Medizinische Superhelden erkranken trotz offensichtlicher Mutationen im Erbgut nicht. Richtig verstanden haben die Forscher das Phänomen bei monogenetischen Leiden noch nicht. Grund genug, vor allzu einfachen Zusammenhängen zwischen Genotyp und Phänotyp zu warnen.
Wenn Daniel MacArthur, Forscher am Massachusetts General Hospital, Boston, von „Superheroes“ („Superhelden“) spricht, hat er keine fliegenden, muskelbepackten Kraftpakete vor Augen. Die eigentliche Leistung versteckt sich auf Nanometer-Ebene in DNA-Molekülen: Manche Individuen erkranken nicht, obwohl sie das aufgrund ihres Genoms eigentlich müssten. Erstmals liegen genaue Zahlen zu diesem Phänomen vor.
Rong Chen und Lisong Shi von der Icahn School of Medicine in Mount Sinai, New York, haben molekularbiologische Daten von 589.306 erwachsenen Freiwilligen ausgewertet – die bislang größte Datenbasis zur Untersuchung genetischer Widerstandsfähigkeiten. Um überhaupt erfolgreich arbeiten zu können, schlossen sich das Icahn Institute for Genomics at Mount Sinai, Sage Bionetworks, der Genomdienstleister 23andMe, BGI Cognitive Genomics, das Ontario Institute for Cancer Research und weitere Partner zum „Resilience Project“ zusammen. Anne Wojcicki zufolge kamen 400.000 von ihnen über Projekte von „23andMe“. Die CEO des Dienstleisters von „23andMe“ plädiert außerdem für freie Datensätze, um die Forschung voranzubringen, wie bei der aktuellen Publikation. Bei 13 Teilnehmern wurden Chen und Shi fündig. Diese waren offensichtlich gesund, obwohl sie aufgrund ihrer genetischen Ausstattung eigentlich diverse Leiden haben sollten.
Bildquelle: http://resilienceproject.com/ Gemessen an der großen Stichprobe erscheinen 13 Personen auf den ersten Blick vielleicht unbedeutend. In der bisherigen Literatur wurden jedoch nur Einzelfälle beschrieben. Die vergleichsweise große Zahl erstaunt Humangenetiker, gibt aber auch Anlass zum Nachdenken. Rong Chen und Lisong Shi zufolge könne man monogenetische Erkrankungen nicht auf bekannte Mutationen reduzieren. Phänotyp und Genotyp korrelieren in vielen, aber nicht in allen Fällen. Dieser Aspekt stellt Pränataltests zumindest teilweise infrage. Bei Resilienzen vermuten die Autoren Regionen im Erbgut, die eine schützende Wirkung entfalten. Details sind aber noch nicht bekannt. Humangenetiker interessieren sich besonders für die Einzelfälle, um Krankheitsprozesse zu entschlüsseln. Dabei gelten monogenetische Erkrankungen noch als vergleichsweise überschaubar.
Viel schwieriger ist die Sache bei Erkrankungen mit polygenetischem Hintergrund, wie Hannah J. Jones, Bristol, am Beispiel von Schizophrenie zeigt. Für eine Geburtenkohorte hat sie zusammen mit Kollegen 14.062 Kinder rekrutiert. Genetische Daten von 9.912 mittlerweile jugendlichen Probanden kamen noch hinzu. Alle bislang bekannten Einzelnukleotid-Polymorphismen (Single Nucleotide Polymorphisms, SNPs) erklären je nach Studie 30 bis 50 Prozent des genetisch bedingten Schizophrenierisikos. Jones arbeitete jetzt mit einen Risikoscore, der sowohl die Zahl der Allele als auch die Effektstärke berücksichtigt – ohne durchschlagenden Erfolg. Ihr gelang es nur, höhere Risiken für Angststörungen oder für eine Negativsymptomatik zu ermitteln. Ähnlich kontrovers diskutieren Wissenschaftler über therapeutische Entscheidungen bei Brustkrebs: Patientinnen mit HER2-negativem Mammafrühkarzinom können gefahrlos auf eine adjuvante Chemotherapie verzichten, falls Genexpressionstests auf eine niedrige Aggressivität des Tumors hindeuten. Zu diesem Ergebnis kam Oleg Gluz von der Westdeutschen Studiengruppe in Mönchengladbach. Noch Ende 2015 schrieb das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), der Nutzen sei unklar. In unseren Genen steckt eben noch so manches Geheimnis.