Etwa sechs Prozent der Schwangeren erleiden zwei oder mehr Aborte, wobei das Risiko mit zunehmendem Alter steigt. Ein Mangel an Stammzellen in der Gebärmutterschleimhaut könnte laut britischen Forschern ein möglicher Grund für habituelle Aborte sein.
Von einem Abort spricht man, wenn eine Schwangerschaft vor dem Beginn der 24. Schwangerschaftswoche endet und der noch nicht lebensfähige Fetus bzw. Embryo ausgestoßen wird. Kennzeichnend ist, dass das Gewicht des Babys unter 500 Gramm liegt und es keine Lebenszeichen wie Atmung oder Herzschlag mehr zeigt. Diese häufige Komplikation betrifft etwa 15 bis 25 Prozent der schwangeren Frauen. Die meisten Aborte ereignen sich vor dem Erreichen der 12. Schwangerschaftswoche. Der häufigste Grund für diese sogenannten Frühaborte sind fehlgebildete Zygoten beispielsweise aufgrund von Störungen in der Form und Anzahl der Chromosomen. Ereignet sich die Fehlgeburt zwischen der 13. und der 24. Schwangerschaftswoche spricht man von einem Spätabort, oftmals durch aufsteigende genitale Infektionen ausgelöst. Etwa fünf Prozent der Schwangeren erleiden zwei und ungefähr ein Prozent drei oder mehr Aborte, wobei das Risiko mit zunehmendem Alter steigt.
Stammzellen sind Körperzellen, die sich in verschiedene Zelltypen oder Gewebe ausdifferenzieren können. Je nach Herkunftsort werden embryonale oder adulte Stammzellen unterschieden. Embryonale Stammzellen haben das größte Potenzial. Sie können sich in nahezu alle Zelltypen der drei Keimblätter (Entoderm, Ektoderm und Mesoderm) ausdifferenzieren. Gewonnen werden sie entweder aus Vorläuferzellen abgegangener Feten, aus überschüssigen Embryonen, die während einer künstlichen Befruchtung entstehen, oder durch therapeutisches Klonen. Adulte Stammzellen dagegen sind während der ganzen Lebenszeit eines Menschen im Körper anzutreffen. Sie können sich nicht mehr in die verschiedenen, sondern nur noch in bestimmte festgelegte Gewebetypen verwandeln. Seit etwa 10 Jahren ist es möglich, Stammzellen künstlich herzustellen. Der Japaner Shinya Yamanaka entwickelte ein Verfahren [Paywall], um aus Fibroblasten neue Stammzellen zu gewinnen, die sich zu jedem der über 200 Zelltypen im menschlichen Körper ausdifferenzieren können. Diese künstlich hergestellten Stammzellen werden als induzierte pluripotente Stammzellen (iPS) bezeichnet. Einer im Fachjournal „Nature Biotechnology“ veröffentlichten Studie [Paywall] zufolge sollen aus Hautzellen hergestellte iPS sogar mit embryonalen Stammzellen funktionell gleichwertig sein. Nachteil der iPS: Sie neigen zur Bildung von Tumoren. Eine weitere Möglichkeit ist die Transdifferenzierung. Hierbei wird ein Gewebe eines Keimblattes direkt – ohne den Umweg über die Stammzelle – in ein Gewebe eines anderen Keimblattes umgewandelt. Da aber die Körperzellen auch bei diesem Verfahren eine kurze iPS-Phase durchlaufen [Paywall], bergen sie eine gewisse Gefahr in sich.
Stammzellen sind aus der Wissenschaft nicht mehr wegzudenken. Sie sollen Krankheiten heilen, geschädigte Zellen erneuern und Gewebe bilden, mit dessen Hilfe Vorgänge im Körper erforscht werden können. Beispielsweise gelang es einem internationalen Team unter Leitung der Universität Bonn [Paywall] im Herbst 2015, Bindegewebszellen der Maus mithilfe von vier verschiedenen Transkriptionsfaktoren in plazentale Stammzellen umzuwandeln. Aus den plazentalen Stammzellen züchteten sie sodann Plazenta-Gewebe. Dieses soll helfen, Störungen der Plazenta-Bildung und damit auch die ungewollte Kinderlosigkeit besser erforschen zu können. Mit dem Thema Unfruchtbarkeit beschäftigt sich auch die britische Forschergruppe um Kathy Niakan. Diese möchte Gene von menschlichen Embryos gezielt verändern, um herauszufinden, welche für eine erfolgreiche Entwicklung notwendig sind. Dabei wollen sich die Wissenschaftler auf die ersten sieben Tage nach der Befruchtung der Eizelle konzentrieren. Die Wissenschaftler um Jan Brosens von der Warwick Universität und dem Warwick Systems Biology Centre in Coventry, Großbritannien [Paywall] dagegen beschäftigten sich mit adulten Stammzellen. Laut ihren Forschungsergebnissen soll ein Mangel an Stammzellen in der Gebärmutterschleimhaut der Grund für häufige Fehlgeburten sein.
