Hautärzte aus Heidelberg haben eine Smartphone-App entwickelt, die bislang die erste ihrer Art auf dem deutschen Markt ist. Patienten können dem Dermatologen Fotos verdächtiger Hautstellen schicken und erhalten innerhalb 48 Stunden eine Diagnose.
Online zum Arzt – was in den USA, Skandinavien und der Schweiz schon längst üblich ist, nimmt seit der Lockerung des Fernbehandlungsverbotes durch den Deutschen Ärztetag auch in Deutschland Gestalt an. Anfang November genehmigte die Landesärztekammer Baden-Württemberg erstmals ein dreijähriges Modell-Projekt zur digitalen dermatologischen Befundung. Mittels der Smartphone-Anwendung „AppDoc“ – die erste und einzige für diesen Zweck bislang auf dem deutschen Markt – können Patienten für 35 Euro anonym eine ärztliche Erstmeinung zu verdächtigen Hautstellen einholen. Binnen 48 Stunden erhalten sie eine professionelle Einschätzung und Handlungsempfehlung durch dermatologische Fachärzte aus Heidelberg. Wie funktioniert die App im Alltag?
Nutzer müssen drei Fotos (eine Übersichtsaufnahme und zwei Nahaufnahmen) der betroffenen Hautstelle aufnehmen sowie einige Fragen zu möglichen Symptomen beantworten. Über eine sichere, verschlüsselte Verbindung werden die Informationen an niedergelassene Dermatologen übermittelt. Diese können Rückfragen an den Patienten stellen und anschließend ihre Diagnose in einen nur für Arzt und Patient zugänglichen geschützten Datenraum einstellen. Wer keine Smartphone-App installieren möchte, kann auch über die AppDoc-Website Kontakt mit den Online-Ärzten aufnehmen.
In dieser telemedizinischen Anwendung sieht Dr. med. Titus Brinker, Assistenzarzt an der Universitäts-Hautklinik Heidelberg und Leiter der App-Entwicklung am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg einen großen Vorteil: Patienten bekommen Zugang zu fachärztlicher Einschätzung, ohne das Haus verlassen zu müssen. „Betroffene, die sich in entlegenen Regionen mit keiner oder schlechter ärztlicher Versorgung befinden oder aus anderen Gründen nicht mobil sind, können so schnelle Hilfe bekommen.“ Dies sei besonders im Hinblick auf den Landärztemangel eine wichtige Strategie der zukünftigen Patientenversorgung.
Durch die gewährleistete Anonymität läge außerdem die Hemmschwelle für eine ärztliche Abklärung sehr viel niedriger. „Das ist beispielsweise für Geschlechtskrankheiten sinnvoll, da wissenschaftliche Studien zeigen, dass diese aus Angst vor Stigmatisierung und Schamgefühl häufig viel zu spät diagnostiziert werden“, erläutert Brinker. Den Gang zum Arzt kann „AppDoc“ allerdings nicht vollständig ersetzen. Von bislang 84 eingesandten Patientenfällen musste knapp ein Drittel beim niedergelassenen Kollegen zur Behandlung und Nachkontrolle einbestellt werden. Zwei Drittel konnten ihr Hautproblem jedoch mit empfohlenen freiverkäuflichen Medikamenten aus der lokalen Apotheke in den Griff bekommen. Die Entwickler sehen ihre Anwendung momentan als einen möglichen Schritt vor dem Arztbesuch, um eine qualifizierte Ersteinschätzung zu bekommen. Der Service soll damit die Lücke zwischen einer Internetrecherche und einem persönlichen Praxisbesuch schließen.
Noch ist das Patientenaufkommen allerdings gering. Das größte Problem bei der Nutzung von telemedizinischen Anwendungen sieht Brinker vor allem in der niedrigen Akzeptanz in der Bevölkerung. „Die Gesellschaft ist im Wandel, doch bis die Digitalisierung sich auch in der Patientenversorgung durchsetzt, wird es noch einige Zeit dauern.“ Auch ärztliche Kollegen hätten noch einige Vorbehalte. Viele äußern rechtliche Bedenken bezüglich des Datenschutzes und der Qualität der Befundung. Eine europäische Studie von 2015 konnte zeigen, dass die Diagnose über Fotos von immer besser werdenden Handykameras zu 90 Prozent mit der klassischen Beurteilung übereinstimmt – sofern der Patient die Bilder nach Anleitung aufnimmt. Dennoch ist die Ferndiagnose in ihrer Genauigkeit dem üblichen Arztbesuch noch unterlegen.
Hautfachärzte in Baden-Württemberg, die mit „AppDoc“ arbeiten, benötigen mindestens zehn Jahre Praxiserfahrung und können die digitale Befundung nach der Gebührenordnung für Ärzte abrechnen. Aktuell müssen Nutzer die Kosten von 35 Euro pro Fall über einen externen online Zahlungsanbieter, der die Anonymität gewährleistet, privat tragen. Doch die Entwickler befinden sich bereits in Gesprächen mit Krankenkassen und hoffen, dass diese langfristig für alle Patienten eine Erstattung anbieten können. Das wird nach Einschätzung Brinkers zwar sicherlich noch einige Zeit in Anspruch nehmen, aber die Projektbeteiligten glauben, dass die begleitende wissenschaftliche Evaluation von „AppDoc“ am Ende überzeugen kann.
Alexander Enk, Direktor der Hautklinik am Universitätsklinikum Heidelberg ist sich sicher: „Die Teledermatologie eröffnet große Chancen für eine effizientere Patientenversorgung und bietet auch aufgrund des hohen Innovationsgrades eine Vorreiter- und Vorbildfunktion für weitere telemedizinische Anwendungen in anderen Bereichen.“