Immunzellen pendeln zwischen Liquor und Gehirngewebe. Als Schaltstelle wirken dabei weiche Hirnhäute, die das Gehirngewebe umgeben. Fresszellen in den Hirnhäuten ermöglichen den Eintritt in das Nervengewebe und geben die Richtung der Immunzellwanderung vor.
Die Untersuchung von Liquor gehört zur Standard-Diagnostik, um entzündliche Erkrankungen des Zentralnervensystems (ZNS), wie z. B. Meningitis, Enzephalitis oder Multiple Sklerose (MS) zu erkennen. Eine erhöhte Zahl von Immunzellen im Liquor gilt als ein diagnostisches Indiz für MS. Wie Immunzellen in den Liquor gelangen, welche Funktion sie dort haben, und wie sie mit dem Nervengewebe kommunizieren, war bislang nicht geklärt.
Moderne Verfahren der Echtzeitmikroskopie eröffneten Wissenschaftlern der Universitätsmedizin Göttingen in einer aktuellen Studie bislang einzigartige Einblicke in das Verhalten von Immunzellen im Liquor: Sie fanden heraus, dass die Hirnhaut eine entscheidende Schaltstelle für die Wanderung von T-Zellen ist. T-Zellen auf dem Weg in das ZNS verlassen die Blutbahn aus Gefäßen dieser Hirnhaut und kriechen daraufhin in das umliegende Gewebe. Dieses Milieu ist sehr speziell und im Körper einmalig. Die Gefäße sind in der Hirnhaut eingebettet und von zahlreichen faserigen Bindegewebsstrukturen umschnürt, die wie in einem Klettergerüst verspannt sind. Dieses bindegewebige Netz ist zusätzlich von Zellen durchsetzt. Der Liquor fließt über und durch dieses Faser-Zellgeflecht. Die Forscher entdeckten, dass T-Zellen, die direkt an der Expositionsfläche zum Liquor entlangkriechen, regelrecht in den Liquor abgewaschen werden. „Offensichtlich entscheidet sich also in der Hirnhaut, ob die T-Zellen in das angrenzende Nervengewebe eindringen können oder in den Liquor abgeschwemmt werden“, sagt Dr. Henrike Körner, Erstautorin der Studie. Frühere Studien gingen davon aus, dass Immunzellen vor allem an dem Plexus choroideus in den Liquorraum übertreten. Die Wissenschaftler fanden im Hirnhautgewebe spezialisierte Fresszellen, die T-Zellen Signale für die Aktivierung und für die Anheftung liefern können. T-Zellen suchen Fresszellen systematisch nach diesen Signalen ab. Bleiben die Signale aus, laufen die T-Zellen Gefahr, in den Liquor abgeschwemmt zu werden. Bekommen sie dagegen die nötigen Aktivierungs- oder Klebesignale, haften sie an der Oberfläche fest und können in das Nervengewebe eindringen, wo sie den zerstörerischen Entzündungsprozess starten. T-Zell-Wanderung zwischen Gehirngewebe und dem umgebenden Liquor: Mit den Hirnhäuten als zentraler Schaltstelle, können T-Zellen beständig zwischen dem Gewebe des Zentralnervensystems und dem umgebenden Liquor hin und her wandern. Im Bild ist ein grundlegendes Prinzip dieser Wanderungsbewegung gezeigt: Wenn eine T-Zelle innerhalb der Hirnhäute auf eine Fresszelle (weißer Pfeil) trifft und dadurch aktiviert wird, kann die T-Zelle fest auf der Oberfläche des Rückenmarks anhaften und in dieses einwandern. Wenn es zu keinem Zusammentreffen beider Zellen kommt, dann wird die T-Zelle mit hoher Wahrscheinlichkeit in den Liquor abgewaschen. © Johannes Erzberger
Die Göttinger Wissenschaftler konnten zeigen, dass die Zellen im Liquor vollständig funktionstüchtig bleiben. „Diese Befunde könnten daher für eine diagnostische Untersuchung des Liquors bei MS-Patienten von Bedeutung sein: Wenn man etwas über die Eigenschaften pathogener T-Zellen bei der MS erfahren will, sollte man die T-Zellen aus dem Liquor untersuchen“, sagt Ko-Senior-Autorin Dr. Francesca Odoardi. Was passiert mit T-Zellen, die in den Liquor abgeschwemmt werden? T-Zellen können zwischen Liquor und dem angrenzenden Hirnhautgewebe hin- und herpendeln. Stabil kleben bleiben die Zellen vor allem, wenn sie auf Fresszellen treffen, die besonders hohe Mengen an „Klebematerial“ produzieren. Dies ist z. B. bei einer Entzündung des Hirngewebes der Fall oder wenn Fresszellen Aktivierungssignale für T-Zellen liefern. Die Beobachtungen zeigen neue Facetten der Immunfunktion des Liquors auf. Im Liquor landen vor allem T-Zellen, die die Hirnhäute vergeblich auf Anwesenheit ihres spezifischen Eiweißes oder von Entzündung abgesucht haben. Der Liquor stellt daher für T-Zellen eine Art Abstellkammer dar. Er sorgt dafür, dass potenziell gefährliche Eindringlinge vom empfindlichen Nervengewebe ferngehalten werden. „Allerdings können sich zirkulierende Zellen bei Bedarf jederzeit wieder an die Hirnhaut anheften und in das Nervengewebe eindringen. Eine genauere Aussage über die Zellen und deren Funktion im Liquor könnte daher sowohl diagnostisch als auch therapeutisch genutzt werden“, sagt Prof. Dr. Alexander Flügel, Senior-Autor der Publikation. Originalpublikation: Effector T cell trafficking between the leptomeninges and the cerebro-spinal fluid Christian Schläger et al.; Nature, doi:10.1038/nature16939; 2016