Was macht einen Menschen aus, der trotz ständiger Stressbelastung nicht untergeht? Resilienz gilt als Charaktermerkmal, das sich im Laufe des Lebens immer wieder verändern kann. Stressforscher lassen dabei ein immer klareres Bild dessen entstehen, was im Gehirn passiert.
Nur die Härtesten überleben. Wer Schicksalsschläge und Krisen ohne größere Schäden übersteht, der wird sich auf Dauer durchsetzen. Nicht nur in der Evolution, sondern wahrscheinlich auch in seiner eigenen Karriere und auch in seiner Resistenz gegen Depression und Burnout. Ist diese Härte, das „wegstecken können“ angeboren oder erworben – kann es erlernt werden? Die Hintergründe dessen, was Fachleute mit dem Begriff Resilienz umschreiben, liegen noch weitgehend im Dunkeln.
Noch vor einigen Jahren galt: Wer nach einem schweren Trauma ohne psychische Beeinträchtigungen wie etwa einer Depression oder posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) schnell wieder auf die Füße kam, der galt von Haus aus als resilient. Inzwischen hat sich der Blickwinkel etwas geändert. Heute gilt Resilienz nicht mehr sosehr als angeborene Tugend oder als Talent, Krisen leichter zu überstehen. Der erfolgreiche Umgang mit traumatischen Lebensereignissen lässt sich trainieren und gilt als dynamisches Geschehen, als Fähigkeit, die auch wieder verloren gehen kann. Studien an scheinbar psychisch widerstandsfähigen Menschen und an Versuchstieren lassen dabei ein immer deutlicheres Bild dessen entstehen, was im Gehirn – und auch in der Peripherie des Körpers passiert. Stress bedeutet nicht immer Gift für Körper und Seele. Ähnlich wie Sport regt akuter Stress das zentrale Nervensystem an, sich mit einer Bedrohung auseinanderzusetzen und sich dafür einen entsprechenden Weg zu suchen. Wird die Bedrohung jedoch zu einer stetigen Gefahr, verändert das „ständig auf dem Sprung sein“ die Regulationsmechanismen im Gehirn. Die konstante Anspannung sorgt dann nicht nur dort für psychische Probleme, sondern steigert das Risiko für Störungen bei Herz und Kreislauf. Chronischer Stress führt auf Dauer zu Depression und Burnout.
Inzwischen scheint klar, dass chronischer Stress die Kortisol- bzw. Glukokortikoid-Rezeptoren bei Versuchstieren im Hippocampus vermindert, ebenso wie die Produktion des Nervenwachstumsfaktors BDNF, der beim Merken und Erinnern eine besondere Rolle spielt. Die Ausschüttung von BDNF dagegen fördert die Verarbeitung von Stress ohne Depression. Zwischen dem Hippocampus und dem ventralen tegmentalen Areal (VTA) besteht ein enger Regulationskreislauf. Dort hat BDNF genau den umgekehrten Effekt und ist mit einer Depression assoziiert. Sowohl Hippocampus als auch Amygdala besitzen eine große Anzahl an hochaffinen Kortisol-Rezeptoren, die bei akutem Stress rasch reagieren. Eine vielfach geringere Affinität haben entsprechende Rezeptoren im Frontallappen, unserem Werkzeug für Planung und kontrollierte Reaktionen. Sie treten erst in Aktion, nachdem die erste große Stressreaktionswelle mittels Kortisol im Hippocampus und Amygdala bereits abgeklungen ist. Mit diesen zwei Rezeptortypen schafft sich das Gehirn eine Art Puffer. Bis zu einem bestimmten Level an Stress aktivieren die Reize den Erinnerungsspeicher, der das nächste Mal die erneute Reaktion erleichtert. Darüber hinaus – bei ständiger starker Anspannung – sind schließlich auch die low-affinity Rezeptoren besetzt und das Gedächtnis weiß mit dieser Reizflut nichts mehr anfangen.
Kurzzeitiger Stress veranlasst neuronale Stammzellen, zusätzliche Neuronen zu liefern, die innerhalb von zwei Wochen einsatzbereit sind – für den Fall, dass die Psycho-Attacke zurückkommt. Chronischer Stress reduziert nicht nur die Bildung von neuen Nervenzellen, sondern unterdrückt auch die Verknüpfung von Nervensträngen und beschneidet den Dendritenbaum von Neuronen. Bei einer konstant hohen Belastung ist das komplexe Stress-Kontrollsystem gestört. Mit einem schrumpfende Hippocampus und einer immer größer werdenden Amygdala schafft es die Kommandozentrale des Körpers nicht mehr, das Ausmaß der Bedrohung richtig einzuschätzen: Bei Patienten mit einer Phobie wird alles zur Bedrohung, bei Burnout und Depression fällt die Reaktion auf jegliche Gefahr aus.
