Biosensoren spüren Krebszellen auf, messen Blutzucker, spritzen Medikamente und ersetzen teure Labore. Bald werden Menschen sie so selbstverständlich tragen wie Fitness-Tracker. Die neuen Gadgets werden auch den Alltag von Ärzten und Apothekern verändern.
Das Gerät ist so groß wie eine Streichholzschachtel und liegt gut in der Hand. Hält man es über eine Schmerztablette, hat man kurze Zeit später alle wichtigen Daten auf seinem Smartphone. Auf dem Display erscheint die Strukturformel von Paracetamol, dazu ein paar Infos über den Wirkstoff. Das gleiche funktioniert mit Käse. Ein Klick und auf dem Smartphone steht der exakte Fettgehalt des Käses und seine Kalorien. Der Biosensor misst auch: Ist das Fleisch noch frisch? Das Obst reif? Und die Limo zuckerfrei? Drückt man das Gerät auf die Haut, ermittelt es schonungslos den Körperfettanteil. Scio ist ein Biosensor des israelischen Herstellers Consumer Physics. Wie ein Spektrometer, das im Nahinfrarotbereich arbeitet, erkennt es verschiedenste Stoffe und zeigt deren Zusammensetzung an. „Ein Biosensor, der schnell die Inhaltsstoffe eines Lebensmittels erfasst, könnte Patienten mit Allergien im Alltag helfen“, sagt Prof. Margitta Worm vom Allergie-Centrum-Charité in Berlin. „Oft essen Patienten aus Angst vor allergischen Reaktionen bestimmte Lebensmittel nicht, ohne tatsächlich zu wissen, ob sie darauf allergisch reagieren würden. Damit verzichten sie unnötig auf eine breite Auswahl an Lebensmitteln und machen sich den Alltag schwer. Ein Biosensor, der schnell Informationen liefert, könnte diese Unsicherheiten der Patienten ausräumen.“ Scio soll in Deutschland ab Juli für rund 250 Dollar erhältlich sein © Consumer Physics
Scio ist nicht der einzige Biosensor, der auf den Markt drängt. „Biologische Fühler“, wie sie auch genannt werden, haben eine große Zukunft, denn sie können teure Labore ersetzen. Sie messen Viren, Zellen, organische und anorganische Moleküle, Antigene sowie Bakterien. Biosensoren bestehen häufig aus einer biologischen Komponente, wie etwa einem Enzym, das beispielsweise mit Blut reagiert. Diese biologische Reaktion wird in ein elektrisches Signal konvertiert. Heraus kommen Daten, die sich leicht vergleichen lassen. Für Ärzte und Apotheker könnten Biosensoren schon bald eine große Rolle spielen. Hersteller entwickeln derzeit um die Wette, wer zuerst den besten Biosensor für Diabetiker auf den Markt bringt. Vielversprechend klingt ein schmales Armband, in dem Sensoren den Zuckergehalt im Schweiß des Trägers messen. Nach der sekundenschnellen Analyse spritzen Mini-Nadeln die exakt benötigte Menge Insulin in die Blutbahn. Wie die südkoreanischen Forscher berichten, sollen die Patienten den Piekser nicht spüren.
Den Einsatz von Biosensoren in der Therapie sieht die Allergologin Worm bei ihren Patienten noch kritisch. „Stelle ich mir etwa einen Biosensor vor, der unter die Haut implantiert wird, damit er regelmäßig einen Wirkstoff abgeben kann, so wäre das vielleicht für Diabetiker interessant, aber für einen Allergiker eher nicht. Ein Patient mit Pollenallergie braucht eventuell nur vier Wochen im Jahr ein Medikament - da halte ich einen implantierten Mikrochip für übertrieben.“ Biosensoren, wie etwa das Diabetiker-Armband, werden nicht nur den Alltag von Zuckerkranken verändern, sondern auch den von Ärzten. Patienten werden ihren Hausarzt um Rat fragen, um seine Einschätzung bezüglich dieser Mini-Geräte bitten und ihn später womöglich auch mit Problemen konfrontieren, wenn das Gerät nicht funktioniert. Die größte Veränderung wird aber wohl die sein, dass Biosensoren Daten sammeln. Patienten werden dann ihre Daten beim Arztbesuch selbst mitbringen. Oder das Gerät hat die Messdaten schon in Echtzeit an den Server der Arztpraxis geschickt. „Spannend finde ich den Einsatz von Biosensoren in der Allergie-Diagnostik. So könnte ich mir einen Biosensor vorstellen, der nur einen Blutstropfen braucht und innerhalb weniger Sekunden die Allergie-Antikörper im Blut bestimmt. Das könnte Betroffenen mit einer möglichen Allergie schnell ein erstes Ergebnis liefern", sagt Prof. Worm. Für die Erforschung eines solchen Biosensors hat sie mit Kollegen einen Forschungsantrag gestellt.
