„Viele Ärzte trauen sich nicht, die Kette zu legen“, sagt ein Gynäkologe im Gespräch mit DocCheck. Die meisten seiner Kollegen wollen nichts von dieser hormonfreien Verhütungsmethode wissen. Das ist problematisch, weil das Interesse auf der Patientinnenseite wächst.
Frauen stehen heute viele unterschiedliche Optionen der Verhütung zur Auswahl. Zu den verlässlichsten zählen das Kondom, die Pille sowie andere Varianten der hormonellen Verhütung. Und dann gibt es da noch die hormonfreie Methode basierend auf Kupferionen, die sowohl unter Laien als auch Medizinern immer wieder für Gesprächsstoff sorgt. Denn der Patientinnenwunsch, mit Kupferspirale, -kette oder -ball zu verhüten, steigt. Für dieses Interesse haben allerdings nicht alle Gynäkologen ein offenes Ohr. „Gynäkologin will mir keine Kupferspirale geben?“ lautet etwa der Titel eines Eintrags auf dem Portal gutefrage.de. Andere Beispiele findet man schnell:
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Wie lässt sich diese Ablehnung erklären? An der Sicherheit liegt es vermutlich nicht: Der Pearl-Index von Kupferspirale, Kupferkette und Kupferperlenball ist wie bei der Anti-Baby-Pille äußerst niedrig und liegt zwischen 0,2 und 2, abhängig von Methode und korrekter Anwendung.
Contraceptive Knowledge files via rutgers. nl (Anm. d. Red.: In Zeile 4 ist den Autoren ein Fehler unterlaufen. Statt „Diagram“ muss es wohl „Diaphragm“ heißen)
Wie Kupferionen funktionieren
In seiner Vollständigkeit ist der Wirkmechanismus von Verhütungsmethoden auf Kupferionenbasis laut Alvarez et al. noch nicht verstanden. „Intrauterine Devices (IUDs) erzielen ihre primäre kontrazeptive Wirkung, indem sie die Spermienmotilität stören und damit die Befruchtung verhindern. [Sie] lösen eine endometriale Reaktion aus, die eine Freisetzung von Leukozyten und Prostaglandinen begünstigt. Diese sorgen simultan in der Zervix, der Gebärmutterhöhle und den Eileitern dafür, Spermien daran zu hindern, das Ei zu befruchten“, heißt es in einem Informationsblatt der Vereinten Nationen. In einer Studie aus dem Jahr 1987 zu dem Spiralenmodell Copper T 200 beobachteten die Forscher, dass der Einsatz von Kupferionen beim Großteil der Spermien zur Durchtrennung von Kopf und Schwanz der Samenzellen führte.
Die wenigsten absolvieren die Schulung
Kupfersysteme sind Gynäkologen ein Begriff. Auch haben die meisten von ihnen kein Problem mit der Intrauterinspirale aus Kupfer, weil es bis auf den Inhaltsstoff kaum Unterschiede zur klassischen Hormonspirale gibt. Anders ist es allerdings mit dem Kupferperlenball (IUB) und besonders problematisch wird es bei der Kupferkette des Herstellers Gynefix. Ihnen steht ein großer Teil der Frauenärzte skeptisch gegenüber. Die Folge: „Frauen kommen aus entfernten Regionen in meine Praxis, nur um sich eine Kette legen zu lassen, weil der eigene Arzt den Service nicht anbietet“, sagt Gynäkologe Dr. Ebrahimi im Gespräch mit DocCheck.
Damit man Patientinnen die Kupferkette legen kann, benötigt man ein Zertifikat, das man im Zuge einer einstündigen Schulung erwirbt. Danach landen Ärzte auf einer Liste, die Patientinnen dabei helfen soll, einen Arzt zu finden, der die Verhütungsmethode anbietet. Die Liste ist, verglichen mit der Zahl an Frauenärzten in Deutschland, überschaubar. Nicht viele absolvieren die Schulung.
Ärzte und die Angst vor der Kette
„Viele Ärzte trauen sich nicht, die Kette zu legen. Andere versuchen, sie schlecht zu reden. Das erlebe ich bei Podiumsdiskussionen immer wieder“, erzählt der Gynäkologe mit eigener Praxis in Hannover. Die Angst, beim Legen etwas falsch oder kaputt zu machen, dürfte bei vielen Ärzten groß sein. Sie befürchten, das Objekt könne im Körper zu Entzündungen führen, verrutschen oder sich lösen und in den Bauchraum wandern. Solche Dinge passieren. Allerdings äußerst selten: „Mein Schätzwert ist, dass im Jahr 3 bis 5 Ketten und 4 bis 6 Bälle abgestoßen werden“.
