Jahrelang hat mein Berufsstand um mehr Anerkennung gekämpft. Man wollte weg von der Rolle als reiner Assistenzberuf. Für mich lag diese Sehnsucht in einem großen Widerspruch, der uns in unserem Arbeitsalltag ständig begegnet.
Auf der einen Seite mussten und müssen wir als Rettungssanitäter auch ohne anwesenden Arzt schnell entscheiden, ob ein Patient schwer erkrankt oder lebensbedrohlich verletzt ist. Auf der anderen Seite gelten Anamneseerhebung, Diagnosestellung und Therapieauswahl immer noch als nicht-delegierbare ärztliche Tätigkeiten. Nur wie hätten wir auch nur einem Patienten helfen können, wenn wir eben diese Tätigkeiten nicht seit jeher einfach übernommen hätten?
Mit einem Bein im Knast
Als ich noch in Ausbildung war, behalf man sich mit merkwürdigen juristischen Laienkonstrukten, wie etwa „Diagnosen dürft ihr nicht stellen, aber Zustandsanalysen sind natürlich erlaubt.“ Ein anderer schöner Satz war: „Als Rettungsassistent stehst du immer mit einem Bein im Knast.“ Ein Freund von mir brachte es damals auf den Punkt, als er entgegnete, dass deswegen sicherlich alle deutschen Knäste voll von einbeinigen Rettungsassistenten seien.
Wir lebten also irgendwie mit diesem Widerspruch und waren nie zufrieden damit. Währenddessen wurde die Notfallmedizin immer komplexer, das Patientenklientel wandelte sich allmählich und die Arbeitsbelastung stieg stetig. Die logische Konsequenz war ein neues Berufsbild: Dreijährig ausgebildet, schon in der Ausbildungszeit bezahlt und deutlich umfassender in erweiterten Versorgungsmaßnahmen, Sozialwissenschaften und psychologischen Techniken geschult. Das Notfallsanitätergesetz war geboren. Vor fünf Jahren trat es dann in Kraft. Zeit, die drei wichtigsten Aspekte anzusprechen, die mich, trotz allem Guten, was wir in den letzten Jahren geschafft und geschaffen haben, immer wieder zur Weißglut treiben.
Wir verschwinden langsam
Was haben wir eigentlich mit den ganzen Rettungsassistenten gemacht? Uns gibt es noch. Unsere Berufsurkunden wurden nicht zerrissen, aber wir verschwinden langsam aus den Rettungsdienstgesetzen der Länder. Der Gesetzgeber schuf eine Überleitungsmöglichkeit durch eine Prüfung. Viele von uns legten sie inzwischen ab und dürfen sich nun auch Notfallsanitäter nennen. Mit allen Rechten und Pflichten. Genau hier beobachte ich aber, dass sich viele Kollegen ihrer neuen Verantwortung nicht so recht bewusst zu sein scheinen. Sie wollen gerne Medikamente geben, dürfen es nun auch, sind aber nicht bereit, die Haftung für Fehler zu übernehmen. Man habe ja nach Protokoll gehandelt. Kurze Anmerkung: Wer behandelt, der haftet. Immer.
Einigen anderen ist das sehr klar. Diese Kollegen sind die skeptischen, die mahnenden. Sie möchten am liebsten keine einzige Maßnahme übernehmen, die juristische Folgen nach sich ziehen könnte.
Liebe Kollegen, wenn ihr so denkt, habt ihr den falschen Job. Wir schulden unseren Patienten, sie auf hohem medizinischen Niveau und unter Aufbietung einer ordentlichen Portion Rückgrat zu behandeln. Das setzt voraus, dass wir uns regelmäßig weiterbilden, auch in der Freizeit und dass wir jungen Kollegen als gutes Beispiel in der täglichen Arbeit dienen.
Der fremde Kollege
Unsere Auszubildenden müssen inzwischen 720 Stunden an einer Klinik eingesetzt werden. Was früher Praktikum hieß und insgesamt recht unverbindlich war, ist nun fest verankerter Ausbildungsbestandteil. Vorher reichte das Ableisten von Stunden, nun sollen Kompetenzen erworben werden. Die Kliniken und ihr Personal stehen dafür in einer ähnlichen Verantwortung, wie sie sie gegenüber ihren eigenen Pflegeschülern tragen. Nur sind Notfallsanitäter keine Pflegenden. Wie viele Geschichten habe ich bisher schon von Auszubildenden gehört, die wochenlang Bettenwagen aufgefüllt, Zimmer geputzt und Maßnahmen der Grundpflege durchgeführt haben. Seien wir ehrlich: Das ist eine Vollkatastrophe.