Für ihre Studie untersuchten die Wissenschaftler um Jan Brosens Gewebeproben der Gebärmutterschleimhaut von 183 Frauen. „Nachdem sich der Embryo eingenistet hat, entwickelt sich die Gebärmutterschleimhaut in eine spezialisierte Struktur namens Decidua. Dieser Prozess kann repliziert werden, wenn die Gebärmutterzellen im Labor kultiviert werden“, so Brosens. Frühere Untersuchungen hatten bereits gezeigt, dass ein habitueller Abort in vitro mit einer anormalen Reaktionsfähigkeit der humanen Stromazellen des Endometriums zur Bildung der Decidua einhergeht. Dadurch erfolgt zwar die Nidation, die Schwangerschaft kann jedoch nicht aufrechterhalten werden. Der zugrunde liegende Mechanismus hierfür ist unklar. Um nun den Grund hierfür zu erforschen, bestimmte das Team um Jan Brosens zunächst den Grad und das Muster der DNA-Methylierung der humanen Stromazellen. Die DNA-Methylierung ist eine Modifikation bestimmter Nukleotide, mit deren Hilfe Gen-Aktivitäten reguliert werden können. Beispielsweise können Cytidin-Basen innerhalb der DNA entweder in ihrer „normalen“ Form oder mit einer Methylgruppe vorliegen – allerdings nur, wenn sie innerhalb von sogenannten CpG-Inseln vorkommen. Mit „CpG“ wird das Dinukleotid Cytosin-phosphatidyl-Guanin bezeichnet, wobei mit dem Buchstaben „p“ die Phosphodiesterbindung zwischen Cytosin und Guanin gemeint ist. CpG darf nicht mit der CG-Basenpaarung verwechselt werden. Jan Brosens und sein Team fanden etwa 200 CpG-Inseln innerhalb der Stromazellen, die im Vergleich zur Kontrollgruppe entweder hypo- (48,3 %) oder hypermethyliert (51,7 %) waren. Nach Korrektur waren diese Unterschiede jedoch statistisch nicht signifikant. Als die Wissenschaftler ihre Suche auf alle Cytidin-Basen innerhalb der DNA ausweiteten, entdeckten sie weitere 2.700 Regionen, die, verglichen mit der Kontrollgruppe, bei etwa drei von vier Kulturen, die von Frauen mit habituellen Aborten abstammten, hypomehtyliert (> 1,5-fach) waren. Die Regionen waren reich an Cytosin-Adenin-Dinukleotide. Lokalisiert waren diese über das ganze Genom, traten jedoch vermehrt in der Nähe der Telomere auf. Methylierte Cytidin-Basen, die entweder Adenosin, Cytidin oder Thymidin als Nachbarn haben, sind eine Besonderheit von embryonalen Stammzellen sowie iPS.
Da die Methylierung der Cytosine abhängig von der DNA-Methyltransferase DNMT3A ist, untersuchte das Team deren mRNA-Konzentration bei der Dezidualisierung. Im Gegensatz zur Kontrollgruppe erhöhte sich diese nicht. In einem weiteren Versuch wurde die Transferase in den humanen Stromazellen ausgeschaltet, wodurch sich die Methylierung der Cytosin-Adenin-Dinukleotide, nicht jedoch die der CpG-Inseln reduzierte. Als Nächstes untersuchten die Wissenschaftler um Jan Brosens die mesenchymalen Stammzellen. Es zeigte sich, dass, verglichen mit der Kontrollgruppe, die Teilungsfähigkeit bei den Proben der Frauen mit habituellen Aborten signifikant reduziert war. Zudem reduzierte sich die Häufigkeit der Stammzellen mit der Anzahl der vorherigen Fehlgeburten. Interessanterweise korrelierte der Methylierungsgrad der Cytosin-Adenin-Dinukleotide mit dem des sogenannten High-Mobility-Group-Proteine B2 (HMGB2). HMGB2 ist ein vielfältiges Protein, das unter anderem an der Reparatur von DNA-Schäden beteiligt ist. Das Protein ist auch an der Aufrechterhaltung der Stammzellpopulationen beteiligt und der Verlust ist ein Kennzeichen für den irreversiblen Verlust der Teilungsfähigkeit der humanen Fibroblasten (replikative Seneszenz). Fehlte den Stromazellen des Endometriums dieses Protein, wurde der Zellzyklus in der G0/G1-Phase sowie die Reparatur von DNA-Schäden blockiert. Dies führte zu einer beschleunigten Alterung, die sich auch auf die Dezidualreaktion auswirkte.
„Kultivierte Zellen von Frauen, die drei oder mehr aufeinanderfolgende Fehlgeburten erlitten haben, zeigten, dass die gealterten Zellen in der Gebärmutterschleimhaut nicht in der Lage waren, sich adäquat auf die Schwangerschaft vorzubereiten“, so Brosens. Dies wollen die Wissenschaftler beispielsweise mit Medikamenten, die die Anzahl der Stammzellen in der Gebärmutterschleimhaut erhöhen, nun ändern. Aber auch neue Screening-Test, mit deren Hilfe gefährdete Frauen besser identifiziert werden könnten, seien vorstellbar. Die Forschungsarbeiten hierzu sollen im Frühling 2016 starten. „Ich kann mir vorstellen, dass wir in der Lage sein werden, diese Defekte zu beheben, bevor die Patientin wieder versucht, schwanger zu werden“, so Brosens zuversichtlich. Bis dahin wird jedoch noch einige Zeit vergehen. Und: Die Ursachen eines Aborts sind vielfältig. Diese können durch verschiedenste maternale, fetale oder sonstige Umstände ausgelöst werden. Neben genetischen Schäden in dem Erbgut des Embryos können chronische Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Infektionen, Synechien oder Drogen- bzw. Alkoholabusus der Mutter einen Abort zur Folge haben. Fehlgeburten per se können demzufolge nicht verhindert werden.