'Ein halber verwirrt nur'? Der Deutsche Ethikrat ist bei bestehender, rechtsverbindlicher Entscheidungslösung gegenüber der aktuell kontrovers diskutierten Widerspruchsregelung nicht nur gespalten, sondern es liegt m.E. ein chaotisch willkürliches Denken vor. Es sind vor allem nicht sach- und fachkundige bzw. Medizin-fremde Positionen, welche den notwendigen, öffentlichen Diskurs behindern.
Ursachen mangelnder Organspende-Bereitschaft sind in Deutschland die nach wie fehlenden gesellschaftspolitischen Debatten über bio-psycho-soziale Auswirkungen der Transplantationsmedizin. Bei möglichst lebensfrisch explantierten, transplantablen Spenderorganen mit guten Erfolgsaussichten bei den Organempfängern kann es keine "postmortale", sondern nur eine perimortale Organspende geben.
Fachärzte-Teams, die den Hirntod feststellen, bzw. Ex-, Trans- und Implanteure bewegen sich auf einem denkbar schmalen Grat zwischen Leben und Tod in der denkbar kurzen Zeit zwischen Hirntodfeststellung, Entscheidungsfindung und Transplantations-Geschehen.
"Mehr Organspende-Bereitschaft wagen"
geht nur mit Beharrlichkeit, Überzeugungskraft, Selbst-Reflexion, Nachhaltigkeit, Mut und Offenheit. Transplantationsmedizin bedeutet keine "Wiedergeburt" (Transplantationsmediziner Prof. E. Nagel), sondern einseitige Lebensverlängerung. Es gibt keine "moralisch-ethische Pflicht zur Organspende", sondern nur eine freiwillige Entscheidung dafür oder dagegen.
Insofern ist die einseitig in die Debatte geworfene "Widerspruchslösung" von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, nach der Jede(r) von Geburt an potenzieller Organspender sein und bleiben solle, wenn er nicht ausdrücklich widerspräche, undemokratischen Fundamentalismus und vernebelt den Blick. Sie wird in Spanien gar nicht in dieser Form verwirklicht, wie eine Gruppe von Parlamentariern jüngst feststellen musste: https://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/organspende/article/975345/organspende-spanien-widerspruchsloesung-erfolgreich.html
Zuerst das Positive im Deutschen Ethikrat
Professor Claudia Wiesemann, Direktorin der Abteilung Ethik und Medizin der Universität Göttingen sieht zu Recht kein Spendenproblem, sondern ein Melde- und Organisationsproblem. Organisationsethische Konflikte seien ursächlich für den Rückgang der Spenderzahlen. Die perimortale Organspende Hirntoter mit einem lebendig anmutenden Leib sei die größte Herausforderung für Ärzte, Fachpflegekräfte, Angehörige und Betroffene. Es geht um flankierende Achtsamkeit, Aufmerksamkeit und ethische Zielkonflikte insbesondere bei denen, die im Schatten von strahlen-erfolgreichen Transplanteuren das Maschinen-gestützte Leben von Organspendern nach Organentnahme beenden müssen.
Dem Kölner Staatsrechtler Professor Wolfram Höfling, seit 2012 im Deutschen Ethikrat, ist uneingeschränkt zuzustimmen. Jede Entscheidung zur Organspende ist eine existenzielle Entscheidung über das eigene Sterben. „Ein Widerspruchsmodell lässt sich als verfassungskonforme Lösung des Organmangels nur denken auf der Grundlage der Hirntodkonzeption. Diese ist aber nicht tragfähig“, sagte Höfling. Die Einführung eines Widerspruchsmodells bedeute eine verfassungswidrige Beeinträchtigung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit zum Beispiel in den Fällen, in denen vor der Hirntoddiagnose organprotektive Maßnahmen vorgenommen würden. Die offene Debatte darüber, ob es moralisch legitime Gründe für oder gegen eine Organspende gebe, könne nicht durch moralpädagogische Beeinflussung ersetzt werden.
Kritikwürdige Positionen
Die von Reinhard Merkel, Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie in Hamburg, scheinheilig geforderte „Pflicht zur gesellschaftlichen Minimalsolidarität“ ist in Wahrheit eine utilitaristische „Maximalsolidarität“: Schlagwortartig vom „Akt postmortaler Solidarität“ zu sprechen, verkennt und bagatellisiert den Ernst jeglicher transplantationsmedizinischer Bemühungen. Keineswegs ist es den Menschen zumutbar, sich zur Organspende zu verhalten, sich darüber Gedanken zu machen und zu einer Entscheidung zu kommen, wenn noch nicht mal Experten zwischen post- und peri-mortaler Organspende unterscheiden können oder wollen. „Eine solche Pflicht zur Klärung und Kundgabe ist auch als rechtliche Pflicht ohne weiteres begründbar“, behauptet Merkel. Und steigert dies noch: „Sie sei sogar rechtsethisch geboten“: Ganz so, als hätte er noch nie etwas von höchstrichterlich gebotener „Informationeller Selbstbestimmung“ gehört?
Die Begründung von Professor Wolfram Henn, Facharzt für Humangenetik, sich hinter das Widerspruchsmodell stellen, ist in meinen Augen Realsatire. Der verwaltungs- und erbrechtliche Vergleich, wie mit dem Nachlass eines Menschen umgegangen werde, wenn jemand kein Testament abgefasst habe, tritt nach allgemeine Regeln der Vernunft erst weit jenseits von transplantationsmedizinischen Erwägungen in Kraft. Das kann schon deshalb niemals für die Organspende gelten. Sowohl nach der Widerspruchsregelung als auch nach dem derzeit geltenden Zustimmungsmodell steht jedem Menschen zu Lebzeiten eben n i c h t das uneingeschränkt Recht zu über seinen Tod fortwirkend, über die Verwendung seiner Organe zu bestimmen, sondern nur b i s zu seinem Hirntod.
In den Diskurs gehört auch das immer wieder selbst von einigen Ärztinnen und Ärzten öffentlich vorgetragene Argument, eine Selektion von zur Organspende bereiten und nicht bereiten Personen einzuleiten: In dem Sinne, dass "wer sich nicht selbst zur Organspende bereit erklärt, auch keine fremden Organe bekommen solle". Dies verkennt, dass viele unserer Patientinnen und Patienten auf Grund von wesentlichen, bedrohlich lebensverkürzenden Erkrankungen selbst niemals als potenzielle Organspender, sondern nur als Organempfänger in Frage kämen.