In dieser Rubrik wird jede Woche eine neue Studie kritisch hinterfragt. Dieses Mal: Probiotika und Depressionen. Angeblich soll der Verzehr von probiotischen Lebensmitteln wie Joghurt den Verlauf einer Depression positiv beeinflussen. Was ist dran?
Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) bilden bereits seit 20 Jahren das Rückgrat der modernen Depressionsbehandlung. Jedoch mehrten sich in den vergangenen Jahren auch immer mehr kritische Stimmen. Die Effektivität sowie die Verträglichkeit der SSRI bei Depressionen werden zunehmend in Frage gestellt. So scheinen die SSRI in der Indikation Depression nicht besser zu wirken als Placebo-Behandlungen und es treten mitunter schwere Nebenwirkungen auf. Diese führen letztlich dazu, dass nur jeder zweite Patient die Medikamente überhaupt länger als sechs Monate einnimmt – die Compliance demnach darunter leidet. Probiotika werden seit Längerem als eine mögliche nebenwirkungsfreie Alternative zu den SSRI gehandelt. Wie jedoch können Darmbakterien Depressionen verhindern? Darmbakterien spielen unter anderem eine sehr wichtige Rolle in der Signalkette zwischen Darm und Gehirn. Jeder kennt den Effekt, dass bestimmte Gefühle den Darm anregen oder auch umgekehrt und Darmprobleme einem die Stimmung „vermiesen“ können. Neuere Arbeiten gehen davon aus, dass Störungen der Immunfunktion des Darms zur Pathogenese von psychischen Erkrankungen, wie beispielsweise einer Depression, beitragen.
Probiotika unterstützen die Darmflora und beeinflussen die Immunantwort. Dadurch schüren Wissenschaftler Hoffnungen, Depressionen bald besser kontrollieren und langfristig „heilen“ zu können. Aus Tierversuchen ist bekannt, dass Probiotika die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HPA-Achse) beruhigen. Die HPA-Achse ist bei Depressionen in der Regel sehr aktiv. Darüber hinaus scheinen Probiotika die GABA-Synthese zu steigern, welche bei Patienten mit depressiver Episode im Normalfall erniedrigt ist. Ebenso beeinflussen Probiotika den Serotonin-Haushalt über die Aminosäure Tryptophan. Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2016 erhob die Probiotika sogar in den Olymp der Antidepressiva. Von einem Paradigmenwechsel war bereits die Rede und vor allem davon, dass Probiotika die Therapie der Depression weltweit revolutionieren würden. Die wissenschaftliche Seele mahnt bei solchen Verheißungen indes zur Vorsicht – und das mit Recht.
Eine aktuelle Metaanalyse kommt schließlich zu einem ganz anderen Urteil: „Probiotika sind zwar besser verträglich als SSRI, helfen dafür aber auch den Patienten mit Depression nicht.“ Allenfalls bei milder depressiver Symptomatik scheint es eine gewisse stimmungsaufhellende Wirkung zu geben. Grundlage dieser Meta-Studie waren insgesamt 10 randomisierte, doppelt-verblindete Kontrollstudien mit 1.349 eingeschlossenen Patienten. Einschlusskriterien waren folgende:
Obgleich das Bias-Risiko für die eingeschlossenen Studien recht klein war, konnten die Autoren der Metaanalyse keine Sensitivitätsprüfung vornehmen, da zum einen die methodische Qualität der Arbeiten sehr unterschiedlich ausfiel. Zum anderen reichte die geringe Zahl der Studien dafür nicht aus.
Die Aussagekraft dieser aktuellen Metaanalyse zum Einfluss von Probiotika auf Depressionen steht und fällt mit ihrer Datengrundlage aus den zehn eingeschlossenen Originalstudien. Zwischen den Arbeiten herrschten teils große Diskrepanzen im Hinblick auf die Probiotika-Dosierung oder die Behandlungsdauer. So nutzte eine Studie z. B. 100 g Joghurt pro Tag für 12 Wochen. Die Portionen enthielten jeweils 1,5 x 109 CFU/g (Colony-forming units, Koloniebildende-Einheiten) der Stämme Lactobacillus gasseri SBT 2055 sowie Bifidobacterium longum SBT2928. In einer anderen Studie schluckten die Teilnehmer für eine Dauer von 12 Wochen Tabletten mit 125, 250 oder 500 mg Lactobacillus helveticus IDCC3801. In einer dritten Arbeit setzten die Forscher stattdessen auf gefriergetrockneten Lactobacillus helveticus R0052 und Bifidobacterium longum R0175. Diese sollten die Probanden für insgesamt 8 Wochen einnehmen. Die Unterschiede zwischen den Studien erschwerten eine eindeutige Aussage für oder gegen Probiotika in der Depressionstherapie. Darüber hinaus geht nicht aus allen Studien eindeutig hervor, welche Bakterienstämme die untersuchten Probiotika enthielten, oder, ob sogar Kombinationen eingesetzt wurden. Es ist bereits bekannt, dass die unterschiedlichen Stämme durchaus individuell verschieden auf die Stressantwort des Körpers Einfluss nehmen können. Ein weiteres Problem, das auch heute ungeklärt bleibt, ist die richtige Dosierung der Probiotika. Welche Dosis welchen Bakterienstammes und in welchem Zeitrahmen verabreicht, bringt die größten Effekte bei Depressionen? Antwort: unbekannt. Welche Darreichungsform ist die stabilste und effektivste? Gefriergetrocknet, in Tabletten oder Kapsel oder doch besser als Joghurt-Kultur?
Probiotika und Depressionen – noch ist es eher eine vage Vermutung, dass der regelmäßige Verzehr Depressionen positiv beeinflussen könnte. Die Aussichten klingen verlockend. Depressionen ganz ohne Medikamente, einfach durch probiotische Bakterienkulturen heilen – keine Nebenwirkungen und maximaler Erfolg. Damit diese Vision überhaupt eine Chance auf Erfüllung hat, sind jedoch viele weitere Studien nötig, die vor allem unter Einsatz definierter Dosierungen und mit bekanntem Bakterienstamm in geeigneter Darreichungsform durchgeführt werden müssen. Zum jetzigen Zeitpunkt können Probiotika keinesfalls zur Behandlung von Depressionen empfohlen werden. Diese Studie zeigt explizit, wie viel Hoffnung bei diesem Thema noch welchem (Aus-)Maß an Unwissenheit gegenübersteht.