Chronische Erkrankungen der Leber gehen oft mit der übermäßigen Bildung von Narbengewebe einher. Wissenschaftler konnten nun zum ersten Mal im lebenden Organismus die krankmachenden Bindegewebszellen so programmieren, dass sie sich in gesunde Leberzellen umwandelten.
Chronische Entzündungen führen in nahezu allen Organen zu Vernarbungsprozessen. Funktionelle Zellen wandeln sich dabei in Bindegewebszellen um, die die eigentliche Aufgabe des betroffenen Organs nicht mehr erfüllen können. Auch in der Leber kann sich übermäßig Bindegewebe als Folge einer Virusinfektion oder eines dauerhaften Alkoholmissbrauchs bilden. Der Prozess der Fibrosierung schreitet langsam über einen Zeitraum von vielen Jahren fort und endet schließlich in einer Leberzirrhose. Eine Heilung ist in diesem Stadium nicht mehr möglich, nur eine Organtransplantation kann dann noch helfen. Forschern der Medizinischen Hochschule Hannover ist es nun gelungen, Narbengewebe in der Leber von Versuchsmäusen in gesunde Leberzellen zu verwandeln. Wie die Wissenschaftler um Michael Ott und Amar Deep Sharma in einem Artikel [Paywall] in der Fachzeitschrift Cell Stem Cell berichten, nutzten sie dafür eine virale Genfähre, mit deren Hilfe sie die Bauanleitung für vier unterschiedliche Transkriptionsfaktoren in die krankmachenden Zellen einbrachten. Sobald FOXA3, GATA4, HNF1A, and HNF4A in den infizierten Bindegewebszellen produziert werden, können sie in den Zellkern wandern und an die DNA andocken. Dort aktivieren die Transkriptionsfaktoren spezielle genetische Programme, die dafür sorgen, dass die Zellen wieder die Eigenschaften von normalen Leberzellen annehmen.
2006 hatten Wissenschaftler um den späteren Nobelpreisträger Shinya Yamanaka zum ersten Mal gezeigt, dass sich aus Bindegewebszellen von Mäusen durch die Behandlung mit Transkriptionsfaktoren induzierte pluripotente Stammzellen (kurz: iPS-Zellen) erzeugen lassen. Sie gelten als ethisch unbedenkliche Alternative zu embryonalen Stammzellen und sind Ausgangspunkt für die Herstellung von funktionsfähigen Körperzellen. In den vergangenen Jahren glückte anderen Forscherteams auch die direkte Transformation von Fibroblasten in Neuronen, Herz- oder Leberzellen, ohne den Umweg über Stammzellen zu gehen. „Wir haben uns deshalb die Frage gestellt, ob es möglich wäre, nicht nur in Zellkultursystemen, sondern auch bei lebenden Mäusen Bindegewebszellen direkt in gesunde Leberzellen umzuwandeln“, berichtet Ott, Leiter der Klinischen Forschergruppe Zell- und Gentherapie am Zentrum für Experimentelle und Klinische Infektionsforschung der Medizinischen Hochschule Hannover. Für die Experimente verwendete das Forscherteam um Ott spezielle Mäuse, die mit gentechnischen Methoden so verändert worden waren, dass die normalen Hepatozyten der Tiere ein grün fluoreszierendes Protein und die Bindegewebszellen in der Leber ein rot fluoreszierendes Protein als Markierung zusätzlich produzierten. Die Forscher spritzten diesen Mäusen über einen Zeitraum von acht Wochen regelmäßig das Toxin Tetrachlorkohlenstoff. Die so behandelten Tiere entwickelten eine ausgeprägte Fibrosierung der Leber, ohne jedoch schon an deutlichen klinischen Symptomen zu leiden. Anschließend infizierten die Forscher die Mäuse mit Adenoviren, die eine Genkassette mit der Bauanleitung für die Transkriptionsfaktoren enthielten. Die Viren hatte Otts Team zuvor derart modifiziert, dass sie nur Fibroblasten der Leber ansteuern konnten und alle anderen Zellen von ihrem Angriff verschont blieben.
