Sind Nährstoffe begrenzt vorhanden, bringen Bakterienpopulationen besonders viele Individualisten hervor. Einzelne Zellen können dabei zwar leiden, die Gruppe als Ganzes hingegen wächst. Insbesondere der Umgang mit erschwerten Umweltbedingungen wird so erleichtert.
Egal ob Mensch oder Bakterium – unsere Umweltbedingungen bestimmen, wie wir uns entwickeln können. Dabei gibt es zwei grundlegende Probleme: Welche Ressourcen stehen zur Verfügung, um zu überleben und zu wachsen, und was passiert, wenn sich die Umweltbedingungen unerwartet verändern? Forscher haben nun herausgefunden, dass Bakterienpopulationen besonders viele Individualisten hervorbringen, wenn es nur begrenzt Nährstoffe gibt. Das bedeutet, dass diese Bakterienpopulationen sich nicht nur – wie meist angenommen – im Nachhinein an veränderte Umweltbedingungen anpassen. Die Individualisten können auch schon im Vorhinein auf solche Veränderungen vorbereitet sein.
Die Forscher um Frank Schreiber zeigten, dass einzelne Zellen in Bakteriengruppen, die unter Nährstoffmangel leiden, sehr unterschiedlich reagieren können. Obwohl alle Zellen einer solchen Gruppe genetisch genau gleich sind, gehen sie ganz unterschiedlich mit den Nährstoffen in ihrer Umgebung um. Bakterien der Art Klebsiella oxytoca nehmen bevorzugt Stickstoff in Form von Ammonium auf, denn das kostet vergleichsweise wenig Energie. Wenn nicht genügend Ammonium für alle vorhanden ist, beziehen einige Zellen der Gruppe ihren Stickstoff durch Stickstofffixierung aus elementarem Stickstoff, obwohl das deutlich aufwändiger ist. Geht nun das Ammonium plötzlich ganz aus, sind diese Zellen auf den Mangel gut vorbereitet. Auch wenn einzelne Zellen leiden, kann die Gruppe als Ganzes weiterwachsen. „Obwohl alle Individuen der Gruppe genetisch identisch sind und den gleichen Umweltbedingungen ausgesetzt waren, sind die einzelnen Zellen verschieden“, so Schreiber.
Diese bemerkenswerten Unterschiede zwischen den Bakterien konnten Schreiber und seine Kollegen nun entlarven. „Wir mussten die Nahrungsaufnahme einzelner Bakterienzellen messen – obwohl die nur zwei Mikrometer groß sind“, erklärt Schreiber. „Üblicherweise werden in der Mikrobiologie nur die kollektiven Eigenschaften in Populationen von mehreren Millionen oder gar Milliarden von Zellen zusammen gemessen. Nur durch die enge Zusammenarbeit, die vielfältige Expertise und die technische Ausstattung der beteiligten Forschergruppen war es möglich, so ins Detail zu gehen.“ Die Studie belegt, wie wichtig Individualität – bei Bakterien und im Allgemeinen – in einer veränderlichen Umwelt sein kann. Unterschiede zwischen Individuen verleihen der ganzen Gruppe neue Eigenschaften und erlauben ihr so, mit schwierigen Umweltbedingungen umzugehen. „Dies deutet darauf hin, dass biologische Vielfalt nicht nur im Sinn der Artenvielfalt von Tieren und Pflanzen, sondern auch auf dem Niveau einzelner Individuen bedeutsam ist“, sagt Schreiber. In einem nächsten Schritt wollen Schreiber und seine Kollegen nun untersuchen, ob ein solches individuelles Verhalten von einzelnen Bakterienzellen auch in natürlichen Lebensräumen eine wichtige Rolle spielt. Originalpublikation: Phenotypic heterogeneity driven by nutrient limitation promotes growth in fluctuating environments Frank Schreiber et al.; Nature Microbiology, doi: 10.1038/nmicrobiol.2016.55; 2016