Adipöse Menschen erkranken unter anderem häufiger an kolorektalen Karzinomen. Grund hierfür soll laut amerikanischen Forschern das fette Essen sein. Es aktiviert die Stammzellen im Darm, sodass diese unabhängig werden. Die Folge: Das Risiko für Adenome und Tumoren steigt.
Darmkrebs ist in Deutschland bei Männern die dritthäufigste und bei Frauen sogar die zweithäufigste Tumorerkrankung. Im Jahr 2012 erhielten laut dem Zentrum für Krebsregisterdaten des Robert-Koch-Instituts etwa 62.000 Männer und Frauen die Diagnose „Darmkrebs“, wobei das Risiko mit dem Alter steigt. So war mehr als die Hälfte der Betroffenen älter als 70 und nur etwa zehn Prozent jünger als 55 Jahre. Die meisten dieser Menschen (etwa 95 Prozent) litten an einem kolorektalen Karzinom und nur in etwa zwei bis fünf Prozent der Fälle war der Dünndarm betroffen. Das Risiko für kolorektale Karzinome wird durch bestimmte exogene und endogene Faktoren erhöht. Beispiele hierfür sind ererbte genetische Veränderungen, Erkrankungen wie chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Chemikalien oder auch der Lebensstil. Hierunter fallen mangelnde Bewegung, fettreiche sowie ballaststoffarme Ernährung und Übergewicht. Die Pathogenese ist jedoch unklar.
Das Lebenszeitrisiko vieler verschiedener Krebsarten, darunter auch das des kolorektalen Karzinoms, soll mit der Anzahl der Stammzellteilungen zusammenhängen. Im Darm findet man diese am Boden der knospenartigen Einfaltungen des Dünn- und Dickdarmepithels, den Lieberkühn-Krypten. Zusammen mit den Paneth-Zellen bilden sie eine Nische, in der die gesamte Zellproliferation des Darmepithels stattfindet. Paneth-Zellen sind Drüsenzellen, die unter anderem für die lokale Immunabwehr verantwortlich sind. In ihrem Zytoplasma befinden sich eosinophile Granula, die antimikrobiell wirksame Substanzen wie Lysozym, Defensine und Phospholipase A2 enthalten. Des Weiteren regulieren Paneth-Zellen die Ausdifferenzierung der Stammzellen in Vorläuferzellen, aus denen anschließend die verschiedenen Zelltypen des Darmepithels entstehen. Laut den Studienergebnissen des Forscherteams um Semir Beyaz vom Koch Institute for Integrative Cancer Research am Massachusetts Institute of Technology (MIT) [Paywall] verändert sich jedoch diese Dynamik unter einer fettreichen Ernährung.
Für ihre Untersuchung fütterten die Wissenschaftler Mäuse über neun bis 14 Monate mit einer Nahrung, die zu 60 Prozent aus Fettsäuren bestand. Während dieser Zeit erhöhte sich der Body-Mass-Index der Tiere um 30 bis 50 Prozent und sie entwickelten mehr intestinale Tumoren als die Kontrollgruppe. Und noch etwas fiel den Forschern auf: Unter einer fetthaltigen Kost nahm die Zahl und Selbsterneuerungsrate der Stammzellen zu, während sich gleichzeitig die Menge der Paneth-Zellen reduzierte. Im nächsten Schritt isolierten die Wissenschaftler Darmkrypten aus den Mäusen der high-fat-diet-Gruppe und untersuchten, wie gut diese in vitro Organoide bildeten. Organoide ahmen die epitheliale Architektur und die zelluläre Diversität des Säugetierdarms nach und stehen für die Aktivität der Stammzellen, da nur diese die Strukturen bilden und aufrechterhalten können. Laut den Autoren konnten die Darmkrypten der high-fat-diet-Gruppe besser einen Mini-Darm nachbauen als die der Kontrollgruppe, waren jedoch weniger differenziert – also mehr zystisch – und zeigten weniger Bereiche mit Darmkrypten. Wurden die Tiere durch Bestrahlung getötet, fanden die Wissenschaftler verglichen mit den Kontrollmäusen mehr überlebende, proliferierende Krypten mit mehr Stammzellen. Weitere Tests zeigten zudem, dass die Stammzellen der high-fat-diet-Mäuse trotz Abwesenheit der Paneth-Zellen effizient Organoide bildeten – im Gegensatz zu denen der Kontrollmäuse. Des Weiteren verhielten sich unter einer fetthaltigen Ernährung Progenitorzellen wie Stammzellen, das heißt sie lebten viel länger als gewöhnlich und konnten in vitro einen Mini-Darm nachbilden. Hatten die Tiere zuerst eine fettreiche und anschließend eine normale Nahrung erhalten, verbesserte sich die Bildung der Organoide für einen Zeitraum, der irgendwo zwischen sieben Tagen und vier Wochen lag. Dies deutet laut den Wissenschaftlern darauf hin, dass die Effekte einer fettreichen Ernährung reversibel sind. Um nun herauszufinden, welche der Fettsäuren der Übeltäter ist, behandelten die Wissenschaftler Darmkrypten, die aus der Kontrollgruppe isoliert worden waren, mit Palmitinsäure, dem Hauptbestandteil der fettreichen Kost. Wurden diese anschließend nochmals ex vivo kloniert, fand das Forscherteam auch hier mehr Organoide mit mehr Stammzellen bei reduzierter Abhängigkeit. Ähnliche Ergebnisse erzielten die Wissenschaftler auch mit Ölsäure und einer Lipidmischung in vivo und in vitro.
