Um Angst zu erlernen und wieder abzurufen, braucht das Gehirn nur eine negative Erfahrung zu verarbeiten. Im Tiermodell korrelierte der Angstzustand mit einer Oszillation von genau vier Hertz im präfrontalen Kortex. Lässt sich diese „Angst“-Frequenz gezielt manipulieren?
Angstreaktionen helfen uns in bedrohlichen Situationen, Risiken zu vermeiden und vor Gefahren zu fliehen. Das Gefühl für die Angst erlernen wir, indem wir eine gedankliche Verbindung schaffen zwischen einem Stimulus oder einer Situation und einem zeitnah auftretenden Stressfaktor wie etwa physischer Bedrohung. Die Verknüpfung hinterlässt eine tiefe Spur in der Erinnerung, die noch Jahre später bestehen bleibt. Sie verursacht tiefgreifende strukturelle und funktionelle Veränderungen im Gehirn. Im ungünstigen Fall kann sich diese normale, schützende Hirnfunktion zu posttraumatischem Stress oder anderen Angststörungen weiterentwickeln. Ein Forscherteam um Erstautor Nikolaos Karalis von der Ludwig-Maximilians-Universität hat einen Signalmechanismus in Form einer koordinierten Oszillation im Gehirn entdeckt, der offenbar das Furchtverhalten steuert.
Um Angst zu „lernen“, braucht es nur eine einmalige Erfahrung, durch die sich die Verknüpfung zwischen bestimmten Umweltreizen und unmittelbaren negativen Konsequenzen ausbildet. Jeder folgende Kontakt mit dem so konditionierten Reiz führt dazu, dass die Erinnerung erneut abgerufen wird. Sowohl das Erlernen der Furcht als auch das Wiederabrufen aus dem Angstgedächtnis lösen eine Alarmreaktion aus, ein Abwehr- oder Fluchtverhalten. Es ist zudem mit einer ganzen Reihe körperlicher Reaktionen verbunden: Die Betroffenen schwitzen, sie zittern, ihr Puls rast. Zu Beginn der Studie hatten sich die Forscher die Frage gestellt: Könnte es sein, dass dieser sehr charakteristische körperliche Zustand mehr ist als nur eine Antwort auf einen Stressreiz? Dass nämlich die durch die Angst bedingte äußere Verfassung mit einem charakteristischen Funktionszustand des Gehirns einhergeht, der es erleichtert, zu lernen und Erinnerungen abzurufen? Nach jahrelanger Forschung ist inzwischen eine Anzahl spezifischer Hirnregionen identifiziert, die an entscheidenden Stellen daran beteiligt sind, wenn wir Angst erlernen und Angstreaktionen zeigen, allen voran der dorsomediale präfrontale Kortex und die basolaterale Amygdala. Der präfrontale Kortex steuert dabei soziales Verhalten, die Amygdala ist eher für Gefühle und emotionale Reaktionen zuständig. Bislang war allerdings unklar, wie die beiden Regionen miteinander kommunizieren, welche neuronalen Mechanismen Angstreaktionen wie Erstarren auslösen und in welchem funktionellen Zustand sich das Gehirn dabei befindet. Im Tiermodell konnten die Forscher zeigen, dass das äußerlich sichtbare Erstarren mit einem definierten Gehirnzustand korreliert. Dafür konditionierten sie zunächst Mäuse mit einer Abfolge aus einem neutralen Ton und einem unmittelbar darauf folgenden Schmerzreiz. Die Mäuse merkten sich diese Verknüpfung und reagierten sichtlich mit einer Stressreaktion, wenn sie später erneut den Ton hörten. Sie verharrten schlagartig und bewegten sich nicht mehr. Die Angst-Erinnerung war offenbar sofort wieder da. Parallel dazu maßen die Forscher, was im Gehirn der Mäuse passiert: Die sichtbare Angstreaktion korreliert mit einer Oszillation im präfrontalen Kortex, deren Frequenz genau vier Hertz beträgt. Diese Vier-Hertz-Schwingung dehnt sich dann sehr schnell auf die Amygdala aus. Sie synchronisiert und koppelt dadurch beide weit entfernten Areale. „Wir haben damit gleichsam eine selbst erzeugte Symphonie des Gehirns entdeckt”, sagt Anton Sirota vom Munich Cluster for Systems Neurology. „Das Gehirn ist wie ein Orchester ohne Dirigent, es schlägt die Töne selbst an und bringt sich in einen bestimmten Rhythmus, je nach Aufgabe.”
Die Forscher konnten außerdem belegen, dass sich die Hirnzellen im präfrontalen Kortex entsprechend genetisch modifizierter Mäuse mit Lichtreizen von außen dazu anregen lassen, mit vier Hertz zu schwingen, und dass in der Folge wie bei der normalen Furchterinnerung präfrontaler Kortex und Amygdala im Gleichklang schwingen. Interessanterweise zeigen diese Mäuse dann ebenfalls die bekannten Angstreaktionen auch wenn sie diese nie zuvor erlernt haben, allein die Vier-Hertz-Oszillation genügt als Auslöser. Die Forschungen unterstreichen die Bedeutung von Oszillationen im Gehirn. Diese spielen offenbar eine entscheidende Rolle dabei, kollektive neuronale Aktivitäten über verschiedene Hirnregionen hinweg zu organisieren. Gehen Tiere beispielsweise auf Entdeckungsreise und erkunden die Welt, ist dies oft mit einer Schwingung von acht Hertz in einem Netzwerk von Hirnregionen verbunden, Tiefschlafphasen korrelieren bei Menschen wie Tieren mit langsamen Ein-Hertz-Schwingungen die den gesamten Kortex erfassen. Die Forscher hoffen nun, ein ähnliches Phänomen wie die mit Angst verbundene Vier-Hertz-Oszillation auch beim Menschen zu entdecken. Dies hätte ein großes therapeutisches Potenzial, denn dann ließen sich womöglich bei Patienten mit Angst- oder posttraumatischen Belastungsstörungen gezielt neuronale Frequenzen blockieren und so die übermäßigen Angstreationen verhindern. Im Gegensatz zu medikamentösen Therapien könnte eine solche Intervention zeitlich genau auf das Auftreten von Furchtepisoden beschränkt werden – mit womöglich deutlich reduzierten Nebenwirkungen für den Patienten. Originalpublikation: 4-Hz oscillations synchronize prefrontal–amygdala circuits during fear behavior Nikolaos Karalis et al.; Nature Neuroscience, doi: 10.1038/nn.4251; 2016