Ein Risiko, das man beim Ball nicht hat: Die Kette kann tatsächlich durch die Gebärmutter in den Bauchraum wandern. Dann muss sie im Zuge einer Bauchspiegelung entfernt werden. Dieses Risiko gilt allerdings ebenso für eine Kupfer- oder Hormonspirale. Auch sie kann im Bauchraum landen, wenn versehentlich die Gebärmutter durchstochen wurde. „In meinem ganzen Leben hatte ich vier solche Fälle mit der Kupferkette“, sagt Ebrahimi, der etwa 200 Kupferketten im Jahr legt.
In diesem Zusammenhang gibt es noch ungeklärte Fragen. So ist unklar, wie häufig diese Fälle, wenn das Legen der Kette schief geht und mit einer OP endet, im Durchschnitt vorkommen. Kommen Ebrahimis Kollegen auf eine ähnliche Zahl oder durchstechen sie im Schnitt die Gebärmutter deutlich öfter als er? Wie einheitlich die Qualität dieser Leistung bei allen Gynäkologen ist, die das Legen der Kupferkette anbieten, lässt sich nicht sagen, dazu fehlen die nötigen Daten.
Kette vs. Pille: ein unmöglicher Vergleich
Von statistischen Werten abgesehen, fällt es schwer, das Risiko, das durch die Verhütung mit einer Kupferkette besteht, im Vergleich mit anderen Verhütungsmethoden einzuschätzen. Unterschiedliche Risiken lassen sich kaum vergleichen: Das Legen der Kupferkette bringt ein völlig anderes gesundheitliches Risiko mit sich als die langfristige Einnahme der Anti-Baby-Pille. Letztere ist unter Medizinern sowie in der Gesellschaft aufgrund der möglichen Nebenwirkungen ein vieldiskutiertes Thema.
Erst am 21. Januar 2019 wurde ein Rote-Hand-Brief veröffentlicht, der einen neuen Warnhinweis zu Suizidalität als mögliche Folge einer Depression unter der Anwendung hormoneller Kontrazeptiva enthält. Künftig soll auf dem Beipackzettel vor depressiven Verstimmungen und Suizidgedanken gewarnt werden. Zuvor, am 11. Dezember 2018, hatte das BfArM bereits einen anderen Rote-Hand-Brief verschickt. Darin wurde auf ein leicht erhöhtes Risiko für venöse Thromboembolien (VTE) aufmerksam gemacht, das mit der Einnahme von kombinierten hormonalen Kontrazeptiva (KHK) assoziiert ist, die Dienogest und Ethinylestradiol (DNG/EE) enthalten.
Ein Kontrazeptivum, das ausschließlich Vorteile und keinerlei Nachteile mit sich bringt, gibt es nicht. Es liegt an jeder Patientin, abzuwägen, welche Verhütungsmethode für sie die geeignetste ist. Trotzdem: Einige Ärzte sehen in der Kupferkette keine Alternative, sondern eine Gefahr. „Nach über 30-jähriger gynäkologischer Erfahrung würde ich im Leben nicht einer Patientin einen Haken in die Gebärmutter einführen (und das noch ohne direkte Sicht)“, lautet der Kommentar eines Gynäkologen aus der DocCheck-Community. „Und dann bei der Entfernung die Gebärmuttermuskulatur verletzen! Als dieses Präparat auf den Markt kam, habe ich auch ein derartiges Training absolviert und der Trainerin gesagt, dass ich so etwas den Patienten nicht zumute“, macht der Frauenarzt seinen Standpunkt klar. Für neue intrauterine Methoden sieht er keinen Bedarf: „Ich wundere mich, dass sich dieser Unsinn so lange auf dem Markt halten kann, zumal es hervorragende Intrauterinpessare gibt (z.B. die Hormonspirale von Mirena), die einfach einzulegen sind und in meiner Praxis bei mehreren hundert Einlagen eine positive Rückmeldung von circa 98 % brachten.“
Diese Aussage kann Ebrahimi nicht nachvollziehen. „Reinstechen in die Gebärmutter ist aus Sicht vieler Kollegen etwas ganz Schlimmes. Oft wird die Gebärmutter ausgeschabt oder bei einer Kaiserschnittentbindung komplett eröffnet, aber die kleine Punktion der Gebärmutter bei der Kupferkette soll das Schlimmste sein, diese Logik soll mir einmal jemand erklären“, so der selbst operativ tätige Gynäkologe.
