Medizin- und Wirtschaftsstudent Christoph Lüdemann engagiert sich ehrenamtlich in Afrika. Dafür wurde er dieses Jahr als erster „Student des Jahres“ ausgezeichnet. Was das bedeutet, erfahrt ihr im DocCheck Interview.
Der Preis „Student/in des Jahres“ vom Deutschen Hochschulverband (DHV) und dem Deutschen Studentenwerk (DSW) wurde dieses Jahr zum ersten Mal verliehen. Vorgeschlagen werden konnten Studenten, die ein „über die Leistungen im Studium hinausgehendes und herausragendes Engagement“ zeigen. Aus insgesamt 106 Kandidaten traf eine Jury aus Vertretern der beiden Organisationen die Entscheidung. Der mit 5.000 Euro dotierte Preis, der vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft gestiftet wird, ging Anfang April 2016 während der Gala der deutschen Wissenschaft an Christoph Lüdemann. Doch was macht diesen Studenten so besonders?
Der 29-jährige Christoph studiert Medizin im 9. Semester an der nordrhein-westfälischen Privatuniversität Witten/Herdecke. Aber das ist noch nicht alles. Gleichzeitig macht er seinen Master in Wirtschaftswissenschaften und engagiert sich ehrenamtlich. Da muss er ziemlich viel unter einen Hut kriegen. Denn Christophs Engagement nimmt so ziemlich den größten Teil seiner Arbeit ein. Der Medizinstudent ist nämlich Mitbegründer des Vereins „L’appel Deutschland“, der 2013 ins Leben gerufen wurde und neben mehr als 30 ehrenamtlichen Mitarbeitern auch ein jährliches Spendenvolumen von beinahe einer Viertel Million Euro hat. Die Organisation „L’appel“ leistet in Ruanda und Sierra Leone Hilfe zur Selbsthilfe und richtet ihre Projekte in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Infrastruktur an den Bedürfnissen der Menschen vor Ort aus. Im Norden Ruandas wurde eine Krankenstation aufgebaut, die die medizinische Versorgung der ländlichen Bevölkerung sicherstellt, und in Sierra Leone soll eine Ganztagsschule entstehen, die dort nach der Ebola-Epidemie dringend notwendige Bildung ermöglicht. „Christoph Lüdemann ist die treibende Kraft hinter ‚L’appel Deutschland‘, die in zwei der ärmsten afrikanischen Länder Projekte und Bauvorhaben durchführt. Trotz eines zeitintensiven Studiums lenkt er eine Hilfsorganisation, die Menschen mit schlechten Zukunftsaussichten Perspektiven auf eine bessere Zukunft eröffnet. Dieses außergewöhnliche und vorbildliche Engagement soll mit der Auszeichnung ‚Student des Jahres‘ gewürdigt werden“, erklären DHV und DSW bei der Preisverleihung. Doch wie kommt man auf die Idee, eine Hilfsorganisation zu gründen? © Christoph Lüdemann Beim gemeinsamen Bier in einer Kölner Kneipe haben Christoph und ein Freund vor sieben Jahren beschlossen, „etwas zu tun“. Zufällig trafen die beiden einen Bochumer Theologiestudenten aus Ruanda, der ihnen von seinem Land erzählte. Die beiden waren so begeistert, dass sie zu seinem Dorf fuhren. Drei Monate hörten sich die Studenten die Probleme der Menschen an und überlegten, wie sie helfen können. DocCheck: Christoph, wie bist du dann auf die Idee gekommen, eine eigene Hilfsorganisation zu gründen? Christoph: Die ersten Aufenthalte in Ruanda hatten erstmal gar nicht das Ziel, eine Organisation zu gründen. Aber die vielen Gespräche mit den Menschen vor Ort, die eine Fülle an Lösungsansätzen für die Probleme hervorbrachten, machten einen professionellen Rahmen unumgänglich. 2013 kam dann die Idee auf, eine Hilfsorganisation zu gründen, Spenden zu sammeln und Projekte zu starten. DocCheck: Wie sieht deine Arbeit bei „L’appel Deutschland“ aus? Christoph: Meine Arbeit ist vor allem die Schreibtischarbeit. Mein Bereich nennt sich „Operations“, also alles was für das Funktionieren der Organisation wichtig ist. Ich plane, mache die Buchhaltung, telefoniere mit Sponsoren, organisiere die Mitgliederversammlungen und bin auch sonst für alles da, was nebenbei so anfällt. DocCheck: Warum ist es so wichtig, dass es deine Organisation gibt? Wie unterscheidet sie sich von anderen Hilfsprojekten in der Region? Christoph: Wir begegnen jedem, den wir treffen auf Augenhöhe und vor allem versuchen wir, so schnell wie möglich überflüssig zu werden. Das klingt so abgedroschen, ist aber gar nicht so einfach. Die Projekte gehen innerhalb kurzer Zeit in die Hände derer, die von den Projekten vor Ort profitieren. Meist sind es sogar Lösungsideen aus der Bevölkerung.
