Die Krätze wird von Hausärzten und Dermatologen leicht übersehen. Viele gehen davon aus, gepflegte Patienten seien seltener davon betroffen.
Bundesweit häufen sich die Skabies-Ausbrüche, wie zuletzt in Berlin und Brandenburg. Zahlen des statistischen Bundesamtes bestätigen die öffentliche Wahrnehmung: Seit 2010 ist der Anstieg der Krätze-Diagnosen in Krankenhäusern von rund 700 auf über 2600 Fälle im Jahr 2016 gestiegen. Ambulante Behandlungen sind darin aber nicht erfasst, da Skabies grundsätzlich nicht meldepflichtig ist. Nur, wenn Personen in Gemeinschaftsunterkünften wie Pflegeheimen oder Kindergärten erkranken, muss das zuständige Gesundheitsamt informiert werden. Fälle aus der Praxis zeigen, dass Ärzten die Diagnose immer schwerer fällt und Therapien versagen. Was macht die Diagnose so kompliziert? Und: Wird die Ausbreitung der Erkrankung unterschätzt?
„Bei mir haben nur zwei von vier Ärzten die Skabies richtig erkannt“, erklärt Charlotte M.*, die seit Monaten immer wieder an quälendem Juckreiz leidet, vor allem nachts. Sie hatte sich bei einem Angehörigen im Pflegeheim mit der Hauterkrankung angesteckt. Frau M. berichtet: „Meine Hausärztin hatte schon bei meinem ersten Besuch den Verdacht, schickte mich dann zu einem Dermatologen.“ Dieser habe keine Skabies erkennen können, doch vorsichtshalber verschrieb er ihr trotzdem ein topisches Arzneimittel.Dr. Christoph Liebich © Dermazent München
„Das Problem ist, dass der Skabies immer noch ein Schmuddel-Image anhaftet“, erklärt Dr. Christoph Liebich, Dermatologe aus München. „Wenn sich ein gepflegter Patient mit Juckreiz in der Praxis vorstellt, denkt man nicht zu allererst an Skabies.“ Dabei habe die Erkrankung das typische Milieu schon
verlassen, so Liebich weiter. „Die sogenannte gepflegte Skabies trifft man immer häufiger.“ Insbesondere die Diagnose dieser gepflegten Skabies sei schwierig. Durch hygienische und kosmetische Maßnahmen können die Symptome leicht kaschiert werden.
Eine aktuelle Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Skabies selbst in Risikogruppen häufig verspätet oder falsch diagnostiziert wird. Jackie Cassell untersuchte ingesamt 230 Pflegeheim-Bewohner während zehn Skabies-Ausbrüchen in Südost-England. Bei 61 (27 Prozent) Bewohnern wurde eine sichere, wahrscheinliche oder mögliche Skabies-Diagnose gestellt. Rund die Hälfte (51 Prozent) dieser 61 Patienten war asymptomatisch und noch weniger (41 Prozent) zeigten die „typischen“ sogenannten Milbenhügel. Laut Autoren waren die üblichen Diagnosemethoden mittels Dermatoskop oder mikroskopischem Nachweis der Milben nur von geringem Wert.
Bei den Milbenhügeln handelt es sich um die Tunnel, die der Erreger Sarcoptes scabiei kurz nach der Infektion in die oberste Hautschicht gräbt. Dort legen die weiblichen Milben Kot und Eier ab. Nach drei bis sechs Wochen kommt es zur ersten Immunreaktion mit starkem Juckreiz. Im weiteren Verlauf der Erkrankung können weitere Effloreszenzen sowie bakterielle Superinfektionen auftreten. Das Hautbild kann daher extrem „bunt“ erscheinen und die Diagnose erschweren.
Ist Skabies erst einmal diagnostiziert, gilt die topische Anwendung von Permethrin als Mittel der Wahl. Normalerweise reicht das einmalige Auftragen auf den gesamten Körper, um alle Milben abzutöten. Frau M. nennt das Mittel aber einen „glatten Therapieversager“. Bei ihr wirkte es nicht.
Könnte sich der Erreger also inzwischen an die Permethrin-Therapie angepasst haben? Hinweise aus Tiermodellen deuten auf eine Resistenzentwicklung hin. So kann eine Resistenz gegenüber Permethrin zum Beispiel durch eine Mutation in einem Natriumkanal-Gen entstehen, so das Ergebnis einer Studie. Permethrin führt bei Milben dazu, dass sich die Natriumkanäle der Nervenzellen nicht mehr schließen.
Die S1-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Skabies verweist zudem auf In-vitro-Daten aus Australien, die zeigen, dass sich die Überlebenszeiten der Milben gegenüber Permethrin in den letzten zehn Jahren verdoppelt bis verdreifacht haben. Außerhalb Australiens sind bislang aber keine Berichte über nachweisliche Resistenzen veröffentlich worden, heißt es in der Leitlinie.
Dermatologe Liebich sieht eher fehlende Compliance der Patienten und Aufklärung seitens der Ärzte kritisch. „Die gleichzeitige Behandlung des Partners ist zum Beispiel extrem wichtig. Wenn das nicht passiert, steckt sich der Patient immer wieder an.“ Auch Verhaltenstipps müsse ein Arzt weitergeben, wie z.B. der Verweis, Bettwäsche und getragene Kleidung bei 60°C zu waschen.
Ein Cochrane-Review kommt zu dem Ergebnis, dass Permethrin bei richtiger Anwendung nach wie vor effektiv ist. Laut Autoren einer anderen Studie liegt das Problem vor allem in der fehleranfälligen Anwendung von Permethrin. Das Mittel wird lediglich einmal aufgetragen. Andere Skabizide, wie Crotamiton und Benzylbenzoat, die über einen längeren Zeitraum angewendet werden, „verzeihen“ Fehler in der Anwendung eher. Die Autoren empfehlen, die Behandlung mit Permethrin nach 7-14 Tagen zu wiederholen. Schlägt die Therapie von Permethrin nicht an oder ist der Patient immunsupprimiert, kann laut S1-Leitlinie auch auf Ivermectin zurückgegriffen werden. Das Medikament wird oral eingenommen (200 μg/kg Körpergewicht).
Charlotte M. findet es verantwortungslos, wie leichtfertig mit der Erkrankung umgegangen wird: „Obwohl in der Literatur und auf Beipackzetteln darauf hingewiesen wird, dass zwingend eine ärztliche Kontrolle erfolgen soll, wurde sie von keinem der vier Ärzte eingefordert.“ Auch Verhaltensregeln bekam sie von den Ärzten nicht. Sie fordert eine bessere Aufklärung des Patienten durch die behandelnden Ärzte. „Darauf will ich aufmerksam machen“, erklärt sie.
Das sieht Dr. Liebich ähnlich: „Die Skabies muss bei den Ärzten wieder präsenter werden.“ Grund zur Sorge sieht er angesichts der steigenden Fallzahlen aber nicht. „In meinen Augen wird die Erkrankung nicht unterschätzt. Bei Skabies schwankt die Häufigkeit wellenförmig, alle paar Jahre kommt es zu vermehrten Ausbrüchen.“
Dennoch sind die Probleme bei der Diagnose und Therapie der Erkrankung nicht von der Hand zu weisen. Gerade wegen möglicher Resistenzen des Erregers und einer schwierigen Diagnose der gepflegten Skabies sollten Ärzte die Erkrankung auf jeden Fall ernst nehmen.
*Name von der Redaktion geändert
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