Weniger Zucker, Salz und Fett in Lebensmitteln – Ernährungsministerin Julia Klöckner ist von ihrem Projekt nach wie vor überzeugt, die Deutsche Diabetes Gesellschaft überhaupt nicht: Sie hält die Reduktionsstrategie für lächerlich. Wie viel bringt dieses Vorhaben wirklich?
Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) hat schon jetzt keine Lust mehr auf Klöckners Gremium, das die Umsetzung der geplanten Reduzierung von Zucker, Salz und Fett in Lebensmitteln begleiten soll. „In seiner jetzigen Form hat die Wissenschaft in dem Gremium praktisch keinen Einfluss auf die Formulierung konkreter Reduktionsziele“, sagte der DDG-Präsident kürzlich in der Süddeutschen Zeitung. „Bisher bleiben diese weit hinter dem zurück, was aus wissenschaftlicher Sicht notwendig wäre, um den Anstieg von Übergewicht und Diabetes in Deutschland zu stoppen“, so die Kritik. Ist Klöckners Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie für Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten wegweisend oder nur süß gemeint? Wir beleuchten die Thematik am Beispiel Zucker.
Sitzung zur Nationalen Reduktions- und Innovationsstrategie
Sie hat „Bitte“ gesagt
In Deutschland sind über alle Altersgruppen hinweg 67 Prozent aller Männer und 53 Prozent aller Frauen übergewichtig und 23 bzw. 24 Prozent adipös. Jeder sechste Todesfall ist durch Diabetes bedingt. Deshalb fordern Mediziner seit langem von der Regierung, etwas gegen Fehlernährung zu tun. Zucker ist hier nicht der Alleinschuldige, aber er spielt eine große Rolle. Deshalb will Ernährungsministerin Julia Klöckner die Lebensmittelindustrie umerziehen. Bis 2025 versprachen unterschiedliche Branchen, nicht nur den Gehalt von Zucker, sondern auch von Salz und Fett in Fertigprodukten zu reduzieren:
Das Deutsche Tiefkühlinstitut legt den Grenzwert von 1,25 g Salz pro 100 g Pizza fest.
Das Bäckerhandwerk reduziert den Salzgehalt in Brot ohne konkrete Angaben.
Der Verband der Getreide-, Mühlen- und Stärkewirtschaft will den Zuckergehalt in Frühstückscerealien für Kinder um mindestens 20 Prozent reduzieren.
Der Milchindustrie-Verband verspricht: Joghurts für Kinder enthalten künftig nicht mehr Zucker als normale Joghurts, das entspricht etwa 10 Prozent weniger Zucker.
Die Branche der nicht-alkoholischen Erfrischungsgetränke stellt 15 Prozent weniger Zucker in ihren Getränken in Aussicht.
Es handelt sich um kein Gesetz, sondern eine freiwillige Selbstverpflichtung. Am Beispiel Zucker zeigt sich darüber hinaus: Durch eine Reduktion von 15 Prozent bleibt immer noch genug Zucker in der Cola übrig. Die Limonade wird dadurch weniger ungesund, aber gesund wird sie nie sein.
Der Reiz an Fertigprodukten
Warum greifen überhaupt so viele Menschen zu Fertigprodukten? Der offensichtlichste Grund: Man muss sie nicht selbst zubereiten. Das geht oft schneller oder zumindest ist es weniger aufwendig, als selbst zu kochen. Außerdem haben viele Menschen Probleme, zwischen Fertigprodukt und unverarbeitetem Lebensmittel zu unterscheiden: Ein Erdbeerjoghurt klingt natürlicher, als es ist. Es enthält in der Regel nicht besonders viel Erdbeere, dafür umso mehr zugesetzten Zucker.
Auch das Suchtpotenzial von Zucker und anderen Geschmacksverstärkern spielt eine erhebliche Rolle. Zucker gibt uns einen gewissen Kick. Häufig und in hohen Mengen konsumiert gewöhnen wir uns an den hohen Insulinspiegel, erklärt Diabetologe Prof. Dr. med. Stephan Martin in einem Interview mit DocCheck. Wenn man dann auf Zucker verzichtet, fehlt einem etwas. So entsteht bei vielen ein gewisses Abhängigkeitsgefühl.
Es handelt sich aber nicht nur um eine geschmacklich, sondern häufig auch um eine finanziell geprägte Entscheidung. Denn in vielen Fällen ist die Fertig-Mahlzeit günstiger als die gesunde Alternative. Eine ausgewogene Mahlzeit wie z.B. Fisch mit Gemüse, Kartoffeln und Salat kostet mehr als Ravioli aus der Dose.
Zucker ist kein Lebensmittel
Ein wichtiger Punkt wird in der Zuckerdiskussion gerne vergessen: Zucker ist kein Lebensmittel. „Anders als häufig vermutet und vom Bundesernährungsministerium unterstellt wird, gibt es keine Notwendigkeit, Zucker als Lebensmittel aufzunehmen. Richtig ist: Das menschliche Gehirn benötigt etwa 130 Gramm vom Einfachzucker Glucose am Tag. Der Körper ist jedoch in der Lage, diese Glucose aus Polysacchariden (Stärke) aufzuspalten, die beispielsweise in Brot oder Nudeln enthalten ist“, heißt es etwa auf der Website der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch.