Grund für diese plötzliche Unabhängigkeit von den Paneth-Zellen und der Produktion einer größeren Stammzellenanzahl ist, so die Autoren, die Aktivierung des „Fettsensors“ Peroxisomen-Proliferator-aktivierter Rezeptor delta, kurz PPAR-delta. Dieser Rezeptor kommt in fast allen Geweben des menschlichen Körpers vor. Er reguliert vor allem die Expression der Gene, die auf den Fettstoffwechsel wirken. In ihren Versuchen konnte das Team zeigen, dass sich unter einer fetthaltigen Kost die Konzentration von PPAR-delta selbst verglichen zu der von den Kontrollmäusen nicht erhöhte. Dafür stieg die Anzahl der PPAR-delta-Zielgene im Dünndarm und Kolon an. Stimulierten die Forscher PPAR-delta in vivo mit einem Agonisten, erhöhte sich, ähnlich einer fettreichen Ernährung, die Proliferation der Stamm- und Vorläuferzellen, ohne dass jedoch die Menge der Paneth-Zellen beeinflusst wurde. Da die Überaktivierung des Wnt-Signalweges als eine der Hauptursachen des Darmkrebs gilt, widmeten sich die Forscher nun der Frage, inwieweit dieser durch PPAR-delta beeinflusst wird. Dabei fanden sie in den Stammzellen, Vorläuferzellen als auch in Darmabschnitten der high-fat-diet-Gruppe sowie von den Tieren, die einen PPAR-delta-Agonisten erhalten hatten, eine erhöhte Konzentration an nuklearem beta-Catenin sowie an bestimmten beta-Catenin-Zielgenen. Bei inaktivem Wnt-Signalweg ist beta-Catenin in einem Multiproteinkomplex gebunden. Erst wenn der Wachstumsfaktor Wnt an den Rezeptor bindet, wird beta-Catenin freigesetzt und reichert sich im Zytosol als auch im Zellkern an. Daher weist eine erhöhte Konzentration von nuklearem beta-Catenin auf dessen Aktivität hin. Im Zellkern aktiviert beta-Catenin Transkriptionsfaktoren, woraufhin Gene exprimiert werden, die wichtig für die Zellteilung sind.
Der Wnt/beta-Catenin-Signalweg ist Gegenstand vieler Forschungsarbeiten. Beispielsweise entwickelten die Wissenschaftler vom Max-Delbrück-Centrum für molekulare Medizin (MDC) [Paywall] ein Molekül mit dem Namen LF3, das die Interaktion zwischen beta-Catenin und dem Protein TCF4 unterbricht. Dies ist ein Transkriptionsfaktor im Zellkern, der durch die Bindung von beta-Catenin aktiviert wird. Um die Eigenschaften von LF3 zu untersuchen, injizierten die Wissenschaftler Mäusen menschliche Darmkrebs-Stammzellen, woraufhin diese Tumoren entwickelten. Wurden die Tiere dagegen mit LF3 behandelt, ging das Tumorwachstum zurück. „Was von den Tumoren übrig blieb, schien keine Krebsstammzellen mehr zu enthalten – LF3 hatte also anscheinend bewirkt, dass sich diese Zellen zu gutartigem Gewebe ausdifferenzierten“, so Walter Birchmeier, der Leiter der Forschungsgruppe. Einen ganz anderen Ansatz verfolgten Alberto Martin und Kollegen von der Universität Toronto. Aufgrund verschiedener epidemologischer Studien vermutete das Team, dass auch Kohlenhydrate das Risiko für Darmkrebs erhöhen könnten. Denn diese werden von Darmbakterien zu Buttersäure abgebaut. Buttersäure wiederum fördert die Bildung von Polypen, aus denen schließlich kolorektale Karzinome entstehen können. Ihre Untersuchungen führten die Wissenschaftler an Mäusen, die für Darmkrebs anfällig waren, durch. Die Darmflora der Tiere wurde mithilfe von Antibiotika abgetötet, woraufhin sich auch Zellproliferation und Krebsrate reduzierten. Ein ähnliches Ergebnis erzielten die Forscher, wenn sie den Tieren eine Diät, die nur zu sieben Prozent Kohlenhydrate enthielt, gaben. Erhielten die Tiere nach der Antibiotikagabe Tributyrin, welches im Gastrointestinaltrakt zu Butyrat zerfällt, erhöhte sich die Darmkrebsrate wieder. Ob die Ergebnisse allerdings auf den Menschen übertragbar sind, müssen weitere Studien beweisen.
„Unter einer fettreichen Diät hat man nicht nur mehr gewöhnliche Stammzellen, sondern nun auch eine Nicht-Stammzellen-Population, die die Fähigkeit hat, Mutationen anzureichern, sodass Tumore entstehen können“, so der Assistenzprofessor des Massachusetts Institute of Technology, Omer Yilmaz. Steigt jedoch die Anzahl der Zellen, die onkogene Mutationen erwerben können, erhöht sich automatisch auch die Wahrscheinlichkeit für Dysplasien und Karzinome. Allerdings ist es noch zu früh, um Käse, Butter und andere fetthaltige Kost gänzlich vom Speisezettel zu verbannen. Denn fraglich ist erst einmal, ob die Ergebnisse, die ja in Tiermodellen erhalten wurden, überhaupt auf den Menschen übertragbar sind. Des Weiteren enthielt die Nahrung der kleinen Nager zu 60 Prozent Fettsäuren. Die Fettzufuhr des Durchschnittsmannes in Deutschland dagegen liegt bei etwa 36, die der Durchschnittsfrau bei etwa 34 Prozent und damit deutlich niedriger. Und – last but not least – ist bekanntlich eine fetthaltige Kost nicht die einzige Ursache für Darmkrebs. Originalpublikation:
High-fat diet enhances stemness and tumorigenicity of intestinal progenitors [Paywall] Beyaz et al.; Nature, doi: 10.1038/nature17173; 2016