Miniaturisierte Arzneimittelfabriken und 3D-Drucker revolutionieren die Herstellung von Medikamenten vor Ort. Sie bieten die Chance, Patienten lückenlos zu versorgen und ermöglichen einen Einsatz in Krisengebieten. Die Mini-Fabriken rütteln aber auch am Dispensierrecht.
In den USA ist ab sofort das erste per 3D-Druck produzierte Arzneimittel kommerziell erhältlich, berichtet Aprecia. Vor wenigen Monaten hatte der Konzern für sein Levetiracetam-Generikum Spritam® eine FDA-Zulassung erhalten. Bei der Herstellung setzen Forscher auf die sogenannte ZipDose®-Technologie, um Wirkstoffmengen von bis zu 1.000 Milligramm pro Tablette zu verpacken. Über dreidimensionale Druckverfahren entsteht aus Pulvermischungen und Flüssigkeiten Schicht für Schicht das fertige Präparat. Die Geräte müssen nicht zwangsläufig bei Aprecia stehen. Ihr Einsatz wäre auch in Kliniken oder größeren Arztpraxen denkbar.
Dass sich transportable Systeme zur Arzneimittelproduktion auch ohne empfindlichen 3D-Druck aufbauen lassen, haben Wissenschaftler am Massachusetts Institute of Technology (MIT) jetzt gezeigt. Sie arbeiten mit kontinuierlichen Verfahren - eine Technologie, die im Vergleich zur klassischen Herangehensweise etliche Vorteile hat. Chargenprozesse oder Batchproduktionen laufen bei pharmazeutischen Herstellern oft räumlich und zeitlich getrennt ab. Neben der Prozesskontrolle selbst, Kühlen oder Heizen große Reaktoren sind aufwändig, kommen logistische Schwierigkeiten noch hinzu. MIT-Forscher Andrea Adamo setzt deshalb auf geschlossene, englumige Röhrensysteme mit zwischengeschalteten Reaktionsgefäßen. Sein Prinzip stammt ursprünglich aus der petrochemischen Industrie, hat sich bei pharmazeutischen Herstellern aber nicht durchgesetzt.
Einige Details zur neuen Fabrik „out of the box“: Forscher arbeiten mit einzelnen Modulen, die sich je nach benötigtem Wirkstoff kombinieren lassen. Damit sei es möglich, eine ganze Palette an Molekülen zu produzieren, heißt es in der Veröffentlichung. Synthese-, Reinigungs- und Formulierungsschritte laufen kontinuierlich ab. Im ersten Modul laufen chemische Reaktionen ab. Aufgrund der verwendeten Materialien sind im System Temperaturen bis 250 Grad Celsius und Drücke bis zu 17 bar möglich. Anschließend wandert die rohe Produktmischung in das zweite Modul. Dort finden Reinigungsschritte statt, etwa durch Filtration oder Umkristallisation. Lösungsmittelreste werden entfernt, und das fertige Pharmakon in Wasser gelöst beziehungsweise suspendiert. An dieser Stelle findet auch eine Kontrolle der Konzentration statt. Die tragbare Arzneimittelfabrik synthetisiert beispielsweise 3.000 Dosen Diazepam oder 1.100 Dosen Fluoxetin pro Tag in flüssiger Darreichungsform. Nach ersten Erfolgen mit einem von Novartis mit finanzierten, weitaus größeren Prototypen hat Adamo das Gerät auf Gefrierschrankmaße geschrumpft. Gelder kamen von der US-amerikanischen Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA). Deren Interesse ist klar umrissen, nämlich die Herstellung von Arzneimitteln in Kriegsgebieten.
Transportable Synthesemaschinen leisten mehr, als sich die DARPA erhofft. Allan Myerson vom MIT-Department of Chemical Engineering sieht keine Konkurrenz zur pharmazeutischen Industrie. Er wünscht sich eher „Notfall-Backups“, sollten Fabriken in Katastrophensituationen ausfallen. Strom und Wasser vorausgesetzt, lassen sich dringend benötigte Pharmaka kurzfristig vor Ort produzieren – vorausgesetzt, es handelt sich um Moleküle, deren Patentschutz bereits erloschen ist. Sein Kollege Warren K. Lewis ergänzt, das Verfahren ermögliche es, kleine Arzneistoffmengen zu produzieren, etwa für seltene Erkrankungen oder für klinische Studien. Dies sei bei klassischer Herstellung oft unrentabel. „Außerdem könnten Versorgungslücken geschlossen werden“, ergänzt John Lewin vom Johns Hopkins Hospital, Baltimore. Auch in den USA sind Lieferengpässe ein ungelöstes Problem. Die Food and Drug Administration (FDA) listet nach wie vor etliche „Drug Shortages“. Lewin hofft, die neue Synthesefabrik könne dazu beitragen, Engpässe zu überbrücken – vielleicht sogar direkt in Kliniken oder Arztpraxen.
Mit diesem Ziel sind zumindest aus deutscher Sicht etliche Hürden verbunden. Defekturen, die ein hohes Risiko aufweisen, gelten selbst für Apotheker als aufwändig. Seit Novellierung der Apothekenbetriebsordnung (ApBerO) sind die Anforderungen weiter gewachsen. Das Arzneimittelgesetz zieht ebenfalls klare Trennlinien. „Auf Verschreibung dürfen Arzneimittel (...) nur von Apotheken abgegeben werden“, heißt es in Paragraph 43. Therapien „zum Zwecke der persönlichen Anwendung bei einem bestimmten Patienten“ gelten als Ausnahmen (AMG, Paragraph 13). Ob diese Regelungen noch zeitgemäß sind, diskutieren Heilberufler mit viel Emotion. Zuletzt hatte Dr. Jochen Pfeifer, seines Zeichens Apothekeninhaber und Hochschullehrer, Lockerungen für den ärztlichen Notdienst gefordert. Lee Cronin, Chemiker an der Glasgow University, gibt sich mit derart kleinteiligen Fragestellungen nicht zufrieden. Seine Vision ist ein „Chemputer“, eine Synthesemaschine für Pharmaka, in jedem Haushalt.