Dank eines Proteins mit winzigen Haken gelingt es E. coli, sich an der Harnwegsoberfläche anzuheften, sein Ausschwemmen zu verhindern und so schmerzhafte Entzündungen auszulösen. Arzneistoffe, die das Anheften blockieren, wären eine Alternative zum hohen Antibiotikaeinsatz.
Viele Frauen wissen aus eigener Erfahrung, wie schmerzhaft eine Blasenentzündung ist: Brennen beim Wasserlassen und ständiger Harndrang sind die typischen Symptome. Bei Blasenentzündungen, die oft wiederholt auftreten, ist der Hauptverursacher das Darmbakterium Escherichia coli. Es gelangt von außen in den Harntrakt, heftet sich an und ruft Entzündungen hervor. Die Forscher um Prof. Timm Maier vom Biozentrum Basel haben nun herausgefunden, wie es den Bakterien gelingt, sich mit dem Protein FimH beim Urinausscheiden festzuhalten und dennoch die Harnröhre hinauf zu wandern.
Die Krankheitserreger besitzen lange fadenförmige Zellfortsätze, an deren Ende das Protein FimH einen winzigen Haken bildet. Dieses Protein, das sich an Zuckerstrukturen auf den Zelloberflächen des Harntraktes heftet, besitzt eine besondere Eigenschaft: Es bindet umso fester an die Zuckermoleküle, je stärker am Bakterium gezogen wird. Bei der Harnausscheidung entstehen durch den Flüssigkeitsstrom starke Zugkräfte, unter denen FimH das Bakterium so vor dem Ausschwemmen schützt. „Durch die Kombination verschiedener biophysikalischer und biochemischer Methoden konnten wir das Bindungsverhaltens von FimH in bisher unerreichter Genauigkeit aufklären“, so Prof. Rudolf Glockshuber vom Institut für Molekularbiologie. In ihrer Studie zeigen die Wissenschaftler nun erstmals, wie mechanische Kräfte die Bindungsstärke von FimH regulieren. „Das Protein FimH besteht aus zwei Teilen, wobei der zweite, nicht-zuckerbindende Teil steuert, wie fest der erste an die Zuckermoleküle bindet“, erläutert Maier. „Wenn beide Teile nun durch den Harnfluss auseinandergezogen werden, schnappt die Zuckerbindungsstelle zu. Lassen die Zugkräfte jedoch nach, öffnet sich die Bindungstasche. Jetzt können sich die Bakterien lösen und die Harnröhre hinauf wandern.“ Der Infektionserreger E. coli (grau) hält sich mithilfe des Proteins FimH (gelb/rot), das sich an der Spitze langer Zellfortsätze befindet, an den Zelloberflächen des Harntraktes fest. © Maximilian Sauer, ETH Zürich
Harnwegsinfektionen sind der zweithäufigste Grund für die Verschreibung von Antibiotika. Doch in Zeiten von zunehmenden Resistenzen rückt die Suche nach alternativen Behandlungsstrategien immer mehr in den Fokus. Zur Vorbeugung und Bekämpfung von E. coli-Infektionen wären Arzneistoffe, die bereits das erste Anheften von Bakterien mittels FimH in den Harnwegen blockieren, eine geeignete Alternative, weil damit der Einsatz von Antibiotika oft überflüssig würde. Die Resultate zur Funktionsweise von FimH können entscheidend zur Identifizierung eines Wirkstoffes beitragen. Originalpublikation: Catch-bond mechanism of the bacterial adhesin FimH Maximilian M. Sauer et al.; Nature Communications, doi: 10.1038/ncomms10738; 2016