Mit diesem Konzept ließ der Erfolg der Hilfsorganisation nicht lange auf sich warten. 2014 ging der erste Teilabschnitt einer Akutkrankenstation in Ruanda in Betrieb. Die Geburtsstation ist im Bau und das Bettenhaus in Planung. Christoph hat alle Hände voll zu tun. Doch das macht er gerne, schließlich gibt es immer wieder kleine Erfolge, die anspornen weiterzumachen. Beispielsweise konnte der Einheimische Jean-Paul mit Hilfe von L’appel die Ausbildung zum Elektriker machen. Jetzt hat er einen festen Job und kann etwas von seinem Verdienst zurückgeben. Das Konzept geht auf. DocCheck: Warum wolltest du Medizin studieren? Und wie kam es dazu, dass du neben einem Wirtschaftsstudium noch einmal ein Zweitstudium in Medizin begonnen hast? Christoph: Medizin war schon während des Abiturs mein großer Wunsch. Ich wusste einfach, dass es das werden soll. Kurz nach dem Abi hatte ich aber plötzlich das Gefühl, vorher unbedingt nochmal etwas anderes auszuprobieren. Mit Wirtschaft, dachte ich, könnte ich mir einen Teil der Welt erklären. Heute sind es dann plötzlich beide Fächer auf einmal. DocCheck: Wie vereinbarst du die zeitintensive Arbeit bei L’appel mit dem aufwändigen Medizinstudium? Christoph: Alles gleichzeitig zu schaffen ist nicht immer einfach, aber alles was täglich anfällt macht Spaß – das hilft. Zudem habe ich einen bärenstarken Co-Vorstand, Jakob, und ein super Team. Meine Klausuren schreibe ich durch die wenige Zeit, die ich zum Lernen habe, nicht immer gut, aber es reicht. Das ist sicher ein Preis, den ich für das Engagement zahle. DocCheck: Warst du überrascht, als „Student des Jahres 2016“ ausgezeichnet geworden zu sein? Christoph: Klar, ich war total überrascht. Es gibt so viele Studenten, die gute Ideen umgesetzt haben, sich sozial engagieren oder gegründet haben. Ich sehe mich da gar nicht als so explizit anders. Für den Preis wurde ich vom ehemaligen IHK-Chef Tillmann Neinhaus vorgeschlagen, der meine Ideen von Anfang an unterstützte. DocCheck: Was kannst du aus deinem sozialem Engagement für das Medizinstudium mitnehmen? Und umgekehrt, was hilft es dir für dein Projekt, dass du Medizinstudent bist? Christoph: So direkt lässt es sich gar nicht übertragen. Was einem als Mediziner hilft, ist die Frage: Was hilft? Als Mediziner sind wir evidenzbasiertes Handeln gewohnt – das gibt es in der Entwicklungszusammenarbeit fast gar nicht. Wir versuchen, auch diesen Umstand mit L’appel zu ändern. DocCheck: In welche Richtung willst du später als Arzt gehen? Oder möchtest du doch in die Wirtschaft? Christoph: Mich fasziniert seit jeher die Onkologie. Ich bin begeistert von allem, was auch nur entfernt mit Genen und Zellen zu tun hat. Die Hämatologie wäre sicher ein Bereich, in den ich gerne gehen würde. Demnach lautet der Plan: Wahltertial in der Onkologie und dann werde ich Arzt. DocCheck: Beteiligen sich auch andere Medizinstudenten bei „L’appel Deutschland“? Wie können Interessierte mitwirken? Christoph: Es gibt viele Medizinstudenten bei L’appel. Die Möglichkeiten, zu unterstützen, sind vielfältig. Wir sind immer auf der Suche nach neuen Köpfen und freuen uns sowohl auf Leute, die Lust auf Fleißarbeit haben als auch Menschen, die Verantwortung für ein ganzes Team übernehmen möchten. Der beste Weg ist, uns einfach eine kurze Mail zu schicken. DocCheck: Was planst du in Zukunft für Projekte mit deinem Verein? Christoph: Die Krankenstation in Ruanda soll weiter ausgebaut werden. Eine Geburtenstation soll die bisweilen teils lebensgefährlichen Geburten sicherer machen. Eine Herzensangelegenheit ist das Projekt des „Umgekehrten Generationenvertrags“, der in beiden Projektländern Hochschulbildung ermöglichen soll, ohne dass Studenten die hohen Studiengebühren selber zahlen müssen. Dies übernimmt stattdessen ein Förderer. Der Student zahlt den Förderbetrag zurück, wenn er ins Berufsleben eintritt – allerdings nicht an den Förderer, sondern an die nächste Generationen von Studierenden. So entsteht aus einer Spende ein ganzer Wirksamkeitskreislauf, der im besten Fall nie endet.