Wollen Arbeitgeber ihre Angestellten zu mehr Bewegung motivieren, nützt Strafe offenbar mehr als Belohnung – diesen Effekt beobachteten Forscher. Stellt die Untersuchung damit das Prinzip aktueller Belohnungssysteme als Motivation für gesundheitsbewusstes Handeln infrage?
Gesundheitsbewusstes Verhalten durch Belohnung zu fördern, galt bisher als sinnvolle Strategie von Gesundheitsprogrammen. Ein höheres Maß an täglicher Bewegung gilt dabei unter anderem als nützliche Maßnahme – etwa im Kampf gegen Übergewicht und die damit verbundenen Risiken, wie kardiovaskuläre Erkrankungen oder Diabetes. Forscher untersuchten nun in einer aktuellen Studie [Paywall], ob Angestellte sich entweder durch eine finanzielle Belohnung oder aber den Verlust derselbigen zu mehr Bewegung motivieren ließen. Das Ergebnis überrascht: Die Angst vor dem Verlust eines potenziellen Bonus entpuppte sich als weitaus stärkere Triebfeder als die Aussicht auf einen Gewinn.
Insgesamt nahmen 281 Probanden an der Studie der Division of General Internal Medicine der University of Pennsylvania teil. Für die randomisierte, kontrollierte Untersuchung wählte das Forscherteam um Dr. Mitesh Patel übergewichtige bis adipöse Angestellte mit einem Durchschnittsalter von 39,7 Jahren und einem BMI über 27 (durchschnittlich 33,2). Über einen Zeitraum von 13 Wochen sollten die Teilnehmer täglich ein Bewegungsziel von 7.000 Schritten erreichen. Die Wissenschaftler teilten die Probanden in vier Gruppen ein, mit jeweils unterschiedlichen Motivationsanreizen:
Die Auswertung zeigte bemerkenswerte Unterschiede zwischen den Gruppen: Die erste Gruppe, deren Beteiligte eine tägliche Belohnung ergattern konnten, erreichte im Mittel an 35 % der Studientage das Schrittziel und lieferte somit vergleichbare Ergebnisse wie die zweite Gruppe mit durchschnittlich 36 %, die auf einen Losgewinn hoffen durfte. Beide Gruppen waren jedoch – wie zu erwarten – mit Aussicht auf eine Belohnung motivierter als die Kontrollgruppe, die lediglich an 30 % der beobachteten Tage die geforderten Schritte zurücklegte. Doch nur die Versuchsteilnehmer der dritten Gruppe setzten sich in puncto Bewegung deutlich von den anderen Gruppen ab: Sie erreichten an 45 % der Studientage das Bewegungsziel und verzeichneten einen signifikanten Aktivitätsvorteil von 16 % gegenüber der Kontrollgruppe. Offenbar hatte die Furcht vor dem Verlust des vorausgezahlten Bonus den stärksten Effekt auf die Motivation.
