Morgen endet der Dry January – der Monat des Jahres, in dem viele Menschen auf Alkohol verzichten. Am 1. Februar dafür dann direkt wieder Knallgas, wie passend, dass es ein Freitag ist. Das dämliche Konzept macht einmal mehr klar, wie verquer unser Verhältnis zum Alkohol ist.
Die Idee dahinter: Mal was für den eigenen Körper tun. Schräg. Gleichzeitig titelt die Bild: „Darf ich ein Bier in der Mittagspause trinken?“ Eine wirklich wichtige Frage, die es wohl dringend zu klären gilt. Reichen die vielen Gelegenheiten zum Saufen in der Freizeit ja noch nicht aus.
Eine andere Schlagzeile in der Welt: „1.200 Lkw-Fahrer kontrolliert, 190 hatten Alkohol getrunken“. Das ärgert mich – als Bürger, aber auch als Notarzt.
Was ist hier eigentlich los?
Alkohol ist kein Sanitäter
Alkohol ist weder ein Sanitäter, noch ein Fallschirm oder ein Rettungsboot. Das hat Herbert Grönemeyer schon 1984 richtig erkannt und ironisch besungen und es ist auch fast 25 Jahre später nicht weniger richtig.
Es wurden ganze Bücherwände über den Suff und im Suff geschrieben und es gibt mindestens ebenso viele Bücher, die den Alkohol glorifizieren wie Bücher, die davor warnen. Wenn in einer Whatsapp-Gruppe Gin-Rezepte ausgetauscht werden und in Statusmeldungen in den sozialen Kanälen Weinverkostungen, Wein-Adventskalender und hochprozentige Gelage zelebriert werden, wäre es mir sehr recht, wenn mir das ganze Thema Alkohol ein bisschen egaler sein könnte.
Ist es aber nicht.
Besoffen vom Fahrrad gefallen: Haha, wie lustig
Ich bin sehr intolerant geworden, was den absurden Alkoholkonsum in unserer Gesellschaft angeht. Alkohol ist nämlich ein fester Bestandteil meines Arbeitsalltags. Beginnend bei komplizierten Brüchen, die nachts um drei Uhr versorgt werden müssen, weil XY im Alkoholrausch die Treppe runter geflogen ist. Das geht weiter mit unschönen Schädel-Hirn-Traumata weil XY mit dem Fahrrad auf dem Weg nach Hause vergaß, dass man an einer Ampel nicht nur bremsen muss, sondern dann auch einen Fuß rausstellen muss, damit man nicht umfällt. Ja, haha, total lustig war das. Das Video bei Youtube, der Hauptdarsteller in Saal 8, neurochirurgisch.
Alkohol zerstört. Hier mal eine kleine, etwas peinliche Aktion auf irgendeiner Party, dort ein Kater am Morgen, der dem Chef auffällt und einen schalen Beigeschmack hinterlässt. XY hat es ein bißchen übertrieben.
Alkohol: Auch in geringem Maße schädlich
Alkohol zerstört auch in geringen Maßen bereits Leberzellen, stört die Kommunikation zwischen Gehrinzellen, sorgt langfristig für Vitaminmangel und schwerste Hirnschäden, die einer Demenz ähneln.
Jaja, aber in Maßen genossen ist Alkohol ja nicht so schlimm, heißt es dann. Was nicht stimmt und auch mehrfach belegt wurde. Die Studie aus Schweden, die an dieser Stelle immer so gern von allen zitiert wird, hat erhebliche Fehler und hat davon abgesehen ein signifikant erhöhtes Krebsrisiko auch für moderaten Alkoholkonsum nachgewiesen, aber das will ja auch keiner hören.
„Ich trinke Alkohol ja wegen des Geschmacks“
Warum trinkt man denn überhaupt Alkohol? Als wenn es nur der Geschmack wäre. Es gibt fast jedes alkoholhaltige Getränk auch als alkoholfreie Variante, mittlerweile gibt es sogar die ersten alkoholfreien Gin-Sorten. Die Säufer Gourmets sagen natürlich, dass alkoholfreies Bier ü-ber-haupt nicht so schmeckt wie ein normales Bier. Jetzt mal unter uns Pastorentöchtern: wirklich? Also, ohne dass deine Kumpels vom Kegelclub dich hören oder die mitgrölenden Mitsäufer aus dem Schützenverein: wirklich?
Ich kann beim besten Willen nicht erkennen, dass es einen wirklich guten Grund gibt, statt eines alkoholfreien Bieres ein alkholhaltiges Bier zu trinken. Außer – ja, eben, außer … Aber das sagt ja keiner. Da wird was von Geschmack gefaselt und Ursprünglichkeit und alter Väter Sitte, bla bla bla. Ich kann es nicht mehr hören!
Wozu diese Alkoholfeierei?
Mir geht diese Alkoholfeierei dermaßen auf den Senkel, das kann sich keiner vorstellen. Euer Suff ist meine kaputte Nacht. Ich habe vor ein paar Wochen in einer Nacht vier Schockräume machen müssen, alles alkoholisierte Menschen die allesamt nicht bei uns gelandet wären, wenn sie nicht gesoffen hätten. Das hat mit feiern überhaupt gar nichts zu tun. Man kann auch ohne Alkohol feiern, wenn es was zu feiern gibt. Weil die meisten Menschen aber nichts zu feiern haben, schütten sie so lange Fusel in sich rein, bis der Dunst die Sinne so weit vernebelt, dass man sich selber vormacht, es wäre tatsächlich ein bisschen lustig und man könne sich selbst und das Leben feiern.