Experten schätzen, dass das Risiko für eine Depression zu 40–60 Prozent erblich bedingt ist. Wie sieht es dann mit der Resilienz aus? Auf alle Fälle scheint es so, dass sich stressige Ereignisse im Leben auf die Expression bestimmter Gene niederschlagen – in Form von unterschiedlicher Methylierung bestimmter DNA-Abschnitte. Bei Mäusen, die von ihren Müttern fürsorglich gepflegt wurden, sind Rezeptoren für die Stressverarbeitung im Hippocampus weit weniger methyliert als bei ihren Artgenossen mit Rabenmüttern. Deren Reaktion auf den Stress ist damit weitaus träger. Diese Bobachtung gilt nicht nur für Vierbeiner. „Die Antwort auf Stress“, so Daniela Kaufer von der University of California in Berkeley, „ist eine der am meisten konservierten Strukturen der Evolution.“ Und ihr Kollege Kieran O’Donell aus Montreal bestätigt: „Wir sehen im Vergleich zu Mäusen die gleichen Veränderungen bei der DNA-Methylierung des Hormon-Rezeptors bei Leuten, die eine schwierige Kindheit hatten.“ Neuere Ergebnisse zeigen, dass entlang der ganzen Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HPA) Methylierungsvorgänge die Antwort auf Stress und darauf folgende Hormonausschüttungen mitsteuern. Traumata und kontinuierlicher Stress sind aber erstaunlicherweise nicht nur spezifisch für bestimmte Steuerungszentren im Gehirn, sondern lassen sich an den betreffenden Genen auch in der Peripherie an Lymphozyten entdecken. Möglicherweise reicht also in Zukunft ein Bluttest, um psychische Störungen aufzudecken?
Völlige Vermeidung von jeglichem Stress tut der Entwicklung und dem Sozialverhalten nicht gut. Das zeigen wiederum Versuche an Ratten [Paywall], die im einem Sack kurzzeitig immobilisiert wurden. Diese eher unangenehme Erfahrung schweißt das entsprechende Tier eher mit seinen Käfiggenossen zusammen. Sie halfen sich gegenseitig bei der Fellpflege und teilten einen begrenzten Wasservorrat. In ihrem Kreislauf stieg der Oxytocin-Spiegel signifikant an. Das aber änderte sich schlagartig, wenn zu diesem mäßigen Stress noch zusätzliche Belastungen für die Rattenpsyche kamen. Schnupperten die Nager außerdem noch den Geruch eines Fuchses, ihres natürlichen Feinds, übersprang der Stresslevel die kritische Grenze. Sowohl Sozialverhalten als auch Oxytocin-Spiegel deuteten vielmehr auf ein völlig verängstigtes Tier hin. Ähnliches lässt sich gut auch im humanen System nachvollziehen. Prosoziales Verhalten in der Gruppe stärkt die Resilienz gegenüber sporadischem Stress und deren Verarbeitung. Wird es zu viel, kommt es leicht zu einer posttraumatischen Belastungsstörung. Ein anderes Experiment bestätigt den Befund: Wer sich als Ratte einem Goliath-Tier gegenüber sieht, das speziell auf Größe und Aggressivität gezüchtet wurde, dem ist nach diesem traumatischen Erlebnis nicht mehr nach Gemeinschaft zumute, selbst wenn es sich dabei um lauter kleinere friedliche Mittiere handelt.
Was hat das alles mit Resilienz zu tun? Was macht resiliente Menschen aus? Möglicherweise, so glauben viele Stressforscher inzwischen, liegen die Antworten auf diese Fragen in den Genen. Menschen, die sich wie auch Versuchstiere eher an eine sich schnell ändernde Umwelt anpassen können, zeigen wahrscheinlich ein anderes epigenetisches Muster in den Stressverarbeitungszentren ihres Gehirns. Auch bei Nagern im Versuchslabor gibt es immer wieder Tiere, die sich nicht so sehr von aggressiven Mitbewohnern einschüchtern lassen, die den Geruch ihres ärgsten Feindes wegstecken und trotzdem noch für die Gemeinschaft da sind. Neurobiologe Eric Nestler von der Mount Sinai School of Medicine in New York hofft, diese an typischen Methylierungsmustern für Hormonrezeptoren zu erkennen. Möglicherweise führt die Spur dann auch weiter zu den Faktoren, die zu dieser Konstellation führen. Auf alle Fälle scheint es keine von Haus aus angeborene Eigenschaft zu sein, sondern ein Charaktermerkmal, das ich sich im Laufe des Lebens immer wieder mal verändern kann. Wer zu wenig davon besitzt, dem empfehlen die Leitlinien in Zukunft vielleicht statt des Antidepressivums dann einen Resilienz-Induktor.