Als Obergrenze hatte die DDG kürzlich eine maximale Tageszufuhr von 50 Gramm freiem Zucker pro Tag definiert. Um sich unter diesen 50 Gramm etwas vorstellen zu können, hilft es, einen Kontext herzustellen. Mit einer 0,5-Liter-Flasche Cola hat man den Wert schon geknackt, sie enthält 52,5 g Zucker. Aber auch ein 250-g-Becher Vanillejoghurt enthält mit 33,5 g Zucker womöglich mehr, als viele denken. Die 50-Gramm-Grenze überschreitet man mit Leichtigkeit, auch als Zusatzverweigerer. Denn auf hohe Zuckermengen kommt man auch durch den Verzehr unverarbeiteter Lebensmittel. So sind in einem mittelgroßen Apfel etwa 18,5 g Zucker enthalten, in einem 250-ml-Glas frisch gepressten Orangensaft 22,8 g Zucker. Aus Sicht der DDG sind die versprochenen Reduktionen der Lebensmittelindustrie also nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Ein Süchtigmacher wurde vergessen
Bei Klöckners Vereinbarung wurde ein spezieller Geschmacksverstärker ignoriert, der den Kampf gegen Adipositas und Diabetes zusätzlich erschwert: Glutamat. Zwar ist es in vielen Lebensmitteln natürlich enthalten, die in der Lebensmittelindustrie zugesetzte L-Glutaminsäure wird aber fast ausschließlich durch Fermentation hergestellt. Noch öfter kommt Hefeextrakt zum Einsatz, denn im Gegensatz zu reinem Glutamat gilt er nicht als Zusatzstoff sondern als Zutat. Trotzdem enthält er Glutamat und die Geschmacksverstärker Inosinat und Guanylat, wie Foodwatch betont. Diese Stoffe sprechen den fünften Geschmackssinn Umami an. Damit angereicherte Speisen schmecken dadurch intensiver und herzhafter. Glutamat ist heftig umstritten. Die Frage, ob es gesundheitsschädlich ist, ist noch nicht geklärt. Fest steht: Wer dauerhaft Geschmacksverstärker konsumiert, für den schmeckt eine Suppe, die nur mit Kräutern und einer Prise Salz gewürzt ist, fade. Und das nutzt die Lebensmittelindustrie auch nach sämtlichen versprochenen Reduktionen weiterhin aus.
Man kann sich die Frage stellen, ob man mit einer Vereinbarung dieser Art überhaupt auf dem richtigen Weg ist. Das eigentliche Problem, nämlich dass die meisten von uns zu viel Zucker (und wahrscheinlich auch Salz und Fett) essen, wird damit nicht gelöst.
Was könnte man sonst noch tun?
Ein anderer Ansatz ist das Besteuern. Die einen sehen in der Einführung einer Zuckersteuer eine Chance, die anderen halten davon nichts. „Wenn ich Kartoffelpüree zu mir nehme, habe ich einen höheren glykämischen Index, als wenn ich Zucker zu mir nehme. Gäbe es eine Zuckersteuer, wäre das dem Kartoffelpüree unfair gegenüber. Also bräuchte ich dann auch eine Kartoffelsteuer, eine Brötchensteuer [und] eine Pastasteuer“, wie es Prof. Martin im Interview mit DocCheck formulierte. In Großbritannien führte die 2018 eingeführte Zuckersteuer für Softdrinks ab mehr als 5 Gramm Zucker pro 100 ml immerhin dazu, dass Hersteller ihre Getränke freiwillig weniger süßen. Eine britische Sprite enthält nun statt 6,6 nur noch 3,3 Gramm pro 100 ml.
Am sinnvollsten wäre es, wenn unbearbeitete Lebensmittel wie Gemüse, Salat oder Fisch billiger als ihre verarbeiteten Konkurrenzprodukte wären – aus wirtschaftlicher Sicht ist das natürlich ein weniger reizvolles und deshalb unrealistisches Szenario.
Anleitung zum Vernünftigsein
Wenn es also so schwer ist, das Problem durch gesetzliche Maßnahmen in den Griff zu bekommen – wie man etwa anhand der zähen Diskussion um eine Lebensmittelampel sieht – muss man an anderer Stelle ansetzen: bei der Einzelperson, die im Supermarkt vor der Entscheidung steht, was in den Einkaufswagen kommt und was nicht. Damit sich das Konsumverhalten in der breiten Masse langfristig ändert, muss das Bewusstsein für und das Wissen über Ernährung beim Individuum gestärkt werden.
Das Thema Ernährung ist in der Gesellschaft zwar präsent, wird aber vor allem von Lifestyle-Magazinen, TV-Formaten sowie Influencern auf Youtube oder Instagram aufgegriffen. Ein wissenschaftlich fundierter Zugang für die breite Masse fehlt. Zwar wächst das Bewusstsein für gesunde Ernährung in Kitas, Kindergärten und Schulen stetig, aber es muss noch viel geschehen, bis sich Wissen auf diesem Gebiet in den Köpfen manifestiert hat. Wie man sich gesund ernährt, ist keine Sache, die sich in ein paar Minuten erklären lässt, ein eigenes Schulfach könnte eine sinnvolle Maßnahme sein.
Bildquelle: yossigee, pixabay