Der Tumornekrosefaktor (TNF) steuert die Funktion der T-Helferzellen bei Infektionen. Bei akuten Infektionen bilden sich schnell große Mengen TNF, bei chronischen Infektionen wie HIV wird hingegen über lange Zeit eine geringe Menge TNF gebildet, was die Immunantwort schwächt.
Viele T-Helferzellen werden nicht vom HI-Virus befallen. Dennoch ist ihre Funktion bei einer AIDS-Erkrankung gestört. Normalerweise schütten die T-Helferzellen bei einer Infektion Entzündungs-Botenstoffe aus. Durch diesen chemischen Hilferuf versetzen sie T-Killerzellen in Kampfbereitschaft und lotsen sie an den Ort des Geschehens. Bei AIDS und anderen chronischen Infektionen bleiben die T-Helferzellen dagegen stumm. Doch woran liegt das? Um diese Frage zu beantworten, analysierten Forscher der Universität Bonn zunächst, welche Gene in den stummen Helferzellen von HIV-Patienten aktiv sind. Ergebnis: Bei einer chronischen Entzündung wird die Immunfunktion der T-Helferzellen durch verschiedene Signalwege unterbunden. Diese Signalwege wiederum werden augenscheinlich durch den Tumornekrosefaktor (TNF) gesteuert. Dieser Faktor scheint für die schwache Immunantwort verantwortlich zu sein. „Wir haben Mäuse untersucht, die unter einer der HIV-Infektion ähnlichen chronischen Virusinfektion litten, und bei ihnen das TNF-Molekül inaktiviert“, erklärt Dr. Marc Beyer von der Universität Bonn. „Die T-Helferzellen arbeiteten daraufhin wieder normal. Nach zehn Tagen hatten die Tiere das Virus komplett eliminiert; sie waren gesund.“
Paradoxerweise bewirkt TNF bei akuten Virus-Attacken genau das Gegenteil: Er bringt das Immunsystem erst so richtig auf Hochtouren und sorgt zudem dafür, dass Virus-befallene Zellen Selbstmord begehen. „Bei einer akuten Infektion werden daher sehr schnell große Mengen TNF gebildet“, sagt Dr. Zeinab Abdullah vom Universitätsklinikum Bonn. „Bei chronischen Infektionen schüttet der Körper dagegen über lange Zeit geringe Mengen TNF aus. Das scheint dazu zu führen, dass sich die T-Helferzelle gewissermaßen abschaltet.“ Die Forscher vermuten, dass es sich dabei um einen Schutzmechanismus handelt. Eine dauerhafte starke Immunreaktion kann nämlich auch gesundes Körpergewebe zerstören – mit lebensbedrohlichen Folgen. TNF könnte als eine Art Notbremse dienen, die das verhindert. Was TNF auf molekularer Ebene genau bewirkt, ist noch weitgehend unbekannt. Die beteiligten Wissenschaftler wollen dieser Frage nun im Detail nachgehen. Die Ergebnisse eröffnen mittelfristig möglicherweise neue Therapieoptionen. So gibt es Medikamente, die die Wirkung von TNF unterbinden. Diese TNF-Blocker kommen beispielsweise bei der Therapie von Autoimmunkrankheiten wie Rheuma zum Einsatz. Sie sollen verhindern, dass Abwehrzellen den eigenen Körper attackieren. „Wir wollen unter anderem untersuchen, was diese Medikamente in Rheuma-Patienten bewirken, die zusätzlich unter einer chronischen Virus-Infektion leiden“, sagt Beyer. Originalpublikation: Tumor-necrosis factor impairs CD4+ T cell-mediated immunological control in chronic viral infection Marc Beyer et al.; Nature Immunology, doi: 10.1038/ni.3399; 2016