Es gibt nur fünf Bundeswehrkrankenhäuser in Deutschland, die man oft mit striktem Führungsstil und klarer Befehlskette assoziiert. Im Bereich der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie absolvierte ich meine Famulatur – ohne bissige Schwestern und Ärzte mit Alphatierchen-Gehabe.
Am ersten Tag war ich sichtlich nervös. Fast jeder kennt den Drill-Sergeant aus Full Metal Jacket und ungefähr so, so stellte ich es mir zumindest vor, muss es an einem Bundeswehrkrankenhaus zugehen. Ich bereitete mich schon mal innerlich darauf vor, jeden meiner Sätze mit „Sir“ zu beginnen und machte mich auf den Weg zum Krankenhaus. Der „Dienst“, wie es bei der Bundeswehr heißt, begann um 7:00 Uhr mit einer Frühbesprechung, ich war allerdings bereits um 6:30 da, um auf keinen Fall zu spät zu kommen. Bereits auf der Suche nach dem Besprechungsraum kamen mir einige Menschen in grüner oder weißer, Uniform entgegen, die mir allerdings, entgegen aller Erwartungen, ein sehr freundliches „Guten Morgen“ entgegenbrachten. Dennoch klopfte ich am Besprechungsraum mit einem leicht flauen Magen. Keiner öffnete. Ich riskierte einen Blick. Keiner da. Also suchte ich mir einen Stuhl am Tisch und wartete.
Eine gute Viertelstunde später betrat ein Mann in weißer Uniform das Zimmer. Ich sprang sofort auf und grüßte mit einem zackigen „Guten Morgen“. Mit einem leichten Grinsen stellte sich mir der junge Stabsarzt vor und merkte an: „Sie müssen wohl der neue Famulant sein.“ Bis die restliche Ärzteschaft eintraf, machten wir etwas Smalltalk und ich wurde jedem vorgestellt. Nachdem die erste Nervosität weg war, merkte ich, dass hier alle sehr freundlich und um einiges entspannter zu sein schienen als an den zivilen Krankenhäusern, an denen ich bisher gewesen bin. Der Chef, ein Oberstarzt, betrat den Raum, jeder bekam einen Kaffee und die Frühbesprechung begann: Was ist im Nachtdienst passiert? Welche Patienten stehen heute auf dem OP-Plan? Welche Patienten werden ambulant behandelt? Nach der Frühbesprechung ging es weiter zur Visite. Auf dem Weg dorthin unterhielt ich mich mit einigen Stabsärzten und Oberfeldärzten. Die Dienstgrade signalisieren die Rangordnung. Diese strikte Hierarchie spürte man aber kaum, da es sehr kollegial zuging. Am Stationszimmer angekommen trafen wir auf zwei weitere Famulanten, die den Besprechungsraum nicht gefunden hatten. Ich wartete darauf, dass sie, aufgrund ihrer Abwesenheit in der Frühbesprechung, als unfähige Maden und amphibische Ur-Scheiße beschimpft werden, allerdings blieb der Chef völlig gelassen. Alles kein Problem. Stattdessen wurden wir Famulanten aufgeteilt. Einer hatte in der ersten Woche Dienst auf der Station, einer in der Ambulanz und ich durfte die ganze erste Woche in den OP.
Direkt nach der Visite wurde ich von einem der Chefärzte mit in den OP genommen. Es stand die Resektion eines Plattenepithelkarzinoms auf dem Plan. Auch dieser Chefarzt – ein Oberfeldarzt, was einen Rang unter dem Oberstarzt ist – war unerwartet freundlich. Er zeigte mir, wie man sich einwäscht, die OP-Schwester verpackte mich steril, ich bekam zwei Haken in die Hand und los ging es. Ganze acht Stunden dauerte die OP letztendlich. Von diesen acht Stunden schaffte ich es gefühlte fünf Minuten, steril zu bleiben. Der Kopf des Operateurs berührte blöderweise meinen Ärmel. Obwohl es nicht meine Schuld war, erwartete ich, den Einlauf meines Lebens zu bekommen, da ich es so bereits von Kommilitonen, die bereits im OP waren, gehört hatte: „Wie groß sind Sie, Private? 1,85 Meter? Ich wusste gar nicht, dass man Scheiße so hoch stapeln kann!!!! Sie sind so hässlich, sie könnten glatt ein modernes Kunstwerk sein!!!“ Stattdessen kam von der OP-Schwester ein: „Ach ja, der Famulant wieder.“ Und von dem operierenden Oberfeldarzt nur ein Augenzwinkern.“ Am Ende durfte ich sogar noch mit zunähen.
