Ein Pneumologe befeuert mit einer Unterschriftenaktion die Diskussion um Fahrverbote für Diesel-PKW. Die geltenden Grenzwerte seien wissenschaftlich nicht belegt, die Debatte sei vor allem ideologiegeleitet. Was soll man glauben?
Mehr als 100 Pneumologen haben ein Positionspapier unterzeichnet, das die gesundheitlichen Risiken von Stickstoffdioxid (NO2) und Feinstaub anzweifelt. Sie fordern eine Neubewertung der derzeit gültigen Grenzwerte. Initiator der Unterschriftenaktion ist der ehemalige Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) Prof. Dieter Köhler. Damit befeuern sie die laufende Diskussion um Fahrverbote für ältere Dieselfahrzeuge. Der aktuell bestehende Grenzwert wird in vielen deutschen Städten überschritten. Als Konsequenz verhängten die Verwaltungsgerichte in zahlreichen Städten Fahrverbote für Diesel-PKW. Worum geht es den Ärzten in ihrer Kritik?
Im November 2018 positionierte sich der Vorstand der DGP unter dem aktuellen Präsidenten Prof. Klaus Rabe recht eindeutig und wies ausführlich auf die Gesundheitsrisiken von Luftschadstoffen wie Stickstoffdioxid (NO2) hin. Grundlage dafür war eine Studie des Helmholtz Zentrums in München, die im Auftrag des Umweltbundesamts die NO2-Belastung in Deutschland untersuchen sollte, wie DocCheck berichtete.
Als Basis für die Erhebung dienten Stickstoffdioxid-Belastungskarten einerseits und Gesundheitsdaten aus Literaturrecherchen andererseits. Die Epidemiologen verglichen darin Personen, die hohen NO2-Belastungen ausgesetzt waren mit Personen, die weniger NO2-Belastung ausgesetzt waren. Das Ergebnis: Die Experten bringen 6.000 vorzeitige Todesfälle aufgrund von kardiovaskulären Erkrankungen mit dem Schadstoff in Verbindung.
In dem aktuellen Positionspapier kritisieren die Autoren um den ehemaligen Präsident der DGP, Prof. Köhler, dass der Großteil der Studien methodisch fragwürdig sei. Die Studien zur Gesundheitsgefährdung durch Luftschadstoffe beruhten auf epidemiologischen Daten, aus denen sich keine Kausalität ableiten lasse. So heißt es in dem Papier: „Man findet mehr oder weniger regelhaft eine sehr geringe Risikoerhöhung in den staubbelasteten Gebieten, meistens nur um einige Prozent. Aus dieser Korrelation wird fälschlicherweise eine Kausalität suggeriert [...]“ Weiter heißt es, dass Störfaktoren wie Rauchen, Alkoholkonsum und Bewegung nicht ausreichend berücksichtigt wurden: „Alle diese Faktoren wirken meist hundertfach stärker als der Risikoerhöhung durch die Luftverschmutzung in den Kohortenstudien zuzuordnen ist.“ Außerdem weisen die Autoren der Stellungnahme darauf hin, dass Lungenfachärzte täglich Todesfälle durch Zigarettenrauch sähen, „jedoch Tote durch Feinstaub und NOx, auch bei sorgfältiger Anamnese, nie.“
In der Stellungnahme machen die Autoren richtigerweise auf die Grenzen epidemiologischer Studien aufmerksam. Schließlich handelt es sich bei modernen epidemiologischen Studien um komplexe mathematisch-statistische Modelle, mit denen versucht wird, sich einer Kausalität anzunähern. Dem Umweltbundesamt ist das Problem bewusst. Es schreibt auf seiner Website: „Bei epidemiologischen Studien wird die Bevölkerung in einer realen Situation untersucht. [...] Aber im wirklichen Leben können die Randbedingungen nicht kontrolliert werden. Was gefunden wird, ist das Ergebnis vieler Einflussfaktoren, die auch nicht immer bekannt sind. [...] Epidemiologische Studien können Kausalität nie beweisen, aber doch wahrscheinlich machen, wenn bestimmte Anforderungen erfüllt sind.“
Laut NO2-Studie des Umweltbundesamtes ist Stickstoffdioxid ursächlich an der Entstehung von Erkrankung beteiligt. Diesen Zusammenhang herzustellen, ist nach den Regeln der Epidemiologie aber gar nicht erlaubt. Den beobachteten Zusammenhang zwischen NO2 und der Entstehung von Krankheiten müssten Forscher mit anderen Methoden überprüfen. Die Effekte eines einzelnen Luftschadstoffs lassen sich aber nur schwer messen. Die in der Studie vom Umweltbundesamt aufgeführten Erkrankungen könnten auch auf andere Luftschadstoffe, wie Feinstaub, zurückzuführen sein. Zwar geben tierexperimentelle Studien Hinweise auf einen Zusammenhang, doch kann man solche Ergebnisse nicht ohne Weiteres auf den Menschen übertragen. Einen genauen Wert, ab wann NO2 für Menschen gefährlich wird, lässt sich davon nicht ableiten. Der derzeitige Grenzwert für Stickstoffdioxid liegt bei 40 µg/m3 im Jahresdurchschnitt.
Die Stellungnahme der Ärzte wird vielfach kritisiert. SPD-Politiker Karl Lauterbach hält eine mögliche Aussetzung der Grenzwerte für verantwortungslos. Bei MDR-Aktuell erklärte er: „Wir haben keine Studien, die derzeit die Gefährdung infrage stellen würden. Im Gegenteil – die neueren Studien zeigen, dass die Grenzwerte eher zu hoch als zu niedrig sind. Ich bitte hier gerade den Schutz von älteren Menschen und von Kindern zu beachten“.
Die Ärzte fordern in ihrer Stellungnahme eine Versachlichung der Diskussion. Genau aus diesem Grund ist die Kritik der Ärzte am Grenzwert für Luftschadstoffe berechtigt. Das bedeutet nicht, dass Luftschadstoffe per se ungefährlich sind. Schließlich ist es der Sinn der Wissenschaft, ihre Ergebnisse und Thesen kritisch zu hinterfragen. Die Debatte soll letzlich dazu führen, sich der Realität so gut wie möglich anzunähern.
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