In der Kindheit erlebte Traumata verewigen sich im männlichen Sperma: Durch schwerwiegenden Stress kann der Anteil bestimmter Moleküle in der Samenflüssigkeit reduziert werden. So lautet das Ergebnis einer amerikanischen Studie, die vor wenigen Tagen veröffentlicht wurde.
Mittwoch dieser Woche wurde eine Studie veröffentlicht, die einen Zusammenhang zwischen Traumata, die Männer in ihrer Kindheit erlebt haben und der Zusammensetzung ihres Spermas nahelegt. Demnach kann das Sperma eines Mannes darüber Aufschluss geben, ob er eine traumatische Kindheit hatte. Zu diesem Ergebnis kam der Neurowissenschaftler Larry A. Feig von der Sackler School of Graduate Biomedical Sciences in Boston gemeinsam mit seinen Kollegen.
Zuallererst widmeten sich die Wissenschaftler männlichen Mäusen. Stress hat gesundheitliche Veränderungen bei Mäusen zur Folge. Dieser Stress kann sogar an Nachkommen vererbt werden. Ein möglicher Weg ist über das Sperma, oder genauer gesagt, die darin enthaltenen MicroRNAs. Im Zuge der Studie wurden männliche Mäuse gezielt Stress ausgesetzt, der zu Störungen im Sozialverhalten der Tiere und gleichzeitig zu einer Reduktion spezifischer MicroRNAs im Sperma führte. Auch der Nachwuchs zeigte ein verändertes Verhalten. Bei den Nachkommen der männlichen Mäuse stellte man Angststörungen und ein beeinträchtigtes Sozialverhalten fest – das gilt auch für multiple Generationen danach. Das Forscherteam wollte nun herausfinden, ob es dieses Phänomen auch bei Menschen gibt. Sie suchten deshalb nach jenen Veränderungen der MicroRNA im Sperma, die sowohl bei Mäusen als auch bei Menschen auftreten, wenn diese früh im Leben Stressoren mit langanhaltenden negativen Auswirkungen ausgesetzt sind. Dabei stießen sie auf die beiden Moleküle miR-449 und 34.
Auch die Gesundheit von Menschen, die während ihrer Kindheit schwerwiegendem Stress ausgesetzt waren, ist langanhaltend negativ beeinträchtigt. Doch wie definiert man diese Gruppe? Die überzeugendste Studie auf diesem Gebiet ist nach Ansicht der Wissenschaftler die Adverse Childhood Experience Study. Der im Rahmen der ACE-Studie erstellte Fragebogen zur Einordnung von erlebtem Stress diente dem Team als Forschungsgrundlage. Feig und sein Team baten Samenspender einer Fruchtbarkeitsklinik, diesen ACE-Fragebogen auszufüllen, 28 Männer erklärten sich dazu bereit. Dadurch sollte der Grad an „abusive and/or dysfunctional family experiences“ in der Kindheit erfasst werden. Ein hoher Score (Score 4 oder darüber) steht für ein stark erhöhtes Risiko für schwere psychologische und physische Störungen im späteren Leben. Nachdem die Forscher sowohl die Sperma-Proben der Männer analysiert als auch die Fragebögen ausgewertet hatten, bemerkten sie eine statistisch signifikante Korrelation zwischen den reduzierten Levels der MicroRNAs miR-449 und 34 im Sperma und hohen ACE-Scores der befragten Männer. Diese beiden Moleküle waren auch im Sperma jener Mäuse reduziert, die Stress ausgesetzt worden waren.
Welche Funktion diese MicroRNAs im Detail haben, ist noch nicht bekannt, aber sie sollen eine wichtige Rolle in Hinsicht auf die Entwicklung des Fötus im Mutterleib spielen. Diese zwei Moleküle existieren nur in Sperma, nicht in weiblichen Eizellen. Die Mutter kann diese MicroRNAs also nicht ergänzen, wenn sie im Sperma des Vaters nicht ausreichend vorhanden sind. Feig und seine Kollegen sehen in der Untersuchung des Spermas eine sinnvolle Ergänzung zu Gesprächen und Befragungen, um ein Trauma früh zu erkennen. Schließlich besteht bei Fragebögen die Gefahr, dass Menschen Fragen zu ihrem psychischen und physischen Befinden nicht wahrheitsgemäß beantworten – aus Angst, stigmatisiert zu werden, oder weil sie sich an Erlebtes nicht mehr erinnern können.