Meine zweite Woche verbrachte ich komplett auf der Ambulanz. Hier traf ich wieder auf den Stabsarzt vom ersten Tag, der mich sofort in die anfallende Arbeit miteinbezog. Die Hauptaufgaben bestanden darin, Anamnesen zu erheben und ins System einzupflegen, Ambulanzbriefe zu erstellen und bei ambulanten OPs zu assistieren. So konnte ich bei vielen Weisheitszahnentfernungen, Zahnextraktionen und Implantaten mit dabei sein und Erfahrung sammeln. Der Höhepunkt der Woche war eine Speichelsteinbergung mit dem Endoskop. Obwohl ich hier immer pünktlich um 16:30 Uhr Feierabend hatte, empfand ich die 2. Woche als anstrengender als die OP-Woche, in der ich oftmals bis 18:00 Uhr abends assistiert hatte. Es ist eben doch etwas anderes, ob man „nur“ am Menschen den Haken hält, oder sich wirklich mit ihm auseinandersetzen muss – immer wieder bei seinen Geschichten nachhaken, immer konzentriert bleiben, um nichts bei der Dokumentation zu vergessen. Was mich überraschte, war, dass in der Ambulanz alle Helferinnen und Auszubildende Zivilisten waren. Die Zusammenarbeit zwischen den Militärärzten und den zivilen Mitarbeitern verlief jedoch völlig problemlos und die Arbeitsatmosphäre war auch in stressigen Situationen sehr angenehm. Es wurde immer auf einen respektvollen Umgangston geachtet.
In der dritten Woche, war ich noch an der Reihe, Dienst auf der MKG-Station abzuleisten. Wieder ein paar neue Gesichter mehr, wieder ein paar neue Aufgaben, wieder ein sehr gutes Arbeitsklima, was sich, so wie es mir schien, wie ein roter Faden durch das komplette Krankenhaus zog. Auf der Station stand die Patientenpflege im Vordergrund, wobei diese Aufgabe hauptsächlich von den Krankenpflegepraktikanten übernommen wurde. So beschränkte sich mein Aufgabengebiet darauf, Blut abzunehmen und Zugänge zu legen, aber hauptsächlich Patienten neu aufzunehmen und Arztbriefe zu schreiben. Sprich: jede Menge Papierkram. Die immer schlimmer werdende Bürokratisierung des Arztberufes ist sehr lästig und gehört sicherlich zu den weniger spannenden, beziehungsweise spaßigen Aufgaben eines Arztes. Dafür war ich hier sehr nah an den Patienten und hatte Zeit, mich mit ihnen und ihren Krankengeschichten richtig auseinanderzusetzen. Von keifenden und bissigen Schwestern, von denen man so oft in den Erzählungen nach einer Famulatur hört, fehlte hier jede Spur, sodass auch meine dritte Woche durch und durch positiv verlief. In der vierten Woche durften wir Famulanten uns letztendlich mehr oder weniger selbst einteilen, sodass ich mich recht gut um den Papierkram auf der Station drücken konnte und meine Zeit hauptsächlich im OP beziehungsweise auf der Ambulanz verbrachte, um hier noch so viel an Erfahrungen mitnehmen zu können, wie nur möglich war.
Alles in allem gehörten diese vier Wochen mit Abstand zu den besten meines Studiums. Ich hätte gerne auch Schlechtes berichtet, allerdings ist mir in diesen vier Wochen nichts Schlechtes widerfahren. So bleibt mir letztendendes nichts anderes übrig, als mich über die Krankenhauskantine auszulassen, die ja wirklich in jedem Krankenhaus eine Katastrophe ist – halt stopp, selbst die war diesmal in Ordnung. Ich kann jedem eine Famulatur bei der Bundeswehr nur empfehlen. Meine Befürchtung, hier auf militärischen Drill zu treffen und alle zwei Sekunden zusammengeschissen zu werden, bewahrheitete sich absolut nicht. Statt genervter und überlasteter Belegschaft traf ich auf ein motiviertes und engagiertes Team. Hier sieht man meiner Meinung nach auch das Kernproblem ziviler Krankenhäuser. Chronische Unterbesetzung und die damit verbundene Mehrbelastung führen zu einem gestressten, oft schlecht gelaunten und frustrierten Personal. Die Bundeswehr ist scheinbar doch nicht in allen Bereichen veraltet und rückschrittlich, sondern besitzt, gerade was die medizinische Versorgung angeht, sehr hohe Standards.