Ich betrete das Untersuchungszimmer und nehme mir unmittelbar vor, so unvoreingenommen wie möglich zu sein; mich weder von den angeklebten Wimpern, noch den hochgeschnürten Brüsten oder den langen künstlichen Fingernägeln dieser Mutter irritieren zu lassen. Immerhin ist das ja alles eine Frage des Stils und des Geschmacks, jedem das Seine.
Trotzdem - einfach, weil es mir als erstes in den Sinn kommt - gebe ich Frau Mama innerlich einen zugegeben etwas gemeinen Spitznamen. Barbie-Mama.
'So', blicke ich fragend die drei Kinder an, die nebeneinander auf der Untersuchungsliege sitzen und mich gespannt mit großen Augen ansehen, 'Wer von euch ist denn hier heute der Patient?'
'Ali', hilft Barbie-Mama und zieht resolut, ein wenig rabiat, den in der Mitte sitzenden Jungen nach vorne. Fast drei Jahre ist er alt. Auf den ersten Blick sieht er ziemlich gesund aus, nur etwas ängstlich wirkt er.
'Und was hat Ali? Warum sind Sie heute in unsere Notaufnahme mit ihm gekommen?'
Ich nehme auf: Nächtliche Hustenattacken seit drei Tagen. Kein Fieber. Tagsüber kein Husten. Kein Schnupfen, kein Erbrechen, kein Durchfall. Spiele ansonsten wie gewohnt, sei nur müde, weil er ca. alle 30min aufwache und heftig huste. Mama brauche nun ein Rezept für Hustensaft.
Familie sei nicht von hier, momentan zu Besuch bei Schwägerin. Wohne drei Stunden entfernt, daher Vorstellung in der Notaufnahme.
Na gut. Und hat sie bisher Medikamente verabreicht?
Habe Hustensaft von Schwägerin gegeben, dieser habe aber nicht gewirkt.
Ich untersuche Ali, der sich schwer untersuchen lässt. Barbie-Mama ist nicht sonderlich hilfreich, sondern genervt. Warum sie ihn komplett ausziehen müsse, dabei habe er doch nur ein bisschen Husten. Ich erkläre ihr, dass das bei uns dazugehört - eine komplette körperliche Untersuchung, um auch nichts zu übersehen, schließlich seien die Eltern ernsthaft besorgt um ihre schwer kranken Kinder. Die meisten sind dankbar für die genaue Untersuchung. Barbie-Mama dagegen regt sich auf. Schon seit drei Stunden warte sie hier. Und nun kommt von mir auch noch die Antwort, dass es - mangels wissenschaftlicher Evidenz - von uns kein Rezept für Hustensaft geben wird.
Da ich bei aller Geduld und ausführlichem Versuch, aufzuklären, auf Unverständnis bei dieser Frau stoße, hole ich direkt den Assistenzarzt Dr. S. dazu. Auch er schaut sich Ali noch einmal an, was bei Mama tiefe Empörung auslöst. 'Wollte sie', ein strafender Finger zeigt brutal in meine Richtung, 'also nur üben oder was? Müssen Sie jetzt auch alles noch mal machen?'. Ich kann angesichts dieses Verhaltens ein fassungsloses Grinsen kaum unterdrücken. Denn Barbie-Mama hat auch dem Assistenzarzt gegenüber keine Scheu, draufloszupoltern und lässt ihrem Ärger darüber, drei Stunden umsonst gewartet zu haben (denn das erklärte Ziel, ein Rezept für Hustensaft zu bekommen, hat sie ja nicht erreicht) Luft. Keine Spur von respektvollem Umgang. Der Assistenzarzt reagiert ruhig, berichtigt aber bestimmt, dass die Wartezeit bei 1,5 Stunden lag und dies schon mal möglich sei in einer Notaufnahme, in der nun einmal echte Notfälle bevorzugt behandelt werden.
Barbie-Mama verlässt wutschnaubend die Notaufnahme und schimpft über den schlechten Service.
Daran müsse ich mich gewöhnen, sagt mir Dr. S., selbst noch kopfschüttelnd über die Situation, die mir in jeder Komödie überzogen dargestellt erschienen wäre. Die aber durchaus Alltag ist in der Notaufnahme.
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