Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Pneumonie, Niereninsuffizienz und zahlreiche weitere gesundheitliche Störungen stehen im Verdacht, durch Parodontitis begünstigt zu werden. Sogar Krebs scheint mit der Entzündung des Zahnhalteapparates im Zusammenhang zu stehen.
Zahlreiche Studien belegen, dass parodontale Entzündungen zu systemischen Erkrankungen führen können – und umgekehrt. Bei einer Parodontitis handelt es sich um eine komplexe, multifaktorielle entzündliche Erkrankung des Zahnhalteapparates.
Viele Menschen, die unter einer chronischen Niereninsuffizienz (CKD) leiden, zeigen auch eine schlechte Mundgesundheit. 85 Prozent der Betroffenen leiden an Parodontitis. An der britischen Aston University in Birmingham wird derzeit eine Studie durchgeführt, die überprüfen will, in wie weit sich eine Parodontitis auf die Gefäße von CKD-Patienten auswirkt. Vermutlich steigert eine Parodontitis bei CKD-Patienten das ohnehin schon gesteigerte Risiko für kardiale Erkrankungen um ein Vielfaches. Die pathogenen Keime gelangen über Schleimhautdefekte in der Mundhöhle in den Blutkreislauf. Dort steigern sie das Risiko für Ablagerungen in den Gefäßwenden und stören die Hämostase. Bei allen Studienteilnehmer wird ein Jahr lang die Qualität ihrer Blutgefäße untersucht. Erste Zwischenergebnisse [Paywall] wurden nun publiziert. Von den 13.784 Probanden hatten 861 (6 Prozent) eine CKD. Die 10-Jahressterblichkeit dieser Kohorte stieg von 32 Prozent auf 41 Prozent mit einer Parodontitis als Co-Morbidität.
In ihrer Dissertation untersuchte Dr. Marion Siepmann, Universität Dresden, die Mundgesundheit von Dialysepatienten. Der Zustand der terminalen Niereninsuffizienz bedingt eine beeinträchtigte, schlechtere Immunantwort auf Entzündungen und Infektionen. Mangelernährung und das urämische Milieu führen zusätzlich zu einer Veränderung der Immunabwehr. Eine schlechte Mundhygiene mit vermehrt auftretender Parodontitis könnte den systemischen Entzündungszustand bei Dialysepatienten noch verstärkt. Die terminale Niereninsuffizienz hat ebenfalls Auswirkungen auf den oralen Gesundheitszustand: Veränderungen der Mundschleimhaut, Xerostomie, Veränderungen der Zahnhartsubstanzen und des Kieferknochens. Diese können ihrerseits die Kaufähigkeit negativ beeinflussen und den Zustand der Malnutrition noch verstärken. Das Resümee der Promotionsarbeit wirkt alarmierend: Dialysepatienten weisen eine schlechtere Mundhygiene auf, haben mehr fehlende und kariöse Zähne sowie einen schlechteren Parodontalstatus. Sie leiden häufiger an einer generalisierten Parodontitis. Es ergeben sich Hinweise, dass eine längere Dauer der Dialysepflichtigkeit sowie eine schlechtere Dialyseeffizienz das Auftreten einer generalisierten Parodontitis begünstigten.
Eine Studie von Sharma et al. [Paywall] deutet an, dass parodontale Erkrankungen das Risiko von Lungenentzündung und COPD erhöhen. Die indische Studie untersuchte 200 Teilnehmer, die Hälfte davon waren hospitalisierte Patienten mit Atemwegserkrankungen wie COPD, Lungenentzündung oder akuter Bronchitis. Patienten mit Atemwegserkrankungen hatten eine schlechtere parodontale Gesundheit als die der Kontrollgruppe. Ähnliche Daten über eine Assoziation von Parodontitis mit einer erhöhten Mortalität durch Lungenentzündung hatten japanische Forscher bereits 2008 veröffentlicht. Awano et al. [Paywall] zeigten an 697 Studienteilnehmern, dass gegenüber einer mundgesunden Kontrollgruppe das Mortalitätsrisiko für Pneumonie um das rund 3,9-fache erhöht war, wenn zehn oder mehr Zähne Taschentiefen von mehr als 4 mm aufwiesen.