30 Tage nach der Injektion der Viren wurden die Tiere getötet und Gewebeschnitte ihrer Lebern untersucht. Ott und seine Mitarbeiter analysierten unter dem Mikroskop die Signale der rot und grün fluoreszierenden Proteine und verglichen ihre Verteilung mit dem Proteinmuster von normalen Hepatozyten. Sie stellten dabei fest, dass sich ein kleiner Teil der Fibroblasten in Hepatozyten verwandelt hatte. Bei Mäusen dagegen, die zur Kontrolle mit einem Adenovirus ohne Genkassette behandelt wurden, konnten die Forscher keine reprogrammierten Zellen beobachten. „Die Umwandlung schreitet rasch voran und ist dann nach relativ kurzer Zeit abgeschlossen“, berichtet Ott. Lebergewebe nach Transformation: normale Hepatozyten (grün) und induzierte Hepatozyten (rot) © MH-Hannover Die neu entstandenen Hepatozyten sind stabil und voll funktionsfähig: Sie produzieren die gleichen Proteine wie die normalen Hepatozyten und haben in dieser Hinsicht keine Ähnlichkeit mehr mit den Fibroblasten, aus denen sie hervorgegangen sind. Das Lebergewebe der Versuchsmäuse zeigte nach der Umprogrammierung auch weniger Anzeichen einer Vernarbung, da die Menge des für Leberfibrose typischen Kollagens im Vergleich zu den Organen der Kontrolltiere deutlich zurück gegangen war. „Der besondere Charme unserer Methode liegt darin, dass wir nicht nur die Vernarbung des Organs vermindern, sondern gleichzeitig die für den gesamten Organismus wichtige Leberfunktion wieder herstellen konnten“, fasst Ott die Ergebnisse zusammen.
Andere Experten geben sich damit noch nicht zufrieden: „Die neue Methode stellt einen wichtigen Durchbruch dar, doch nun muss sich zeigen, ob auch fortgeschrittenere Lebererkrankungen als die relativ milden Fibrosen bei den Mäusen behandelt werden können“, findet Jan Hengstler, wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Institut für Arbeitsforschung in Dortmund und Leiter der dortigen Arbeitsgruppe Systemtoxikologie. Wichtig, so Hengstler, sei es auch, mehr darüber zu erfahren, wie genau sich die filigranen, lang gestreckten Narbenzellen in die viel größeren, runden Hepatozyten umwandeln und ob mit optimierten Techniken die Transkriptionsfaktoren in einen noch größeren Teil der Narbenzellen übertragen werden können. Ott geht davon aus, dass sich die neue Methode grundsätzlich auch bei Patienten mit fibrotischem Lebergewebe anwenden lässt, da die in der aktuellen Studie verwendeten Transkriptionsfaktoren sich zwischen Mensch und Maus weitgehend gleichen. Doch bis für den humanen Einsatz angepasste Adenoviren in klinischen Studien getestet werden könnten, werden wohl noch einige Jahre vergehen. „Bis dahin muss in Langzeit-Experimenten geklärt werden, ob ein Risiko besteht, dass durch die Reprogrammierung auch maligne Leberzellen entstehen können“, so Ott. Mit seiner Ansicht steht er nicht alleine da: „Es besteht die Gefahr, dass Leberzellen nach der Infektion mit Adenoviren bösartig entarten könnten“, erklärt Frank Tacke, Leitender Oberarzt an der Klinik für Gastroenterologie und Stoffwechselkrankheiten der RWTH Aachen. „Gerade chronisch entzündetes Lebergewebe neigt zur Umwandlung in Krebsgewebe – ein Prozess, der durch das Einbringen von Transkriptionsfaktoren noch verstärkt werden könnte.“
Die neue Methode, so Tacke, sei spektakulär und könne dabei helfen, Leberfibrosen eines Tages zu behandeln, doch momentan befinde sie sich noch in einem sehr experimentellen Stadium. Der Forscher kann sich deshalb auch vorstellen, die Fibrosierung der Leber auf medikamentösem Weg zu vermindern. Zum Beispiel lässt sich mit dem monoklonalen Antikörper Simtuzumab das Enzym blockieren, das die Kreuzvernetzung des von den Fibroblasten produzierten Kollagens bewirkt. Dieser Antikörper wird zurzeit in einer Phase II-Studie an Patienten mit einer nicht-alkoholischen Steatohepatitis erprobt; erste Ergebnisse werden im kommenden Jahr erwartet. Originalpublikation: Direct Reprogramming of Hepatic Myofibroblasts into Hepatocytes In Vivo Attenuates Liver Fibrosis [Paywall] Guangqi Song et al.; Cell Stem Cell, doi: 10.1016/j.stem.2016.01.010; 2016