Seit anderthalb Jahren treffen sich Bundesminister mit Vertretern der Pharmaindustrie. Bisherige Ergebnisse enttäuschen: Etliche Ideen bleiben ohne passendes Gesetz vage. Union und SPD nutzen die Gunst der Stunde, Apothekern und Herstellern weitere Kürzungen anzudrohen.
„Exzellente Forschung, leistungsstarker Produktionsstandort und bestmögliche Arzneimittelversorgung“: Ergebnisse des Pharmadialogs . Mit an Bord waren Industrieverbände, Forschungseinrichtungen, Hochschullehrer und die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie. Standesvertreter der Apothekerschaft hatten nicht die Möglichkeit, sich zu beteiligen, während der GKV-Spitzenverband und der Gemeinsame Bundesausschuss zumindest als Gäste mit am Tisch saßen: ein Relikt aus dem Koalitionsvertrag. Die Ergebnisse im Überblick.
Alle Gesprächspartner sind sich darin einig, dass neuen Wirkstoffen im Kampf gegen Volkskrankheiten wie Krebs, Alzheimer und Diabetes mellitus sowie gegen seltene oder vernachlässigte Erkrankungen eine zentrale Rolle zukommt. Sie wollen ihre Forschung intensivieren, aber auch dafür sorgen, dass Innovationen schneller bei Patienten ankommen. Kooperationsmodelle wie Public Private Partnership oder Open Innovation-Modelle sollen folglich ausgebaut werden. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung will klinische Studien und systematische Reviews über den bereits bestehenden Förderschwerpunkt „Klinische Studien mit hoher Relevanz für die Patientenversorgung“ weiter unterstützen. Gleichzeitig planen Regierungsvertreter, Vorgaben im Rahmen des Vierten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften stärker europäischen Vorgaben anzupassen. Um strahlenschutzrechtliche Genehmigungsverfahren für Studien zu vereinfachen, hat die Bundesregierung ein neues Gesetz in Aussicht gestellt.
Dass Gesundheitspolitiker große Pläne haben, um gegen Antibiotika-Resistenzen vorzugehen, ist seit der Deutschen Antibiotika-Resistenzstrategie (DART) hinlänglich bekannt. Neue Wirkstoffe sind nur ein Teil der Wahrheit. Vom Bundesgesundheitsministerium kommt der Vorschlag, zusammen mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), der Bundesärztekammer (BÄK) sowie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) Informationen für Ärzte bereitstellen, um den Einsatz entsprechender Wirkstoffe zu steuern. Hersteller verpflichten sich nicht nur, die Initiative zu unterstützen. Im Gespräch ist, Leitlinienvorhaben per Fonds zu finanzieren – auf freiwilliger Basis, versteht sich. Immerhin will die Regierung mehr Diagnostik bei bakteriellen Infekten durch bessere Erstattungsmöglichkeiten fördern. Bei Wirkstoffen ist angedacht, die jeweilige Resistenzsituation stärker in die frühe Nutzenbewertung einzubringen. Ob, wie vom Bundesministerium für Gesundheit angedacht, längere Schutzfristen bei innovativen Pharmaka Sinn machen, ist fraglich. Vorteilen für forschende Hersteller stehen oft Nachteile bei der Versorgung von Entwicklungs- oder Schwellenländern gegenüber.
Auch das viel diskutierte Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) war Thema in Berlin. „Die Dialog-Partner sehen das AMNOG-Verfahren als Qualitätsmerkmal für den Standort Deutschland“, heißt es im Abschlussbericht. Sie sind sich darin einig, bei neuen, hochpreisigen Medikamenten eine Umsatzschwelle einzuführen. Überschreiten Hersteller diesen nicht näher präzisierten Wert, gelten schon vor Ablauf der Jahresfrist Erstattungsbeträge. Bei Rabattverträgen appellieren Dialogpartner an gesetzliche Krankenkassen, durch Mehrfachvergaben selbst gegen Lieferengpässe vorzugehen. Rabattierte Erstattungsbeträge unterliegen der Geheimhaltung. Generika-Hersteller profitieren außerdem von sechs Monaten Vorlauf. Das Bundesministerium für Gesundheit prüft, wie im Rahmen der Nutzenbewertung PUMA-Arzneimitteln (Paediatric Use Marketing Authorisation) Rechnung getragen werden kann, ohne auf einen Nachweis des Zusatznutzens zu verzichten. Damit nicht genug: Erhalten Wirkstoffe des Bestandsmarkts eine neue Zulassung und Unterlagenschutz, könnte der Gemeinsame Bundesausschuss vielleicht schon bald Nutzenbewertungen veranlassen. Reichen Unternehmen kein Dossier ein oder erweisen sich ihre Dokumente als unvollständig, drohen Sanktionen. Oppositionsvertreter kritisierten umgehend, viele Vorschläge blieben vage. Kritik kommt auch aus den eigenen Reihen.
Gesundheitspolitikern aus CDU/CSU und SPD geht der Maßnahmenkatalog nicht weit genug – die Fraktionen waren am Dialog nicht direkt beteiligt. Jetzt preschen sie mit konkreten Maßnahmen zur Kostendämpfung vor. „Aufgrund des steigenden Anteils hochpreisiger Arzneimittel wollen wir das Apothekenhonorar anpassen“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. Ziel der Politiker ist, Obergrenzen festzulegen, ohne Apothekern das Wasser abzugraben. „Eine verbesserte Honorierung werden wir bei den Rezepturen und den Betäubungsmitteln prüfen.“ Bei Reimport-Arzneimitteln soll der Preisunterschied künftig mindestens 15 Prozent betragen. Außerdem fordern Fraktionsvertreter gesetzliche Krankenkassen auf, älteren, multimorbiden Patienten OTCs wieder zu erstatten. Seit 2012 hätten GKVen diese Möglichkeit auf freiwilliger Basis. Sogar grüne Rezepte tragen mittlerweile den Hinweis. Und nicht zuletzt bewerten Experten Nachbesserungen am AMNOG-Verfahren als wenig zielführend. Sie lehnen es beispielsweise ab, Vorgaben zu Vergleichstherapien aufzuweichen.
Letztlich endete der Pharmadialog für alle Beteiligten mit Überraschungen. Industrievertreter konnten sich nur in einzelnen Punkten, allen voran bei der Geheimhaltung von Erstattungsbeträgen, durchsetzen. Dass manche Antibiotika nicht mehr in Festbetragsgruppen eingeordnet werden, hat aus Sicht des Marktes wenig Relevanz. Generika-Hersteller freuen sich über mehr Zeit, bis sie Rabattverträge beliefern müssen. Dem gegenüber stehen Umsatzschwellen bei Originalen im ersten Jahr. Industrievertretern bleibt nur noch die Höhe als Stellschraube. Und Fritz Becker, Chef des Deutschen Apothekerverbands, bewertete die Pläne, Mischkalkulationen bei Fertigarzneimitteln infrage zu stellen, als „absolut inakzeptabel“. Dass die Regierung Apotheker und Hersteller gleichermaßen zur Ader lässt, erstaunt bei näherer Betrachtung kaum. Krankenkassen hatten in den letzten Monaten massiv gegen „Mondpreise“ gewettert. Langsam naht der Wahlkampf – und Politiker mussten reagieren.