Schule des Lebens
Wie das Legen einer Kupferkette funktioniert, lernt man in einer einstündigen Schulung. Ärzte erhalten in dieser Stunde eine genaue Anleitung, wie die Kette eingesetzt wird. Ziel ist es, den Vorgang grundsätzlich zu verstehen. Der Lernprozess beginnt danach: In welchem Winkel man in das Dach hineinstechen oder wie die Kontrolle danach ablaufen soll, lernt man erst in der Praxis. Die korrekte Ausführung erfordert Übung und Fingerfertigkeit, sagt Ebrahimi. Schließlich können Uterusformen sehr unterschiedlich ausfallen. „Manchmal ist das Legen besonders tricky, zum Beispiel dann, wenn die Gebärmutter retroflektiert, steil oder verdreht ist. Je öfter man legt, desto besser kommt man auch mit den Spezialfällen zurecht.“
Welche IUD-Variante sich für welche Patientin am besten eignet, hängt von der Uterusform und Gebärmutterwanddicke ab. Während die Spirale in vielen Fällen erst dann in Frage kommt, sobald eine Frau bereits entbunden hat, können Kette und IUB schon bei jungen Frauen gelegt werden. Die Patientenzufriedenheit mit Kupfersystemen in Ebrahimis Praxis ist hoch. Von 10 Frauen berichten maximal 2 über eine stärkere Menstruationsblutung, die sie aber nicht als störend empfinden.
Ist es fair von Ärzten, die Kupferkette zu ignorieren?
Der Status Quo ist: In jeder Frauenarzt-Praxis herrscht ein anderer Umgang mit IUP, IUB und Kupferkette. Aus Ebrahimis Sicht ist die Beratung in vielen Praxen unvollständig, wenn Ärzte sich weigern, die Verhütung mit Kupferionen als gleichwertig mit anderen etablierten Systemen anzuerkennen. „Es wird nicht neutral aufgeklärt. Ich muss nicht jede Verhütungsmethode mögen. Aber ich bin dazu verpflichtet, über alles zu beraten, was es auf dem Markt gibt.“
Zudem bedeute das Ausschließen von Kette und Ball auch, dass für viele junge Frauen nur Kondom und die Anti-Baby-Pille in Frage kämen. Ebrahimi: „Was ist, wenn eine junge Frau, die noch keine Kinder hat, sagt, sie möchte keine Hormone nehmen? Was biete ich ihr an?“
Skeptikern wird es in der Zukunft immer schwerer gemacht, das Thema Kupfer zu umgehen. Noch ist die Anti-Baby-Pille zwar die Nummer eins unter den Verhütungsmethoden. Doch während die Nachfrage für IUD-Systeme vermutlich steigen wird, lässt der Wunsch, mit der Anti-Baby-Pille zu verhüten, schon jetzt nach. „Von 10 meiner Patientinnen wählt ungefähr ein Drittel die hormonelle Methode. Ein weiteres Drittel verhütet mit der Hormonspirale. Die dritte Gruppe entscheidet sich für die hormonfreie Methode auf Kupferionenbasis. Dieses Drittel wächst seit drei Jahren kontinuierlich“, so Ebrahimis Eindruck.
Quelle: unpopulation.org
Die Schulung, wie man Kupfersysteme anwendet, wäre eigentlich schon während der Ausbildung wünschenswert, das ist aber schwer umsetzbar. Sinnvoller wäre es, den Kurs Fachärzten anzubieten. Auf diese Weise könnte man Gynäkologen vielleicht von vornherein die Angst nehmen.
Stichwort Geld: Wer profitiert?
Welche Kosten kommen auf Patienten zu, wenn sie sich für die Kupferkette entscheiden und inwiefern profitieren Ärzte finanziell, wenn sie diesen Service anbieten? Der UVP der Kupferkette beträgt ca. 130 Euro. Der Arzt hat entweder Produkte vorrätig oder stellt ein Rezept aus. Dazu kommen aber noch weitere Kosten, die in Arztpraxen unterschiedlich hoch ausfallen: in jedem Fall für das Einlegen der Kette und bei Bedarf auch für eine vorangehende Chlamydienuntersuchung oder eine Narkose während des Einsetzens. Dazu kommen eventuelle Kontrolluntersuchungen, ob Kette oder Spirale richtig sitzen.
Laut Herstellerseite ist mit durchschnittlichen Gesamtkosten „meist zwischen 250 und 450 Euro auf die Tragedauer von 5 Jahren“ zu rechnen. Sollten diese Angaben tatsächlich realistisch sein, wären das bei 450 Euro innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren Monatskosten von 7,5 Euro. Es gibt Anti-Baby-Pillen, die deutlich günstiger sind, bei der Top 10 der meistverkauften Präparate aus dem Jahr 2014 trifft dies beispielsweise aber nur auf zwei von zehn Präparaten zu. Die restlichen acht Produkte bewegen sich zwischen 7,70 und 13 Euro. Auf ihrer Website listet die Beratungsstelle Pro Familia die Preise für unterschiedliche Verhütungsmethoden und gibt für die Anti-Baby-Pille 4,33 bis 22,10 Euro monatliche Kosten, je nach Packungsgröße und Präparat, an.