Spätestens seit Forscher in den Fünfzigerjahren das Belohnungssystem im Gehirn entdeckten, gilt die Aussicht auf Belohnung als starker Motivator für das eigene Tun. Löst der Lohn durch die Ausschüttung von verschiedenen Endorphinen und Oxytocin Glücksgefühle aus, kann dies zu einer starken Triebkraft unseres Handelns werden. Auch bezogen auf gesundheitsbewusstes Verhalten lässt sich die Strategie anwenden. So bieten inzwischen viele gesetzliche Krankenkassen Bonussysteme an, die greifen, wenn sich Versicherte besonders kosten- oder gesundheitsbewusst verhalten. Wer beispielsweise sein Gewicht hält, Sport treibt oder regelmäßig Vorsorgeuntersuchungen wahrnimmt, kann Punkte sammeln und sich an Geld- oder Sachprämien erfreuen. Auch viele Unternehmen nutzen positive Anreize für Arbeitnehmer im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements. Und sogar Arbeitgebern winken Vorteile – beispielsweise in Form von Steuervorteilen – wenn sie in gesundheitsfördernde Maßnahmen ihrer Mitarbeiter investieren. Die aktuell vorgelegte Studie von Dr. Patel und seinen Mitstreitern wirft nun ein anderes Licht auf diese Vorgehensweisen. Denn aus wissenschaftlicher Sicht spielt auch ein anderer Effekt, von Psychologen als „Verlustaversion“ bezeichnet, als Motivationstreiber eine wesentliche Rolle. „Wir wissen, dass Menschen zu irrationalem Verhalten neigen, aber auf vorhersagbare Weise“, so Patel. „Sie neigen dazu, stärker auf Verlust als auf Gewinn zu reagieren. Unsere Gehirne sind auf diese Weise programmiert.“
Auch andere Experten wie Soeren Mattke, leitender Direktor der unabhängigen Forschungsorganisation RAND Corporation, stimmen den Schlussfolgerungen der Studienautoren zu. „Die Ergebnisse stimmen mit dem überein, was wir über menschliches Verhalten wissen“, kommentiert Mattke die Untersuchung. „Aus der Wirtschaftstheorie ist gut bekannt, dass ein Verlust einen stärkeren Effekt auf Menschen ausübt als ein Gewinn desselben Werts“, so Mattke weiter, der ebenfalls bereits über Anreizmodelle für Gesundheitsprogramme forschte. „Wenn ich Ihnen 10 Dollar gebe, wirkt sich dies weniger stark aus, als wenn ich damit drohe, Ihnen 10 Dollar wegzunehmen.“ Mattke fügt allerdings hinzu, dass es sehr schwierig sein kann, ein Anreizmodell zu implementieren, das Mitarbeitern mit Geldverlust droht. „Aus der Angestellten-Perspektive haben Bestrafungen einen schlechten Nachgeschmack“, argumentiert der Experte weiter. Es sei daher deutlich leichter den Leuten zu sagen ‚wir geben dir 10 Dollar mehr, wenn du am Gesundheitsprogramm teilnimmst‘, weil das ganz anders rüberkomme als zu sagen ‚wenn du nicht mitmachst, blockieren wir deine Auszahlung‘. Eine andere Möglichkeit, einen Anreiz zu schaffen, bestehe für Arbeitgeber darin, erst den Geldbetrag anzuheben und dann zu sagen ‚leistest du Folge, kannst du das Geld zurückbekommen‘. Mattke erklärt den Zusammenhang weiter: „In Wirklichkeit liegt kein Geld auf dem Tisch, dennoch wird das Bild eines Gewinns erzeugt.“ Auf diese Weise komme die Maßnahme besser an.
Zwar untersuchte die vorgelegte Studie den Motivationseffekt von finanziellem Gewinn oder Verlust ausschließlich in Bezug auf körperliche Aktivität, doch die Strategie könnte sich auch dazu eignen, um andere gesundheitsfördernde Ziele zu erreichen. Denn laut Dr. Patel weisen auch andere Studienergebnisse daraufhin, dass die Verlustaversion Angestellte beispielsweise dazu motivieren kann, mit dem Rauchen aufzuhören oder ihr Gewicht zu reduzieren. „Ich denke es gibt die Möglichkeit, diese Taktik auch auf andere Szenarien zu übertragen“, schlussfolgert Patel. Zuletzt stellt sich allerdings doch die Frage, ob der beobachtete Effekt auch längerfristig Wirkung zeigt. Denn in der Studie ließ sich auch beobachten, dass die Motivation der Probanden aller Gruppen mit der Zeit deutlich nachließ. Am Ende des Beobachtungszeitraums erreichten sowohl die Gruppe der Sanktionierten als auch die Kontrollgruppe an gleich vielen Tagen das Bewegungsziel. In jedem Fall aber könnte die Studie Anlass für Arbeitgeber und Krankenkassen sein, die bisherige Vorgehensweise bei Programmen zur Gesundheitsförderung zu überdenken und gegebenenfalls zu überprüfen, ob sich gesetzte Ziele durch andere Strategien besser erreichen lassen.