Die EU will, dass die Mitgliedstaaten bei der Nutzenbewertung von Arzneimitteln und Medizinprodukten künftig zusammenarbeiten. In Deutschland ist man nicht überzeugt: Ärzte und Politiker befürchten, unsere hohen Standards könnten der Vereinheitlichung zum Opfer fallen.
Ärzte und Politiker sind sich einig: Mit der geplanten HTA-Verordnung (Verordnung zum Health Technology Assessment) überschreitet die EU-Kommission ihre eigentlichen Kompetenzen. Ziel des Kommissionsvorschlags: die Nutzenbewertung von Arzneimitteln und Medizinprodukten zu vereinheitlichen, aber auch zu bündeln. Durch die Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten schaffe man mehr Transparenz und Handlungskompetenz für den Patienten, wird in der Pressemitteilung argumentiert. Außerdem geht es um Geld: „Durch die verstärkte EU-weite Zusammenarbeit bei der Bewertung von Gesundheitstechnologien können wir die Innovationstätigkeit fördern und unsere medizintechnische Industrie wettbewerbsfähiger machen. Mit seinem Anteil von rund 10 % am BIP der EU ist der Gesundheitssektor ein sehr bedeutsamer Teil unserer Wirtschaft,“ wird Jyrki Katainen, Vize-Präsident der Kommission Juncker zitiert. Es steckt also wie so oft der Wunsch dahinter, Herstellern den Marktzugang zu erleichtern. Eigene klinische Studien der Mitgliedsstaaten wären somit passé. Der Entwurf sieht jedoch keine Eingriffe in die Preisgestaltung oder die Kostenerstattung vor. Beim letzten Ärztetag übten Kollegen Kritik am Entwurf.
Folgende Kritikpunkte sorgten beim 121. Ärztetag für Unmut:
Während das Vertrauen in das geeinte Europa erodiere, setze die Europäische Kommission ihre „Politik der Machtkonzentration unbeirrt fort“, heißt es im Ergebnisprotokoll. Die HTA-Verordnung „zielt vermeintlich auf eine Zentralisierung, de facto aber auf eine der Industrie nützende Herabsetzung von Sicherheitsstandards der Arzneimittelbewertung ab“. Damit greife Brüssel erneut in die durch den Vertrag von Lissabon garantierte nationale Zuständigkeit für die Organisation des Gesundheitswesens ein. „Der 121. Deutsche Ärztetag 2018 fordert die Europäische Kommission auf, ihren Vorschlag für eine zentralisierte medizinische Nutzenbewertung so zu überarbeiten, dass er das Prinzip der Subsidiarität beachtet und den Patientenschutz in den Mittelpunkt stellt“, heißt es im Antrag. „Patientinnen und Patienten sind keine Konsumenten. Ihre Sicherheit darf nicht den Interessen der Gesundheitswirtschaft geopfert werden.“
Aus der Politik erhalten Ärzte starke Rückendeckung. Alle Fraktionen im Bundestag haben sich geschlossen gegen die Reformen gestellt. Ihre Forderung: eine Rüge an die EU. Sie begründen dies mit einer Verletzung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit seitens der EU. „Die EU-Kommission hat versucht, über den Umweg der Wirtschafts- und Handelspolitik Einfluss zu nehmen“, sagt Harald Weinberg, Abgeordneter der Fraktion Die Linke und stellvertretender Vorsitzender des Gesundheitsausschusses im Bundestag. „Das ist der einzige Weg, denn nach den geltenden Gesetzen ist die Gesundheitspolitik nationale Aufgabe der Mitgliedsstaaten. Insofern kann die EU nicht direkt in die Gesundheitspolitik eingreifen.“ Harald Weinberg, Die Linke, MdB.Bundestagsabgeordneter, Abgeordneter
„Gegen eine Harmonisierung ist eigentlich nichts einzuwenden, aber es ist die Frage, auf welchem Niveau“, sagt Weinberg: „Es gibt nicht nur bei uns, sondern zum Beispiel auch in Frankreich Vorbehalte gegen den Vorschlag der EU, weil die Arzneimittelsicherheit nicht in allen Ländern auf dem gleichen Niveau gewährleistet ist.“ Tatsächlich sieht auch der Bundestag „bei der Umsetzung des Vorschlags der Europäischen Kommission grundsätzlich die Gefahr, dass dies zur Abwertung von Standards der Nutzenbewertung in Deutschland führt“: Eine zentralisierte HTA-Bewertung könne den unterschiedlich ausgelegten Gesundheitssystemen der Mitgliedstaaten nicht gerecht werden. „Unser Niveau, das das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz AMNOG gewährleistet, wollen wir schützen“, sagt Weinberg. „Auch die frühe Nutzenbewertung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen IQWiG, das die Marktzulassung prüft, Unterlagen einfordert und die Preisverhandlungen zwischen den Kostenträgern und den Herstellern vorbereiten, ist im Prinzip ein gutes, zuverlässiges System, das in den vergangenen Jahren gut bewährt hat.“
Weinberg plädiert für eine sanftere Lösung. Bereits heute gebe es zwischen den bestehenden europäischen HTA-Institutionen einen Austausch. In einigen osteuropäischen Ländern und in Griechenland zum Beispiel gebe es allerdings noch gar keine HTA-Nutzenbewertung. Andere wie Großbritannien, Frankreich, Italien und die Benelux-Länder seien relativ weit entwickelt in dieser Hinsicht. „Diesen Prozess sollte man sich entwickeln lassen, finden wir“, so der Experte weiter.