Kaiserschnittkinder sind anfälliger für bestimmte Leiden. Deshalb gibt es einen neuen Ansatz, sie mit Vaginal-Bakterien der Mutter zu „beimpfen‟, damit ihr Immunsystem stabiler wird. Experten raten, mit dem Vaginal Seeding noch zu warten, bis Studien Klarheit bringen.
Fast jedes dritte Baby in Deutschland kommt heute durch einen Kaiserschnitt zur Welt. Gleichzeitig weiß man: Kaiserschnittkinder sind anfälliger für bestimmte Leiden – sie bekommen öfter Asthma, Allergien, Typ-1-Diabetes und andere Autoimmunkrankheiten. Forscher hoffen nun, einen Ansatz gefunden zu haben, der Kaiserschnittkinder gesünder machen soll. Sie wollen diese mit Vaginal-Bakterien der Mutter „beimpfen‟, in der Hoffnung, ihr Immunsystem so stabiler zu machen. Viele Wissenschaftler vermuten nämlich, dass die Krankheitsanfälligkeit der Kaiserschnittbabys mit deren früher Keimflora zusammenhängt, der Bakterienpopulation, die den Organismus natürlicherweise besiedelt. Auf Haut und Schleimhäuten finden sich bei Kaiserschnittgeburten andere Mikroben, als bei natürlich geborenen Babys. So trägt ein Kind nach dem Kaiserschnitt vor allem Keime, die denen der mütterlichen Hautoberfläche gleichen. Bei Babys, die auf natürlichem Wege geboren wurden, ähnelt die Keimzusammensetzung der mütterlichen Vaginal- und Darmflora.
Um die Gesundheit von Kaiserschnitt-Babys zu verbessern, erproben Wissenschaftler nun das sogenannte Vaginal Seeding. Dabei werden mit einem Tupfer Vaginalbakterien der Mutter auf Kaiserschnitt-Babys übertragen, damit diese den Organismus des Babys besiedeln. Gleicht sich die Keimflora der Kaiserschnittgeburten der der anderen Babys an, könnte das auch die Funktion ihres Immunsystems positiv beeinflussen, so die Idee. In einer Pilotstudie, die vor kurzem in Nature publiziert [Paywall] wurde, schien die Keimübertragung zumindest vorübergehend zu gelingen. Die Wissenschaftler betupften Mund, Gesicht und Körper von vier Kaiserschnitt-Babys mit mütterlichem Vaginal-Sekret und beobachteten das Resultat bis zu einem Monat nach der Geburt. Der Organismus der Babys war danach stärker von typischen Vaginal-Bakterien besiedelt, an denen es anderen Kaiserschnitt-Babys fehlte. In ihrem Darm fand sich früh eine Anreicherung von Lactobacillus und ab der zweiten Woche eine größere Menge an Bacteroides.
Obwohl bisher nichts über die Langzeiteffekte und den gesundheitlichen Nutzen des Vaginal Seedings bekannt ist, wird es inzwischen von Eltern nachgefragt, wie Mediziner in einem Editorial im BMJ berichten [Paywall], die Autoren sind überwiegend in englischen Geburtskliniken tätig. Während noch nicht bewiesen sei, dass Neugeborene tatsächlich von dem Verfahren profitieren, berge es jedoch Risiken für die Babys, heißt es im Editorial. So könnten Mütter an symptomlosen Infektionen der Vaginalschleimhaut leiden, die beim Vaginal Seeding drohen auf das Kind übertragen zu werden. Möglich sei eine Ansteckung mit B-Streptokokken, die 20 bis 30 Prozent der Schwangeren in sich trügen, und die als der häufigste Auslöser einer Sepsis bei Neugeborenen gelte. Gefährlich werden könnten den Babys aus der mütterlichen Vaginalflora außerdem das Herpes simplex-Virus oder Bakterien wie Chlamydia trachomatis und Neisseria gonorrhoeae. Man habe bereits eine Mutter mit Genitalherpes vom Vaginal Seeding abhalten müssen, schreiben die Geburtsmediziner. Und man erwarte weitere Schwierigkeiten, wenn die Methode populärer werde. In der in Nature veröffentlichten Pilotstudie waren die Mütter negativ auf B-Streptokokken getestet und auf Anzeichen einer Vaginose untersucht worden. Erst dann wurden die Tupferproben genommen.