Ein Team deutsch-australischer Forscher hat ebenfalls ein neues Tool in der Pipeline. Sie haben einen Krebs-Schnelltest mit Biosensoren entwickelt. Von der Aufbereitung der Probe bis zum Ergebnis dauert es keine 30 Minuten. Der Chirurg könnte den Test noch im OP anwenden und wüsste, ob sich noch weitere Tumorzellen im Lymphknoten befinden. Die Forscher schreiben, in Laborversuchen war das Verfahren schneller und sensibler als herkömmliche Tests. Während in Deutschland Biosensoren und mobile Gesundheitstechnologien von Ärzten noch kaum benutzt werden, haben sie in den USA schon Einzug in den Alltag gehalten. 80 Prozent der Ärzte geben an, dass sie Smartphones und Medizin-Apps bei ihrer täglichen Arbeit benutzen. 40 Prozent der Ärzte glauben, dass mobile Gesundheitstechnologien die Anzahl der Arztbesuche verringern werden. Dass sich dieser Trend auch in Deutschland bald durchsetzen wird, davon geht Professor Ferdinand Scholz aus. „Definitiv werden Biosensoren auch in Deutschland wichtiger. Zurzeit ist eine intensive Entwicklung bei miniaturisierten Sensoren zu beobachten, die mehr und mehr dazu führen, dass jeder Mensch zu Hause gewisse Schlüssel-Charakteristika untersuchen kann“, sagt der Experte vom Institut für Optoelektronik der Universität Ulm.
In Deutschland ist man noch skeptisch. Aber der Boom wird kommen. Genau wie bei Fitness-Trackern, die anfangs nur zaghaft gekauft wurden. Doch mittlerweile nutzen mehr als 30 Prozent der Deutschen ab 14 Jahren einen Fitness-Tracker zur Aufzeichnung von Gesundheitswerten. Sie messen Körpergewicht, Temperatur und gegangene Schritte. Doch die Deutschen wollen mehr. Für sie ist es nicht nur eine Spielerei, sie wollen ihre Daten auch im Krankheitsfall nutzen. So würden 75 % aller Befragten im Krankheitsfall ihre mit einem Fitness-Tracker gemessenen Vitalwerte an ihren Arzt übermitteln. Unter chronisch Kranken sind es sogar 93 %. Genau für diese Zielgruppe, immerhin ein Drittel der Deutschen, könnten auch Biosensoren spannend sein. So ließe sich ein Biosensor wie Scio an die Apps gängiger Fitness-Tracker koppeln. Denn Apps können derzeit noch nicht die aufgenommenen Nahrungsmittel protokollieren. Genau das soll mit Scio und einer entsprechenden App bald möglich sein.
Noch detaillierter will Lumee arbeiten. Kleinste Biosensoren der Firma Profusa sollen tagtäglich die gesamten chemischen Abläufe im Körper messen. So entsteht ein kontinuierlicher Datenstream, der direkt an den Arzt übermittelt werden kann. Die Firma wirbt damit, dass dadurch eine ganz neue Möglichkeit entsteht, die Gesundheit zu überprüfen. Der Sensor wird etwa 4 Millimeter unter die Haut injiziert. Dort misst er die Konzentration des gewünschten Biomoleküls. Ein optisches Lesegerät kann dann von außen auf die Haut gehalten werden und übermittelt alle Daten an das Smartphone. Bisher gibt es erst einen Sensor, der den Sauerstoffgehalt im Gewebe misst, mit dem man beispielsweise Wundheilungsprozesse nach operativen Eingriffen an Gefäßen oder in der Behandlung von peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK) messen kann. Weitere Sensoren sollen folgen. Lumee wird ein paar Millimeter unter die Haut injiziert © Profusa Der jeweilige Sensor kann etwa zwei Jahre im Körper messen, danach muss er ersetzt werden. Da er aber keine Elektronik enthält und biokompatibel ist, muss er nicht entfernt werden. Laut Profusa soll es das Gerät noch im Laufe des Jahre auf dem europäischen Markt geben. Während Lumee in seiner bisherigen Ausstattung eher für Gefäßchirurgen interessant sein könnte, ist ein Biosensor wie Scio für ein breites Publikum gemacht. Der Biosensor ersetzt praktisch ein Nahinfrarot-Spektrometer.
Damit lässt sich, wie anfangs beschrieben, auch eine Schmerztablette in wenigen Sekunden auf ihre Inhaltsstoffe scannen. Ließen sich damit auch Medikamente auf ihre Echtheit überprüfen? Das sieht Christian Hoffmann von der Apothekerkammer Hamburg eher skeptisch: „Mit dieser Methode wird man gefälschte Medikamente trotzdem nicht erkennen. Ich bezweifle, dass Apotheker mit diesem Biosensor verlässlich arbeiten können.“ Auch andere Biosensoren haben für ihn keine Relevanz. „Als Apotheker beobachte ich den Markt sehr genau. Biosensoren sind aber derzeit für uns kein Thema.“ Im Gespräch mit Kunden wurde er bisher noch nicht nach Biosensoren gefragt. „Meiner Erfahrung nach verbinden Menschen Biosensoren mit etwas sehr Technischem, was in der Forschung benutzt wird. Oder sie denken, ein Biosensor ist etwas, was unter die Haut implantiert werden muss." Ganz unrecht haben seine Kunden nicht. In der Forschung spielen Biosensoren tatsächlich eine große Rolle. Doch was heute in den Laboren getestet wird, kommt morgen auf den Markt. „Mit Sicherheit werden Biosensoren etwas sein, was uns in einigen Jahren täglich begegnen wird“, sag Prof. Scholz von der Universität Ulm. „Wir werden es dann so selbstverständlich nutzen wie einen Schwangerschaftstest, den heute jede Frau zu Hause auf der Toilette durchführen kann.“ Der Nutzen von Biosensoren bestehe im frühzeitigen Erkennen von Problemen und Krankheiten durch den Patienten selbst, sagt Scholz. „Dadurch entsteht eventuell ein Vorteil für Krankenkassen und eine Entlastung für Ärzte, die sich dann den wichtigeren Fragen mit höherem Engagement widmen können.“