzuschärfen, das nächste Mal seinen Anästhesisten vorzuwarnen. Dazu komme ich jedoch gar nicht – meine Oberärztin übernimmt diese Aufgabe gern für mich.
Nochmal: Es geht nicht darum, jemanden zu verurteilen oder wegen seines Drogenkonsums zu belehren. Aber wer seinem Anästhesisten Dinge verschweigt, riskiert Narkosekomplikationen. Selbst Schuld, Pech gehabt könnte man sagen, aber es geht mich eben doch etwas an: Ich bin schließlich diejenige, die den Stress hat und ich finde das nicht besonders lustig.
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