Der junge Mann errötet, als ich ihn bitte, die Hose runterzuziehen. Er hat sich eine Einblutung an der Leiste zugezogen. Als ich frage, ob er lieber von einem Mann versorgt werden möchte, winkt er ab.
Wegen einer traumatischen Einblutung in der Leiste – Fahrradlenker, die übliche Anamnese – werden wir ihm einen Hüftkompressionsverband anlegen müssen. Es hat sich bereits ein großes Hämatom gebildet, das in den nächsten Tagen ausgeräumt werden muss.
Die Anlage ist lästig, weil sie ein paar Minuten dauert und für den Patienten nicht immer angenehm. Der Verband wird um die Hüften, Leisten und den betroffenen Oberschenkel gewickelt. Man ist gut beraten, dem Patienten das Vorgehen vorher zu erklären, wenn man nicht wegen Belästigung angeklagt werden möchte.
„Sie werden wohl schon häufiger einen Mann gesehen haben.“
Bis zur OP bleibt der Patient bei uns auf der Station, bekommt Schmerzmittel und eine Thromboseprophylaxe. Ich biete ihm an, einen männlichen Kollegen zu holen, der die Aufgabe übernimmt, aber er winkt ab: „Ach, nein. Das ist kein Problem. Ich war bloß nicht darauf vorbereitet. Sie sind schließlich die Ärztin und auf der Station werden auch viele weitere Frauen sein. Sie werden wohl schon häufiger einen Mann gesehen haben.“
Ein Schmunzeln kann ich mir nicht verkneifen. Distanz und Distanzlosigkeit, Scham und Schamlosigkeit liegen manchmal nah beieinander.
Überraschung auf meinem Schreibtisch
Zwei Wochen später finde ich auf meinem Schreibtisch eine Packung Ferrero Küsschen wieder: „Vielen Dank für die gute Behandlung. Falls Sie mich mal wieder ausziehen möchten: Hier ist meine Handynummer.“
Irgendwie weiß ich nun nicht, wer sich belästigt fühlen sollte. Vielleicht einfach noch mal schmunzeln?
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