Über Jahre hinweg hat sich die Palmöl-Industrie zu einer mächtigen Größe im Lebensmittelbereich entwickelt. Forscher zeigen jetzt Parallelen zum umstrittenen Vorgehen von Alkohol- und Tabakherstellern auf. Wie lässt sich der Palmöl-Einfluss minimieren?
„Die Beziehung zwischen der Palmöl- und der verarbeiteten Lebensmittelindustrie und den von ihnen angewandten Taktiken ähnelt der Tabak- und Alkoholindustrie. Die Palmölindustrie wird jedoch vergleichsweise wenig untersucht “, schrieb Sowmya Kadandaleim vom United Nations Children’s Fund in Jakarta im kürzlich veröffentlichten Bulletin of the World Health Organization. Laut Statista hat sich die Weltproduktion zwischen 2002/2003 (rund 28 Millionen Tonnen) und 2018/2019 (geschätzte 72 Millionen Tonnen) fast verdreifacht. Solche Trends führt die Wissenschaftlerin auf aggressive Geschäftspraktiken zurück.
Palmöl wird aus dem Fruchtfleisch von Palmfrüchten gewonnen. Der Schmelzbereich liegt zwischen 27°C und 42°C, also deutlich über dem vieler pflanzlicher Öle, was Palmöl zu einem interessanten Zusatz für Lebensmittel macht. Experten rechnen mit einem weiteren Anstieg des Palmöl-Verbrauchs, da Trans-Fettsäuren weltweit zurückgedrängt werden. Letztere entstehen bei der Hydrierung flüssiger Pflanzenöle, um streichfähige Produkte herzustellen. Sie gelten physiologisch als bedenklich; Assoziationen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind bekannt.
Nur ist Palmöl keine gute Alternative. Es erhöht den Spiegel an LDL-Cholesterin und steht mit erhöhten Risiken, an kardiovaskulären Erkrankungen zu sterben, in Verbindung. Bereits im Jahr 2003 bewertete die World Health Organization (WHO) und die Food and Agriculture Organization (FAO) Assoziationen des Palmöl-Konsums mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen als „überzeugend“. Manche Papers bestätigten den Zusammenhang nicht, es besteht Bedarf an weiteren Untersuchungen. Auffällig war, dass vier von Kadandale überprüfte Veröffentlichungen mit überwiegend positiver Bewertung des Palmöls aus der Feder des Malaysian Palm Oil Boards stammten.
Gesundheitliche Gefahren drohen noch von anderer Seite. Vor Ort kommen Emissionen durch exzessive Brandrodungen, etwa toxische Gase oder Feinstaub, noch hinzu. Weltbank-Experten schätzen, dass allein im Jahr 2015 circa 100.000 Todesfälle darauf zurückzuführen waren. Die Pflanzungen selbst verschmutzen Böden bzw. Wasserläufe, führen aber auch zur verstärkten Emission von Treibhausgasen.
Hersteller sehen sich mit etlichen Kritikpunkten konfrontiert. Doch die 60 Milliarden US-Dollar schwere Palmöl-Industrie unternimmt viel, damit ihr Produkt nicht in Verruf gerät. So gelang es ihr, Gesetze in Malaysia und Indonesien durchzuboxen, um weitere Investitionen respektiver Expansionen zu ermöglichen, konstatiert Kadandale.
Die Expertin nimmt auch Marketing-Strategien kritisch unter die Lupe: „Als Reaktion auf den Vorwurf schlechter Umwelt- und Arbeitsbedingungen hat die Industrie versucht, ihre Produkte als nachhaltig darzustellen und gleichzeitig den Beitrag zur Armutsbekämpfung hervorzuheben.“ Weit vor dem für 2020 geplanten EU-Verbot, Palmöl als Biokraftstoff zu verwenden, sei kommuniziert worden, Palmöl-Kleinbauern würden bald ihren Lebensunterhalt verlieren.
Zwischen der Lebensmittel- und der Palmöl-Industrie gibt es ebenfalls Verflechtungen. Beide Partner fokussieren sich beim Marketing auf Kinder und Jugendliche als Zielgruppe: eine Strategie, die von Alkohol- oder Zigarettenherstellern bekannt ist. Die Grenzen zwischen Palmöl-Herstellung und -verarbeitung verschwimmen. „Das macht es schwer, einzelne Akteure zur Verantwortung zu ziehen“, so Kadandale. Damit nicht genug: Die Kennzeichnungen seien bewusst oft unklar formuliert, heißt es im Artikel. Kadandale nennt mehr als 200 alternative Bezeichnungen, vor allem bei Gebäck oder bei Schoko-Aufstrichen. „Verbraucher wissen möglicherweise nicht, was sie essen“, lautet ihr Fazit.
Auch beim Thema Lobbying sind Palmöl-Hersteller fleißig zu Gange. Laut Artikel zeigen sie nicht nur in EU-Gremien Präsenz, sondern pflegen intensive Kontakte mit zahlreichen Instituten. So hat beispielsweise das von der Palmöl-Industrie unterstützte World Growth Institute die Weltbank-Strategie kritisiert, Kleinbauern Vorrang vor Großunternehmen einzuräumen und Plantagen auf Brachen statt auf bewaldeten Flächen zu pflanzen. Auch die globale Politik werde beeinflusst, so Kadandale. Der malaysische Palmöl-Förderrat kritisierte im WHO/FAO-Bericht 2003 gesundheitliche Fragen zum Risiko von Palmöl. Über regelmäßige Zusammenschlüsse führender Firmen werde versucht, das Thema Nachhaltigkeit zu verankern. Schön und gut, nur unterstützen mehrere Teilnehmer solcher „Round Tables“ weiterhin die Zerstörung von Regenwäldern. „Solche Taktiken, nämlich der Aufbau von Lobbystrukturen in politischen und wirtschaftlichen Zentren, die Bekämpfung von Vorschriften, der Versuch, zuverlässige Informationsquellen zu untergraben und das Argument, Armut zu bekämpfen, ähneln der Tabak- und Alkoholindustrie“, heißt es im Artikel.
Kadandale formuliert im Artikel drei Empfehlungen für die Zukunft. Erstens müsse wissenschaftlich untersucht werden, welchen Effekt Palmöl auf die Gesundheit habe. Dazu seien neutrale Studien erforderlich, die auch „Cocktail-Effekte“ berücksichtigen. Palmöl interagiert vielleicht mit anderen Bestandteilen unserer Lebensmittel, was zu unbekannten Effekten führen könnte. Zweitens sei der Einfluss von Herstellern auf Entscheider oder Forscher zu minimieren. Anders als bei Alkohol- oder Tabakherstellern liege hier noch viel im Dunklen. Und drittens schlägt die Wissenschaftlerin vor, spezifische Nachhaltigkeitsziele zu formulieren, aber auch zu überwachen.
Bildquelle: Neil Palmer, Wikimedia Commons