Erstmals haben sich britische Forscher mit dem Gesundheitsrisiko des Brexits befasst. Sie errechneten: Bei einem No-Deal-Szenario könnte es zu 12.400 zusätzlichen Todesfällen kommen. Schuld seien steigende Obst- und Gemüsepreise.
„Der Brexit könnte zu tausenden zusätzlichen Hirn- und Herzinfarkten führen“, lautet der Titel einer Pressemitteilung des Imperial College London und der University of Liverpool. Es geht um eine kürzlich veröffentlichte Studie britischer Forscher, in der mögliche Auswirkungen unterschiedlicher Brexit-Szenarien aufgezeigt werden. Die These: Durch den Brexit könnten die Kosten für importiertes Obst und Gemüse stark ansteigen mit der Folge, dass Menschen weniger davon essen. Dies führe zu einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, vermuten die Autoren. Sind diese Aussichten realistisch oder geht es eher darum, Brexit-Gegnern zusätzliche Argumente zu liefern?
„Der Exit des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union wurde lange Zeit in Hinsicht auf seine politische und soziale Relevanz betrachtet. Diese Studie zeigt, dass die Auswirkungen des Brexits noch über wirtschaftliche Aspekte hinausgehen und die Gesundheit der Menschen beeinträchtigen könnte. Die britische Regierung muss auch berücksichtigen, welche Folgen unterschiedliche Ausgänge der Brexit-Handelspolitik auf unser Gesundheitswesen haben. Dazu gehören auch Preisänderungen in den Hauptlebensmittelgruppen“, sagt Studienleiter Professor Christopher Millett.
Als Forschungsgrundlage dienten den Wissenschaftlern Daten der World Trade Organization (WTO) und der nicht-ministeriellen Abteilung der britischen Regierung HM Revenue and Customs. Die untersuchten Szenarien umfassten:
Die durchschnittliche Tageszufuhr für Obst und Gemüse bei Erwachsenen basiert auf den Ergebnissen einer nationalen Ernährungsumfrage. Inwiefern sich der Obst- und Gemüseverzehr auf das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen auswirkt, errechneten die Wissenschaftler auf Basis bereits veröffentlichter Metaanalysen.
Bei allen vier Szenarien gingen die Forscher von einem Anstieg der Handelstarife und Transaktionskosten aufgrund vermehrter Grenzkontrollen für UK-Importe aus. Das schlechteste Ergebnis wurde beim No-Deal-Modell erzielt: Hier würde der Preis von Bananen um schätzungsweise 17 Prozent steigen, Zitrusfrüchte würden 14 Prozent und Tomaten 15 Prozent teurer. Abhängig vom Deal würden die Menschen zwischen 3 und im schlimmsten Fall 11 Prozent weniger Obst und Gemüse essen, so die Annahme der Forscher.
Im nächsten Schritt errechnete das Team das relative Risiko für jedes der Szenarien. Szenario 1 würde im Zeitraum 2021-2030 zu etwa 1.360 zusätzlichen Todesfällen durch koronare Herzerkrankungen sowie zu 2.740 mehr tödlichen Hirninfarkten führen. Zum Vergleich: Beim No-Deal-Szenario kommen die Forscher auf 4.110 Herzinfarkte bzw. 8.290 Hirninfarkte, also insgesamt 12.400 zusätzliche Todesfälle.
Ein großer Teil an Gemüse und Obst sind UK-Importe: 84 Prozent der Früchte und 43 Prozent des Gemüses, das die Briten im Jahr 2017 verzehrten, wurde aus der EU oder Nicht-EU-Ländern importiert. „Das Vereinigte Königreich ist stark abhängig von Importen, speziell bei frischem Obst und Gemüse. Diese Lebensmittel haben einen Schutzeffekt für unsere Gesundheit. Unser Paper zeigt zum allerersten Mal die negativen Auswirkungen des Brexits auf Obst- und Gemüsepreise, die Verzehrmenge und den Gesundheitszustand“, erklärt Erstautor Paraskevi Seferidi vom Imperial College.
Diese Ergebnisse bestätigen bereits vergangene Forschungen zum Thema, sagen die Studienautoren und beziehen sich auf eine Arbeit, in der im Falle eines Brexits die durchschnittlichen Ausgaben für die von der WHO empfohlenen fünf Portionen Obst und Gemüse täglich für eine vierköpfige Famile um £ 2,20 pro Woche steigen würden. Trotzdem weisen sie in ihrer Arbeit auf eine Vielzahl an Einschränkungen und ungeklärten Fragen hin.
Alle Angaben ohne Gewähr
Als Richtwerte für ihre Berechnungen dienten den Autoren Durchschnittsangaben und Schätzwerte, dementsprechend sind die Ergebnisse mit Vorsicht zu genießen. Die Angaben zu potenziellen Preissteigerungen beziehen sich nur auf Gemüse und Obst, deshalb fällt es schwer, die Ergebnisse einzuordnen. Ob in den anderen Lebensmittelgruppen ähnliche Preisentwicklungen zu erwarten sind oder nicht, geht aus der Studie nicht hervor.
Auch, wenn die These bei näherer Betrachtung nicht mehr ganz so absurd scheint: Wie realistisch solche Prognosen tatsächlich sind, lässt sich schwer einschätzen. Abgesehen davon ist der Ausgang des Brexits ja noch völlig offen.
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