„Brust ab“ oder mit der Angst vor jeder Mammographie leben? Was bedeutet der BRCA1 oder -2-Befund und die Mastektomie für Frauen mit einem erblich erhöhten Krebsrisiko? Ohne gute Beratung ist jede Entscheidung eine schlechte Entscheidung.
Nicht nur Mediziner, sondern auch Laien – besonders Frauen – wissen inzwischen, was sich hinter der Abkürzung BRCA verbirgt. In den meisten Fällen nichts Gutes. Denn BRCA1 und BRCA2 steht für zwei sogenannte Brustkrebsgene. Sind sie mutiert, steigt die Wahrscheinlichkeit für ein Mamma- oder Ovarialkarzinom stark an. Besonders bei gehäuften Fällen im Familienstammbaum empfehlen Ärzte den Gentest. Wenn von der Genetik aber dann tatsächlich der Befund „Positiv für BRCA1 beziehungsweise -2 kommt, beginnt das Dilemma erst richtig.
Soll sich die – noch – gesunde Frau einer Mastektomie unterziehen, vielleicht sogar auch noch zusammen einer Salpingoophorektomie, also einer Entfernung von Teilen der Eileiter zusammen mit den Ovarien, um halbwegs ohne die tägliche Angst vor dem Krebs weiterleben zu können? Dass ein solcher Eingriff das Risiko auf eine niedrige einstellige Prozentzahl senkt, ist nach etlichen Studien unbestritten. Allerdings ist die absolute Sicherheit auch mit dem Skalpell nicht zu haben. Außerdem ist die Annahme, eine BRCA-Mutation sei gleichzusetzen mit erblichem Tumor der Brust oder der Ovarien falsch. Bei 64 bis 87 Prozent der Fälle [Paywall], bei denen der Arzt einen erblichen Brustkrebs vermutet, findet sich keine pathologische Mutation im Genom. Um ihnen auf die Spur zu kommen, muss man sich die Familiengeschichte ganz genau anschauen. Erst dann ist eine fundierte Berechnung des Risikos möglich. Dementsprechend gehen auch in Studien die Risikoabschätzungen bei BRCA1 und -2-Trägern weit auseinander. Lynn Hartmann und ihre Kollegen von der Mayo-Klinik in Rochester haben die Zahlen zahlreicher Studien zusammengezählt [Paywall] und dabei insgesamt 537 betroffene von fast rund 2.800 untersuchten Familien analysiert. Dabei kamen sie auf ein durchschnittliches Risiko von 67 Prozent für Brustkrebs bis zum Alter von 80 Jahren für BRCA1-Träger sowie 45 Prozent für ein Ovarialkarzinom. Das Risiko für das Mammakarzinom ist für BRCA-2 Träger ähnlich groß wie bei BRCA1, deutlich seltener (12 Prozent) führt die Mutation dabei jedoch zu einer bösartigen Wucherung der Eierstöcke. Dabei sind die Tumor-Phänotypen der beiden Krebsgene ziemlich unterschiedlich. Das Mammakarzinom von BRCA1-Trägerinnen ist zu mehr als zwei Drittel ein dreifach negativer hochgradiger Tumor, der die Therapie vor Probleme stellt. BRCA2-Tumore ähneln dagegen meist der Mehrzahl der Brustkrebs-Formen, sind also überwiegend Östrogenrezeptor-positiv.
Ein wichtiger Faktor bei der Berechnung des Risikos ist schließlich das Alter. Für eine Trägerin einer BRCA2 Mutation ergibt sich im Alter von 30 Jahren eine Wahrscheinlichkeit von 66 Prozent für einen Tumor der Brustdrüse vor dem 80. Lebensjahr. Für eine 60-jährige Trägerin sinkt das Risiko unter 50 Prozent, für einen Ovarialtumor auf unter fünf Prozent – etwa ein Drittel vom Risiko-Score einer Dreißigjährigen. Immer häufiger gehen Ärzte dazu über, die Risikoanalyse für die nächsten zehn Jahre zu erstellen. In dieser Zeit können neue Methoden und Forschungsergebnisse für eine deutliche Veränderung der Entscheidungsgrundlagen für oder gegen eine Mastektomie sorgen. Nicht zu vergessen: Auch Männer mit der Mutation haben ein erhöhtes Risiko für den Brustkrebs: Bei BRCA1 etwa ein Prozent, bei BRCA2 sogar sieben Prozent, während der Durchschnitt in der männlichen Bevölkerung bei etwa 0,1 Prozent liegt. Für eine individuelle Berechnung des Krebsrisiko anhand des Familienstammbaums und anderer wichtiger Faktoren gibt es entsprechende Algorithmen, entwickelt von Informatikern der Universität Cambridge, der Londoner Cancer Research Technology und des Dana Faber Cancer Instituts.
