Bei der Untersuchung des Therapieverlaufs von 21 Haarzell-Leukämie-Patienten konnte gezeigt werden, dass bereits niedrige Dosierungen des Medikaments Vemurafenib den BRAF-Signalweg hemmen. Unabhängig von der Dosierung erfolgte bei 40 % der Patienten eine Tumorremission.
Die Haarzell-Leukämie (HCL) ist eine seltene Blutkrebsart. Bei fast allen HCL-Erkrankten liegen Mutationen des BRAF-Gens vor, die einen wichtigen Signalweg überaktivieren und damit das Wachstum von Krebszellen begünstigen. Daher eignet sich die Krebsart besonders gut, um die Wirkung des BRAF-Hemmers Vemurafenib zu erforschen. Ungeklärt war die Frage, welche Dosierung des Medikaments Vemurafenib ausreicht, um das BRAF-Protein zu hemmen und damit den überaktivierten Signalweg zu stoppen. „Klinische Studien arbeiten in der Regel mit festgelegten Medikamentendosen. Das Ziel unserer Studie war es, die Remissionsrate und den Effekt auf die mutierten Zielzellen in Abhängigkeit von der Dosierung zu untersuchen“, erklärt Professor Thorsten Zenz von der Medizinischen Klinik V des Universitätsklinikums Heidelberg und der Abteilung Translationale Onkologie des DKFZ/NCT. Etwa 8 % aller soliden Tumoren zeigen Veränderungen im Erbgut des BRAF-Gens, die als therapeutische Zielstruktur genutzt werden können. Die Mutation des BRAF-Proteins an der Aminosäureposition 600 aktiviert einen Signalweg besonders stark, der am Wachstum und Überleben von Zellen beteiligt ist. Dies kann in Kombination mit weiteren Mutationen zu unkontrolliertem Zellwachstum und somit der Entstehung von Krebs führen. Fast 50 % aller fortgeschrittenen Melanome, dem schwarzen Hautkrebs, besitzen eine Mutation im BRAF-Gen. Bei diesen Patienten setzen Ärzte den spezifischen BRAF-Hemmer Vemurafenib bereits ein. Bei der Haarzell-Leukämie liegen bei 95–100 % aller Erkrankten ebenfalls Mutationen des BRAF-Gens vor. Auch hier wird Vemurafenib als zielgerichtete Therapie gegen das fehlerhaft aktivierte BRAF-Protein als Behandlungsoption verwendet.
In klinischen Studien aus Italien (mit 26 untersuchten HCL-Patienten) und den USA (mit 24 untersuchten HCL-Patienten) erhielten die Erkrankten zweimal täglich 960 mg des BRAF-Hemmers. Das Ergebnis: Bei 35–42 % der HCL-Patienten verschwand der Tumor vollständig, zeigten also eine komplette Remission. Dr. Sascha Dietrich und weitere Wissenschaftler um Zenz haben nun in einer retrospektiven Studie den Verlauf von 21 HCL-Erkrankten aus elf verschiedenen europäischen Ländern untersucht. 19 Patienten hatten zuvor auf eine Reihe von Chemotherapien nicht angesprochen. Zwei erhielten Vemurafenib als erste Therapie. 17 der Patienten nahmen das orale Medikament zweimal täglich in der geringen Dosierung von 240 mg ein. Bei fünf dieser Patienten wurde die Dosierung im Laufe der Behandlung erhöht. Vier weitere Patienten bekamen das Medikament bereits ab Behandlungsbeginn in höherer Dosierung.
Bei allen verbesserte sich das Blutbild unter der Behandlung, ein vollständiges Verschwinden des Tumors wurde bei 40 % der Erkrankten erzielt. Sowohl der Patient mit der höchsten Dosierung als auch vier Patienten mit der niedrigsten Medikamentengabe zeigten eine komplette Remission; bei allen anderen verschwand der Tumor teilweise. „Unsere aktuellen Daten haben gezeigt, dass bereits ein Viertel der bislang eingesetzten Dosen von Vemurafenib das Krebsprotein BRAF blockieren kann“, so Professor Dr. Christof von Kalle, geschäftsführender Direktor des NCT. Die Wissenschaftler konnten damit nachweisen, dass die Wirkung des BRAF-Hemmers bei der HCL unabhängig von der Dosierung Ergebnisse zeigte, die zu den bereits veröffentlichten Studien aus Italien und den USA mit höheren Gaben des Wirkstoffs vergleichbar waren. Die Nebenwirkungen der Therapie blieben allerdings ähnlich, unabhängig von der Medikamentenmenge. Originalpublikation: BRAF inhibition in refractory hairy-cell leukemia Sascha Dietrich et al.; Blood Journal, doi: 10.1182/blood-2015-11-680074; 2016