Gerade während der heißen Prüfungsphasen häufen sich Krankschreibungen an den Unis. Prüfungsämter drohen jetzt mit restrikiven Maßnahmen: Studierende sollen künftig angeben, warum sie einer Prüfung fernbleiben. Wie bewerten Ärzte und Studierende das Thema?
Psychische Probleme nach einer Trennung oder schwangerschaftsbedingte Übelkeit – geht es nach einigen Hochschulrektoren in Deutschland, müssen Studierende künftig angeben, warum sie ihrer Prüfung fernbleiben. So fordert die Universität Freiburg „Angaben zu Symptomen und der daraus resultierenden Leistungsminderung“. Darmstadt, Dortmund und Kiel hatten ähnliche Vorgaben, mussten aufgrund des massiven Drucks aber zurückrudern. Das Thema ist noch lange nicht vom Tisch - und für Ärzte, die eine Krankschreibung ausstellen, wie für Studenten, die sie brauchen, gleichermaßen interessant.
Professor Dr. med. Christian Albrecht May von der Technischen Universität Dresden hat sich als Hochschullehrer und Arzt mit der Thematik befasst. „Für den Kurs Mikroskopische Anatomie und Makroskopische Anatomie (beide parallel im Sommersemester) bekommen wir maximal sieben Krankmeldungen während des ganzen Semesters“, so May zu DocCheck. „Auf eine Woche hochgerechnet sind das pro Woche weniger als 0,4 Prozent der Studierenden.“ Zum Ende des Semesters finden mit sieben Tagen Abstand eine große mündliche Testierung „Innere Organe“ und eine Histologieklausur statt. „Im Sommer 2015 haben sich für die Makroskopie-Prüfung vier Prozent und für die Histologieklausur sechs Prozent krank gemeldet“, berichtet der Dozent. Viele Diagnosen seien nach wie vor ohne Situationsbezug; häufig kämen Gastroenteritis und Erkältungen vor. Auf keiner Krankmeldung würden Verbindungen zu Testaten gezogen. Albrecht May berichtet von einer besseren Alternative: „Wir haben nun für die zweite (und letzte) Wiederholung ein Verfahren der aktiven Anmeldung gewählt.“ Studierende entscheiden selbst, wann sie sich fachlich fit fühlen. Das Prinzip hat sich bundesweit noch nicht durchgesetzt. An vielen Unis ist das Attest noch Mittel der Wahl, wie Studierende berichten.
Daniel Wessling studierte an der Universität Tübingen Humanmedizin und Biologie (Bachelor). „In beiden Fächern kam es vor, dass ich Prüfungen krankheitsbedingt nachholen musste“, erzählt er DocCheck. „Für eine verpasste Prüfung reichte bisher sowohl bei mir als auch bei meinen Freunden immer ein ärztliches Attest ohne Angabe von Symptomen.“ Ähnlich sei es bei der Verlängerung von Fristen zur Zwischenprüfung gewesen. Bei Bekannten aus anderen Fachbereichen hätten teilweise kurze, schriftliche Erklärungen ausgereicht. „Wichtig ist, dass auf der ärztlichen Bescheinigung vermerkt ist, dass keine universitäre Veranstaltung besucht werden konnte oder dass ein Antritt zur Prüfung nicht möglich war. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wird gegebenenfalls nicht akzeptiert, da diese – wie ich finde auch völlig korrekt – eben nicht auf die Universität bezogen ist.“ Seiner Erfahrung nach sind Ärzte gern dazu bereit, einen kurzen Text mit Bezug auf die Uni zu verfassen. Wessling: „Ich habe Kontakt zu Studenten aus nahezu allen Semestern, und noch nie gehört, dass die Universität bei verpasster Prüfung eine Stellungnahme zu den genauen Ursachen der Erkrankung gefordert hat.“ Ihm sind nur Ausnahmefälle bekannt, sprich vier Atteste im gleichen Fach hintereinander, bei denen die Hochschule tatsächlich genauer nachgefragt hat. „Aber selbst bei Freunden, die etliche Klausuren krankheitsbedingt nicht mitschreiben konnten, wurde ohne Beanstandung ein kurzes Attest akzeptiert“, so Wessling.
Medizinstudentin Marlene Heckl aus München sieht ebenfalls keine Notwendigkeit für drastische Maßnahmen. „Sicherlich gibt es Kommilitonen, die sich ein Attest holen, weil sie mit der Prüfungsvorbereitung nicht fertig geworden sind. Ich denke aber, die sind eher eine Minderheit, denn bei uns kann man zu Semesterbeginn entscheiden, ob man ein Fach nicht einfach ins nächste Semester schiebt - und damit auch die Prüfung.“ Natürlich gebe es Studenten, die einfacher an Krankschreibungen kämen als andere. Heckl: „Wenn ein Arzt in der Familie ist, ist dies sicherlich eine geringere Hürde. Aber wenn man unbedingt ein Attest möchte, findet man bestimmt auch ohne ärztliches Vitamin B eine Möglichkeit.“ Marlene Heckl fände es ohnehin besser, wenn jeder Student selbst entscheiden könnte, ob er die Prüfung mitschreibt oder nicht. „Bei uns ist es beispielsweise in einigen Fächern wie Mikrobiologie möglich, sich bis ein paar Tage vor der Klausur abzumelden – ganz ohne Attest oder eine Erklärung. Wir sind doch alt genug, um entscheiden zu können wann wir eine Prüfung schreiben und wann es besser wäre sie zu schieben.“ Von der Diskussion um strengere Regelungen hält sie nichts – schließlich sei jeder selbst dafür verantwortlich, mit allen Prüfungen fertig zu werden. „Und die paar Kommilitonen, die sich dadurch vielleicht einen Vorteil verschaffen wollen, haben doch letzten Endes auch einen Nachteil, weil sie länger für das Studium brauchen, wenn sie ständig Prüfungen verschieben.
Mehr Eigenverantwortung beim Thema Krankschreibung käme aber nicht nur Studierenden oder Angestellten zu Gute. Wolfram Herrmann, Wissenschaftler an der Universität Magdeburg, zufolge kommen Deutschlands Versicherte auf 17 Arztkontakte im Jahr, während es bei Menschen aus Norwegen lediglich 5,4 sind? Zusammen mit Anders Bærheim, Bergen, interviewte Herrmann Patienten in deutschen und norwegischen Hausarztpraxen. Bei der Morbidität gab es keine nennenswerten Unterschiede, aber sehr wohl beim Arbeitsrecht. Während sich Arbeitnehmer in Norwegen viermal pro Jahr für bis zu drei Tage selbst krankschreiben können, benötigen Angestellte aus Deutschland am dritten Tag ein Attest. Viele Firmen sind dazu übergegangen, Krankschreibungen schon am ersten Tag zu fordern. Ärzte verbringen viel Zeit mit Bagatellerkrankungen und mit Schreibkram. Er fordert, die Regeln für Krankschreibungen bei uns zu lockern. Das setzt auch Hochschulen unter Druck.