Welche Konsequenz die betroffene Frau aus dem individuellen Risiko-Score zieht, liegt jedoch – hoffentlich nach eingehender Beratung – bei der Betroffenen selber. Eine komplette beidseitige Mastektomie senkt das Brustkrebsrisiko auf rund zwei Prozent, allerdings nicht auf null. Keine Operation kann das gesamte Brustgewebe komplett entfernen. Je nachdem, ob etwa der Bereich rund um die Brustwarze beim Wiederaufbau verwendet wird, steigt oder fällt das verbleibende kleine Restrisiko. Nicht immer verläuft Operation und Rekonstruktion völlig komplikationsfrei. Jede zehnte Patientin muss mit einer Blutung, einer Infektion oder mit einer Kapselfibrose rechnen. Für klinische Langzeit-Nebenwirkungen gibt es bisher noch keine aussagekräftigen Studien. Dennoch sind die meisten Frauen, die sich für die radikale Lösung entschieden haben, mit ihrer Wahl im Nachhinein glücklich. Psychischer Stress, verbunden mit Depressionen und Angstgefühlen verringerten sich deutlich. Die Mehrzahl der Frauen hatte auch keine Probleme mit ihrem veränderten Körperbild, ihrer Partnerbeziehung und oder ihrem Sexualleben. 70 Prozent der mastektomierten Frauen sagten, dass sie mit ihrer Entscheidung zufrieden wären.
Die Salpingoophorektomie reduziert das Krebsrisiko für BRCA1/2 Trägerinnen um rund 80 Prozent. Aktuelle Leitlinien empfehlen für diese Risikogruppe den Eingriff nach Abschluss der Familienplanung. Besonders bei Trägerinnen der BRCA2-Mutation kann die Entfernung der Risikogewebe auch noch mit 45 Jahren stattfinden, denn das Risiko, so die Berechnungen, liegt für 50-jährige Frauen bei nur zirka einem Prozent. Allerdings sind auch die Folgen bei vorzeitiger Menopause bekannt: Ein etwas erhöhtes Osteoporose-Risiko und leicht erhöhte Gefahr einer Herz-Kreislauf-Erkrankung. Dennoch waren auch bei der Oophorektomie 95 Prozent der operierten Frauen zufrieden und überzeugt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.
Gibt es Alternativen zur Operation? Ob etwa Tamoxifen einen Schutz für BRCA-Träger bietet, konnten bisher keine aussagekräftigen Studien zeigen. Eine ziemlich kleine Studie kam besonders bei BRCA2-betroffenen Frauen auf eine Reduktion des Risikos um etwa zwei Drittel - eine logische Konsequenz aus der Tatsache, dass dieses Gen vor allem für Östrogenrezeptor-positive Tumoren verantwortlich ist. Dennoch entscheidet sich nur eine Minderheit der BRCA-betroffenen Frauen für die chirurgische Brustdrüsenentfernung. Umso wichtiger ist eine regelmäßige Überwachung des gefährdeten Gewebes. Studien, die eine Verringerung der Sterblichkeit durch regelmäßige Kontrolle zeigen, gibt es zurzeit noch nicht. Dagegen finden sich bei Hochrisiko-Frauen mit BRCA deutlich häufiger Knoten in der Brust. Eine norwegische Untersuchung fand unter 802 BRCA1 Trägerinnen 68 bösartige Wucherungen mit einer durchschnittlichen Größe von 1,4 Zentimetern im Lauf von rund vier Jahren. Alle diese Tumoren entdeckte ein Kernspin-Scan als höher auflösende Alternative zur Mammographie.
Prominenteste BRCA-Trägerin, die sich nicht nur die radikale Lösung entschied, sondern ihre Entscheidung auch öffentlich machte, war vor knapp drei Jahren Angelina Jolie. Eine österreichische Studie [Paywall] konnte herausfinden, wie die Nachricht die Meinung und Wissen vieler Frauen beeinflusst hat. Gegenüber einer Umfrage, die zufällig wenige Wochen vor dem Promi-Outing stattfand, stieg der Wissenstand österreichischer Frauen um die Möglichkeiten einer Brustrekonstruktion, insbesondere mit autologem Gewebe und simultan zur Mastektomie, signifikant an. Etwa 20 Prozent der Befragten gaben an, dass die Medien ihr Interesse an diesem Thema angestachelt hätten. Ein Beratung für oder gegen einschneidende prophylaktische Maßnahmen sollte aber nicht nur genetisch bedingte Risiken und mögliche Nebenwirkungen für das körperliche Wohlbefinden berücksichtigen, sondern auch die Lebensziele und die Psyche der Ratsuchenden. Ist die Familienplanung abgeschlossen? In welchem Altern kamen andere Krebsfälle in der Familie vor? Die bisherigen Erfahrungen mit dem Krebstod von Angehörigen und nicht zuletzt die Bereitschaft der Frau, mit dem verbleibenden Risiko umzugehen, tragen ganz erheblich zur Entscheidung bei. Lynn Hartmann schreibt dazu in ihrem Artikel: „Bisher weiß man wenig darüber, wie Frauen solche komplizierten Entscheidungen treffen.“