Angesichts des – wenn auch kleinen – Infektionsrisikos sei Vaginal Seeding ohne den Beweis eines Nutzens nicht vertretbar, so die Editorial-Autoren. Das Personal in ihren Krankenhäusern haben sie angewiesen, das Verfahren nicht anzubieten. Mütter, die das Vaginal Seeding eigenhändig durchführen wollten, müssten gründlich über die Risiken aufgeklärt werden, fordern die Mediziner. Und Eltern, deren Baby nach einem eigenmächtig durchgeführten Vaginal Seeding erkrankt, sollten unbedingt den Arzt über ihr Handeln informieren. Dann könne dieser gezielter behandeln. Die Autoren weisen darauf hin, dass die Keimflora Neugeborener zudem noch von anderen Faktoren beeinflusst wird, wie etwa durch die Ernährung oder durch Medikamente. Frauen zum Stillen zu ermuntern und unnötige Antibiotikagaben zu vermeiden sei daher womöglich wichtiger für die Gesundheit der Neugeborenen, als das Übertragen von Vaginal-Sekret auf einem Tupfer. Frank Louwen ist Leiter der Geburtshilfe und Pränatalmedizin am Universitätsklinikum Frankfurt. Vaginal Seeding hält er zunächst einmal für einen „spannenden und nachvollziehbaren Studienansatz“. Er plant ein eigenes Forschungsprojekt zu dem Verfahren, Ergebnisse will er im nächsten Jahr publizieren. Man wisse, dass es bei einer Störung der Darmsymbiose ein gehäuftes Risiko gebe, an Autoimmunkrankheiten und Allergien zu erkranken. Und Kaiserschnitt-Babys leiden nicht nur öfter daran, sondern haben eben auch eine andere Keimflora als andere Babys. „Da liegt der Schluss nahe, dass hier ein Zusammenhang besteht“, sagt Louwen – auch wenn das noch nicht abschließend bewiesen sei. Tatsächlich zweifeln manche Studienautoren sogar an, dass Kaiserschnitte ursächlich für die erhöhten Erkrankungsrisiken sind – auch wenn es einen statistischen Zusammenhang gibt. Schließlich ist es auch möglich, dass bestimmte Vorerkrankungen der Mutter oder Komplikationen das Risiko für Kaiserschnitte erhöhen – und gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder erkranken. So ergab eine Studie, die in Clinical & Experimental Allergy erschien, dass ein erhöhtes Asthma-Risiko zwar mit Not-Kaiserschnitten, nicht aber mit geplanten Kaiserschnitten einhergeht. Der fehlende Kontakt mit vaginaler Mikroflora könne daher nicht die Ursache für Asthma bei Kaiserschnittkindern sein, schreiben die Autoren.
Forscher wie Louwen halten es dennoch für möglich, die Gesundheit von Kaiserschnittkindern mithilfe von Vaginal Seeding verbessern zu können. Er will mehr über den Einfluss der Keimbesiedlung herausfinden. Die Risiken des Vaginal Seedings, die im BMJ thematisiert werden, solle man nicht überbewerten, findet Louwen. „Die Sorgen der britischen Kollegen kann ich prinzipiell verstehen“, sagt er. „Ich muss dem aber entgegenhalten, dass die meisten Kinder immer noch auf natürlichem Wege geboren werden und dabei ja auch mit möglichen Krankheitserregern in Kontakt kommen können. Trotzdem sind diese Kinder dann in der Regel gesünder.“ Zudem würden schwangere Frauen in Deutschland bei dem leisesten Verdacht auf eine Infektion mit den pathogenen Keimen getestet. Das Risiko einer Übertragung werde dadurch verringert. Trotzdem rät Louwen Eltern, die auch ihn regelmäßig auf die Methode ansprechen, noch zur Vorsicht. Eine Empfehlung zum Vaginal Seeding will auch er bislang nicht aussprechen. „Das werde ich solange nicht tun, bis Daten zur Sicherheit vorliegen.“ Während es Erkenntnisse über einen langfristigen Nutzen womöglich erst in Jahrzehnten geben wird, könne man Untersuchungsergebnisse zur Unbedenklichkeit schon in ein bis zwei Jahren erwarten. „Solange würde ich anstelle der Eltern noch warten.“ Originalpublikation: Partial restoration of the microbiota of cesarean-born infants via vaginal microbial transfer [Paywall] Maria G. Dominguez-Bello et al.; Nature Medicine, doi: 10.1038/nm.4039; 2016