Natürlich muss von den Auszubildenden erwartet werden dürfen, Demut gegenüber Patienten zu entwickeln und auch unliebsame Arbeiten zu verrichten. Da ist die „harte Hand“ der erfahrenen Pflegekraft durchaus auch etwas, das solche Werte vermitteln kann. Allerdings ist das Ziel der Ausbildung recht klar. Die angehenden Kollegen werden später Atemwege von bewusstlosen Patienten sichern, kreislaufwirksame Medikamente verabreichen und gebrochene Extremitäten unter Analgesie schienen. Sie müssen handwerklich sicher sein und schnelle Entscheidungen treffen können. Der einzig geschützte Ort, dies zu lernen sind die Kliniken, denn die rettungsdienstliche Praxis ist nicht vorhersehbar.
Liebe Pflegekräfte, die sich im Gesagten wiedererkennen: Bitte denkt daran, dass die angehenden Notfallsanitäter, denen ihr grade die Aufgaben eines FSJlers übertragt, womöglich schon übermorgen in eurem Wohnzimmer stehen werden und einem Familienmitglied helfen müssen. Demut ist gut, handwerkliche Sicherheit, etwa bei der körperlichen Untersuchung, der Anlage von Venenkathetern oder dem Verabreichen von Medikamenten ist aber genauso wichtig. Ihr seid die heimlichen Herren im Krankhaus, ohne euch läuft nichts. Nutzt diese Macht ab und zu mal aus, um euch für die Ausbildungsziele der euch anvertrauten Kollegen stark zu machen.
Aber auch dem ein oder anderen Arzt möchte ich mitgeben: Notfallsanitäter sind keine Konkurrenz, sondern Teammitglieder. Wir müssen uns aufeinander verlassen können. Lasst uns im Krankenhaus damit beginnen.
Wie weit da die Missgunst reichen kann, zeigte ein Fall, der mir aus Niedersachsen zugetragen wurde. Ein anästhesiologischer Chefarzt verbot angehenden Notfallsanitätern den Einsatz in seiner Abteilung. Immerhin führe das Berufsbild mittelfristig zur Einsparung von Notarztstellen.
Ich gehöre zu einer aussterbenden Spezies
Meine eigentliche Haupttätigkeit ist ja seit einigen Jahren die schulische Ausbildung. Erst von Rettungsassistenten, dann von Notfallsanitätern. Nach Inkrafttreten des Notfallsanitätergesetzes war es für mich recht schwer, mich in diese völlig neue Richtung zu entwickeln. Auf einmal war Lernfelddidaktik statt Fächerunterricht gefragt. Alle redeten ganz klug von Konstruktivismus und Handlungsorientierung.
Ich gehöre zu einer aussterbenden Spezies und darüber bin ich auch ganz froh. Als nicht-akademisierte Lehrkraft, die auch noch Medizin studieren wollte, habe ich unzählige Rettungsassistentenkurse mit Stoffwechselphysiologie und merkwürdigen anatomischen Details gequält. Wer weiß, was der Processus uncinatus ist?
Ich habe mich da durch den Einfluss von sehr geschätzten Kollegen in den letzten Jahren hoffentlich ein wenig gebessert. Trotzdem höre ich noch von vielen Schulen, dass angehende Mediziner mit Bestandsschutz dort weiter ihren Stiefel durchziehen. Eigentlich ist das nicht im Sinne des Notfallsanitätergesetzes, denn unsere Schüler haben nun ein Anrecht auf handlungsorientierten Unterricht durch richtige Berufsschullehrer. Die werden wir hoffentlich in ein paar Jahren auch ausreichend haben, denn aktuell fliehen viele Kollegen aus den Arbeitsbedingungen des Rettungsdienstes, indem sie Pädagogik studieren. Das ist allerdings Fluch und Segen, denn für einige scheint dies nur eine Notlösung zu ein.
Liebe Dozentenkollegen, Unterricht ist für die Schüler da. Er dient nicht eurer Prüfungsvorbereitung aufs Physikum und darf keinesfalls ein Lückenbüßer sein, wenn man mit seinem gelernten Beruf unzufrieden ist. Auch dient er nicht dazu, stundenlang Geschichten von früher zu erzählen. Was wir aktuell versuchen ist, eine neue Generation zu formen, die die Antwort auf einige dringende gesellschaftliche Probleme sein könnte. Das geht nur, wenn man Demut vor dem Fach und seinen Aufgaben als Lehrkraft mitbringt.
Alles in allem erlebe ich aber zahlreiche Menschen, die an einer tollen Sache mitwirken und die letzten Jahre aufregend gemacht haben. Ob mir persönlich bekannt oder nicht: Danke für euer Engagement! Ich bin trotz aller Widrigkeiten optimistisch, dass wir auf lange Sicht Erfolg haben werden.