Ich muss als Notarzt nachts um zwei raus, weil ein Teenie sich an Wodka-O übersoffen hat und jetzt besinnungslos in der Ecke liegt. Ich muss morgens um vier raus, weil ein randalierender Spritti im Wahn erst seine Lebensgefährtin und dann das, was man Wohnung nennen möchte kaputt geschlagen hat. Inklusive einer Glasscheibe, die für ein mittelschweres Blutbad gesorgt hat.
Alkohol zerstört Familien und mehr
Ich habe zu viele kaputte Familien gesehen, in denen der Alkohol erheblichen Schaden angerichtet hat. Alkohol zerstört Ehen, Familien, ganze Kindheiten.Du hast damit nichts zu tun? Du denkst, lass sie doch? Nicht mein Bier?
Ich muss auch als Notarzt raus, weil ein Tiefkühlkostlieferant mit seinem Tiefkühl-Laster einen Van von hinten von der Straße gerammt hat. Schon bei den Rettungsmaßnahmen riecht man sehr, sehr deutlich die Fahne des Fahrers. Besoffen als Lieferant unterwegs, beruflich.
Fahrer (ca. 35 Jahre alt, männlich) und Beifahrer (weiblicher Teenager) des Vans kommen schwerstverletzt in die Uniklinik, wir nehmen den Fahrer mit, ich erfahre nicht, was aus den Unfallbeteiligten wurde. Vielleicht sind sie gestorben, vielleicht auch nicht, ist ja nicht so schlimm, ist ja nicht mein Bier.
Der Fahrer kommt mit 1,2 Promille im Schockraum an. Ach so, das war jetzt nicht okay, oder wie? Aber das man Alkohol auf 40 Regalmetern in jedem Supermarkt kaufen kann, ist okay? Dass man Alkohol in jedem Kiosk, in jedem Imbiss und an jeder Tankstelle (!) bekommt, das ist okay? Klar, für die Beifahrer, ja sicher.
Strafrechtlicher Rabatt für Säufer
Bis 1973 durfte man hier in Deutschland noch völlig legal im Vollrausch (1,5 Promille) ein Fahrzeug führen. Selbst 0,8 Promille waren bis 2001 noch okay. Ich kann nur jedem raten, testweise mal in so einen Alkomaten zu pusten. Man ist überrascht, wie niedrig der ausgegebene Wert ist, auch bei subjektiv bereits fortgeschrittener Beeinträchtigung.
Vor Gericht geht das Elend dann weiter. Alkoholisiert einen Unfall gebaut? Komm, halb so wild. Der Säufer bekommt strafrechtlich immer nochmal einen Rabatt. Warum eigentlich? Offensichtlich bin ich nicht der Einzige, der sich diese Frage stellt.
Alkohol kann man nicht verbieten, das ist mir klar. Hat man ein paar Mal versucht, das ganze ist furchtbar eskaliert. Es ist eine von drei gesellschaftlich akzeptierten Drogen: Koffein, Tabak und Alkohol. Es ist aber von allen Substanzen, die wir kennen, diejenige, die den größten Schaden anrichtet. Und zwar durch die Kombination des entstehenden Schadens für das missbrauchende Inidividuum und für die Gesellschaft. Schadenswerte kann man ziemlich genau messen und auch nachlesen, wenn man denn möchte.
Nicht zu trinken, ist nicht nicht normal
Es ist ja auch so schön einfach, sich zu bedröhnen. Ein Glas Wein – komm, auf einem Bein kann man nicht stehen – dann eben zwei Gläser Wein am Abend. Gesellschaftlich akzeptiert, ja, wer intellektuell was auf sich hält, muss das so machen.
Im feinen Restaurant einfach ein Wasser bestellen? Ein mitleidiger Blick des Kellners ist inklusive. Wenn ich auf einer Feier bin, dauert es im Schnitt nur zwei Stunden, bis mich keiner mehr fragt, ob ich nicht doch einen, komm, hab dich nicht so, einer ist keiner, für dich nichts? Krank? Fieber? Ach, du musst fahren? Nicht? Ach so, einfach so nicht? Find ich gut. Klasse, ich müsste auch mal weniger, aber blaaaaa.
Ein einfaches Nein reicht nicht, es muss schon ein „Nein, weil ...“ sein. Es ist normal Alkohol zu trinken, es ist nicht normal, keinen Alkohol zu trinken, wenn alle Alkohol trinken. Das ärgert mich maßlos.
Wer ist hier wirklich intolerant?
Alle, die bis hier hin gedacht haben, ich sei intolerant, sind genau die intolerante Masse, die den programmierten Kontrollverlust zum Standard erhoben haben und mir diktieren wollen, was normal ist. Macht es doch, trinkt doch, aber lasst mich in Ruhe. Fragt mich und andere, die nichts trinken möchten, bitte auch nicht hundertmal. Anbieten ist nett, allerhöchstens, dann nachfragen ist aufdringlich, nachbohren ist unverschämt.
Ich finde es nicht normal, dass man überall und zu jeder Tages- und Nachtzeit Alkohol kaufen kann und wir sollten zumindest mal darüber nachdenken, ob dieser ganze Gin-Hype und die intellektuell geprägte Weinglas-Schwenkerei so sinnig ist. Am Ende sind die es nämlich die, die auch dem Alkoholiker sagen: „Du bist okay. So schlimm ist das alles nicht, wir trinken doch alle mal gerne in Gläschen. Ein Bierchen.“
Bis es knallt. Dann sind wir ganz empört, weil so geht es ja nicht, also wirklich.Schlimm.
Bildquelle: Burst, pexels