Im Hefepilz konnte das Toxin Candidalysin nachgewiesen werden. Das Gift macht den Pilz zu einem gefährlichen Krankheitserreger. Sobald sich der Pilz an die Wirtszelle heftet, erkennt diese das Toxin. Und dann setzt das Immunsystem zum Gegenangriff an.
Mikrobiologen ist es erstmals gelungen, beim Hefepilz Candida albicans, ein echtes Toxin zu finden. Der Hefepilz ist normalerweise ein harmloser Darmbewohner, der bei vielen Menschen im Laufe ihres Lebens Infektionen hervorruft. Candidalysin, so der Name des Giftes, bildet an der Membran der Wirtszelle Löcher und kann sie so zerstören. Am Beispiel von Schleimhautzellen des Mundes konnten die Wissenschaftler diesen Mechanismus nachweisen. Solche oralen Infektionen mit Candida albicans sind extrem häufig bei HIV-Patienten, aber auch bei sehr jungen und alten Menschen mit einem schwachen Immunsystem.
Die Arbeitsgruppe von Julian Naglik am King’s College in London lieferte hierfür den Anstoß. In Jena kümmerte sich das Team um Bernhard Hube am Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie währenddessen um die molekulare Ebene des Aufeinandertreffens zwischen Pilz und Wirt. Sie konnten beweisen, dass Candidalysin tatsächlich eine Schädigung in der Wirtszelle verursacht. Hinzu kam der Biophysiker Thomas Gutsmann vom Leibniz-Zentrum für Medizin und Biowissenschaften Borstel, der mit seiner Gruppe die Einwirkung des Giftes auf die Zellmembran untersuchte. Ähnliche toxische Verbindungen – Peptide – kennt man von anderen Krankheitserregern schon lange. Das Entscheidende ist, dass Candida zunächst ein weitaus größeres Molekül – ein Polypeptid – bildet. Das dafür codierende Gen ist schon lange bekannt, dessen Funktion war bisher unbekannt. Erst jetzt konnten die Forscher das kleine Molekül identifizieren. Sie erkannten, dass das Polypeptid durch ein bestimmtes Enzym in mehrere kleine Teile zerschnitten wird. Eines davon ist das nun entdeckte Candidalysin. Seinen Namen bekam das Toxin, da es zur Auflösung der Zelle beiträgt, sie also „lysiert". Aus einer ungefährlichen Vorstufe wird also erst dann das eigentliche Gift freigesetzt, wenn es vom Erreger benötigt wird.
Diese Vorgänge stehen in engem Zusammenhang mit einem weiteren für die Krankheitsentstehung wichtigen Mechanismus: Candida albicans weist zwei verschiedene Wachstumsformen auf. Der Pilz kann als eiförmige typische Hefezelle oder in fadenförmiger Hyphenform vorkommen. Taucht er in geringen Mengen als Hefezelle auf, erkennt das Immunsystem, dass es (vorerst) nichts zu befürchten hat. Bildet er aus den runden Zellen heraus Fäden, die sich fest am Wirtsgewebe ansiedeln, ist Mensch und Immunsystem in Gefahr. Ausgehend von dieser Erkenntnis, entwickelten Wissenschaftler verschiedene Mutanten des Pilzes. Erst als ein Mutant, der das Gen für das große Vorläufermolekül von Candidalysin fehlte, in Modellen mit Mundschleimhautzellen untersucht wurde, wurde die Bedeutung von Candidalysin deutlich.
Das Molekül ist nicht nur für den Pilz, sondern auch für das Immunsystem des Wirts entscheidend. Sobald sich der Pilz an die Wirtszelle heftet und diese damit beschädigt, erkennt der Wirt das Toxin Candidalysin und damit den Pilz. So setzt dessen Immunsystem zum Gegenangriff an. „Das ist ein wunderbares Beispiel für Koevolution“, sagt Bernhard Hube, Professor an der Friedrich-Schiller-Universität und Abteilungsleiter am HKI. „Der Krankheitserreger hat ein Toxin erfunden, um einen Organismus zu besiedeln. Der Wirt steht dem in nichts nach und leitet Gegenmaßnahmen ein.“ Offen bleibt nun jedoch noch, welche biologische Funktion das Gift im normalen Leben hat, dann nämlich, wenn der Pilz keine Infektion auslöst, sondern als friedlicher Mitbewohner Schleimhäute besiedelt. Originalpublikation: Candidalysin is a fungal peptide toxin critical for mucosal infection David L. Moyes et al.; Nature, doi: 10.1038/nature17625; 2016