In den 1950er-Jahren gab es bereits erste Studien zum Thema Parodontitis und Diabetes. Das wachsende Interesse an dieser Problematik ist auch auf die rasante Zunahme der Diabetesinzidenz weltweit zurückzuführen. Bei einem erhöhten Blutglukosespiegel werden unterschiedliche Proteine glykolysiert und es bilden sich „advanced glycated endproducts“ (AGEs). Endothelzellen, Fibroblasten, Monozyten und Makrophagen besitzen Rezeptoren für diese AGEs. Die Interaktion mit diesen Rezeptoren induziert intrazellulär oxidativen Stress und die Aktivierung von Transkriptionsfaktoren. Dadurch wird die Produktion von Entzündungsmediatoren und Enzymen verstärkt. Nicht nur im Plasma und Gewebe, sondern auch in der Gingiva und im Parodontium von Diabetikern wurde eine vermehrte Akkumulation von AGE nachgewiesen [Paywall]. Diabetikern weisen im Vergleich zu Stoffwechselgesunden ein dreifach erhöhtes Risiko für eine Parodontitis und ein fünfzehnfaches für Zahnverlust auf. Das dentale Risiko korreliert mit dem HbA1c-Wert und dieser wiederum mit dem Schweregrad der Parodontitis. Metaanalysen zeigten, dass sich eine nicht-chirurgische Parodontitistherapie positiv auf die metabolische Einstellung von Typ 2-Diabetikern auswirkt. Nachgewiesen wurde bei einem Ausgangs-HbA1c von 7-10 % eine Senkung des HbA1c-Ausgangswertes um 0,4-0,8 Prozentpunkte. Die Sterberate von Diabetikern mit schwerer Parodontitis ist gegenüber zahngesunden Diabetikern neunfach erhöht. Diabetiker mit schwerem Zahnfleischschwund sterben doppelt so häufig wie Zahngesunde an einer ischämischen Herzerkrankung.
Studien zur Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Parodontalerkrankungen und der koronaren Herzkrankheit [Paywall] haben gezeigt, dass parodontale Erkrankungen in gleichem Maße als Risikofaktor für Myokardinfarkt oder Schlaganfall angesehen werden müssen wie Hypertonie, Hyperlipidämie, Übergewicht, fortgeschrittenes Alter und auch Diabetes. Darüber informiert die Bundeszahnärztekammer ihre Mitglieder in einer Broschüre. Eine Arbeitsgruppe um Dr. Yvonne Jockel-Schneider der Zahnklinik in Würzburg verglich bei ihren Patienten sowie bei Zahngesunden den Zustand ihrer Blutgefäße. In der Gruppe mit Zahnfleischproblemen waren die Gefäße deutlich weniger elastisch und zeigten mehr Ablagerungen. Die Probanden erhielten eine professionelle Zahnreinigung, um die parodontale Entzündung abklingen zu lassen. Nach dem Beobachtungszeitraum von 12 Monaten hatte sich die Mundgesundheit erheblich verbessert. Die Blutungsneigung war gesunken, die Pulswellengeschwindigkeit nahm um bis zu 1 m/s ab und der Blutdruck sank. Die Tatsache, dass der CRP-Wert ebenfalls niedriger war, ist ein Indiz dafür, dass eine systemische Entzündung das Bindeglied zwischen Zähnen und Blutgefäßen ist. Bei den Patienten, deren parodontaler Status sich nicht gebessert hat, wiesen die Gefäße eine unverändert hohe Gefäßsteifigkeit auf.