Bis zum vollendeten 20. Lebensjahr wird gesetzlich versicherten Frauen die Kostenübernahme für verschreibungspflichtige Verhütungsmittel zugesichert. Was eine Kostenübernahme von Krankenkassen betrifft, gibt es keine einheitliche Regelung. Auf ihrer Website reagiert die BARMER etwa auf eine Kundenanfrage wie folgt: „Die Kupferkette Gynefix ist in Deutschland zugelassen und kann auf rosa Kassenrezept verordnet werden für Versicherte bis zum 20. Geburtstag. Ab 18 Jahren würde lediglich die gesetzliche Zuzahlung anfallen, wenn keine Befreiung vorliegt. Wir haben noch eine weitere interessante Information für Sie: Die Wirkung der Kupferkette beträgt mehrere Jahre. Die Barmer übernimmt auch dann die Kosten in voller Höhe, wenn die Wirkung über das 20. Lebensjahr hinausgeht. Wichtig ist nur, dass die Kette vor dem 20. Geburtstag eingesetzt wird. Wenn Ihr Arzt nicht sicher ist und nur auf Privatrezept verordnen möchte, sprechen Sie uns gerne noch einmal an.“
Für eine 30-Jährige, die ab sofort gerne mit der Kupferkette verhüten würde, sieht es mit der finanziellen Unterstützung also eher schlecht aus. Ob und wie lange man als Trägerin einer Kupferkette mit einer Kostenübernahme von Krankenkassen rechnen kann, hängt vermutlich sehr von der eigenen Argumentation und der jeweiligen Krankenkasse ab.
Kritikpunkt: Datenlage könnte besser sein
Was Studien zur Kupferkette betrifft, wird häufig die Cochrane Review aus dem Jahr 2001 zitiert, in der die Verhütungseffektivität der 6-gliedrigen Kupferkette mit jener der kupferhältigen Intrauterin-Spirale TCu380 beziehungsweise TCu380A verglichen wurde. In einem Update-Bericht aus dem Jahr 2018 berücksichtigt Allessandra Tramontana auch neue Studienergebnisse und fasst den aktuellen Wissensstand zu den unterschiedlichen IUDs zusammen.
Ihr Fazit: Die Sicherheit der Methode sei vergleichbar mit der einer Sterilisation, mit dem Unterschied, dass bei ersterer die Reversibilität jederzeit gegeben sei. Im Hinblick auf mögliche Probleme mit Kupfersystemen nennt Tramontana im Wesentlichen zwei Punkte. Erstens: „Es wird davon ausgegangen, dass Einlage, Entfernung und Wechsel mit der damit einhergehenden Bakterienaszension und -besiedelung das Risiko einer PID (pelvic inflammatory diesease) kurzfristig für die ersten 20 Tage erhöhen […] Nach 20 Tagen sinkt dann das Risiko einer PID auf ein minimales Niveau und bleibt auch unter Langzeitanwendung sehr niedrig und vergleichbar mit dem einer Nichtanwenderin.“ Und zweitens: „Die Entfernung aus medizinischer Indikation aufgrund einer PID ist allerdings wesentlich seltener als die Entfernung auf Wunsch der Patientin (9 %) wegen Blutungen oder Schmerzen.“
An einigen relevanten Studien über die Kupferkette war Erfinder Dirk Wildemeersch beteiligt, zum Kupferperlenball existieren bisher sogar ausschließlich Studiendaten vom Hersteller. Deshalb wäre noch mehr Forschungsarbeit völlig unabhängiger Wissenschaftler auf dem Gebiet der Kupfersysteme wünschenswert. Zudem ist ein großer Teil der Arbeiten schon zu alt und bezieht sich teilweise auf veraltete Systeme. Sowohl Kupferspirale als auch Kette und Ball wurden überarbeitet und optimiert. Außerdem gibt es keine großangelegte Studie, in der wirklich alle Verhütungssysteme in Hinsicht auf Sicherheit, Komplikationen, Nebenwirkungen und Patientenzufriedenheit miteinander verglichen werden.
Auch fehlen verlässliche Zahlen dazu, wie viele Frauen mit welcher Methode verhüten. Zwischen Hormon- und Kupferspirale wird in Umfragen und Arbeiten häufig nicht unterschieden. Hier herrscht dringender Informationsbedarf für Mediziner und die Öffentlichkeit. Auch wenn das Interesse an alternativen Verhütungsmethoden bei Frauen stetig steigt – bei Gynäkologen und Forschern hält es sich hierzulande bislang in Grenzen.
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