„Für eine kausale Beziehung zwischen kardialen Ereignissen und einer Parodontitis gibt es keine wissenschaftlichen Beweise“, stellt hingegen die Fachgesellschaft AHA (American Heart Association) fest. „Nicht selten wird suggeriert, dass eine verbesserte Mundhygiene zur Vorbeugung einer Parodontitis auch der Prävention von Herzinfarkten und Schlaganfällen dient. Solche Behauptungen sind haltlos.“ Das ist die Meinung eine Expertengruppe aus Kardiologen, Zahnärzten und Infektiologen der AHA. Zwischen Parodontitis und atherosklerotischen Gefäßveränderungen konnte ein Zusammenhang belegt werden. Jedoch handelte es sich meist um Beobachtungsstudien, die keine Aussage über die Kausalität zuließen. In einigen Studien hatte eine Parodontitis-Behandlung günstige Auswirkungen auf systemische Entzündungsmarker wie CRP und auf die Endothelfunktion. Die Studienergebnisse sind jedoch nicht frei von Widersprüchen. Bei Parodontitis und atherosklerotischen Gefäßerkrankungen liegen oft die gleichen Risikofaktoren wie Rauchen, höheres Alter und Diabetes vor. Vermutlich treten deshalb parodontale und kardiale Erkrankungen in Koexistenz auf.
Patienten mit einer ankylosierenden Spondyloarthritis weisen ein 6,8-fach erhöhtes Risiko für eine Parodontitis auf. Auch bei rheumatoider Arthritis (RA) im Kindes- und Jugendalter besteht eine erhöhte Gefahr, eine Parodontitis zu entwickeln. In einer Studie wurden insgesamt 40 RA-Patienten in zwei Gruppen aufgeteilt. Bei einer Gruppe wurde eine nicht-chirurgische Behandlung des Zahnfleisches durchgeführt, bei der anderen nicht. In der behandelten Gruppe nahmen bei den Probanden die Beschwerden der rheumatoiden Arthritis ab. Mithilfe des Funktionsbogens DAS 28 wurde Veränderungen erfasst. Unter anderem nahm die Blutsenkungsgeschwindigkeit und die Konzentration des proinflammatorischen Faktors TNF-α ab.
Eine Studie von Michaud et al. [Paywall] untersuchte den Zusammenhang zwischen Parodontitis und Krebserkrankungen. Um die Effekte der Parodontitis von denen des Rauchens, einem Hauptrisikofaktor für die Parodontitis, trennen zu können, wurden nur die Daten von männlichen Nichtrauchern ausgewertet. Die 19.933 Probanden waren bei Studieneinschluss zwischen 40 und 75 Jahre alt, eine Parodontitis war bei 9,7 Prozent bekannt. An einer fortgeschrittenen Parodontitis mit starkem Zahnverlust litten 3 Prozent der Teilnehmer. Im Vergleich zu Männern mit gesundem Zahnhalteapparat lag die Krebsrate bei Parodontitis um 13 Prozent und bei fortgeschrittener Parodontitis um 44 Prozent höher. Karzinome in Lunge, Blase, Oropharynx, Ösophagus, Niere, Magen und Leber traten bei Männern mit Parodontitis um 33 Prozent häufiger auf. Die stärksten Risikozunahmen im Zusammenhang mit einer fortgeschrittenen Parodontitis wurden für Blasen-, Speiseröhren- und Kopf-Hals-Tumoren festgestellt. Diese Krebserkrankungen waren fünf- bis sechsmal so häufig wie bei Männern mit gesundem Parodontium. Die Studienautoren vermuten, das Parodontitis Krebs fördert und nicht umgekehrt. Ob diese These belastbar ist, ist in Anbetracht der relativ geringen Probandenzahl fraglich.
Obwohl eine Parodontitis zahlreiche Erkrankungen triggern kann, übernehmen die Kostenträger die Kosten für eine professionelle Zahnreinigung nicht. Weder gibt es hierfür eine entsprechende Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses, noch sei die chronische Parodontitis eine lebensgefährliche Erkrankung, so urteilte das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in Stuttgart. „Ohne Empfehlung des Bundesausschusses gebe es keine rechtliche Grundlage für eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen“, so der Richter in seiner Urteilsbegründung. Nun wurde das IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) beauftragt, eine „Bewertung der Systematischen Behandlung von Parodontopathien“ zu erarbeiten. Gregor Bornes ist Sprecher der Patientenvertretung im Unterausschuss Zahnmedizin im gemeinsamen Bundesausschuss und macht sich dafür auf mehreren Ebenen stark, dass bei einer Parodontitis eine professionelle Zahnreinigung im Leistungskatalog der Kostenträger auftaucht. Damit Ihre Patienten auch Morgen noch kraftvoll zubeißen können.