Trächtige Fruchtfliegen bevorzugen polyaminreiche Nahrung. Verantwortlich dafür ist der Sex Peptid Rezeptor. Über ihn werden chemosensorische Nervenzellen so modifiziert, dass die Wahrnehmung wichtiger Nährstoffe verstärkt und das Verhalten angepasst wird.
Eine Schwangerschaft bedeutet eine enorme Herausforderung für den Organismus der Mutter. Um die heranwachsenden Nachkommen optimal zu versorgen und gleichzeitig die eigenen, gesteigerten Körperfunktionen aufrecht zu erhalten, muss sich die Ernährung auf die geänderten Anforderungen umstellen. „Wir wollten wissen, ob und wie eine werdende Mutter die benötigten Nährstoffe wahrnimmt“, erklärt Ilona Grunwald Kadow, Forschungsgruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Neurobiologie.
Polyamine sind Nährstoffe, die der Körper selbst und auch die Darmbakterien herstellen können. Ein Teil der benötigten Polyamine muss jedoch über die Nahrung aufgenommen werden. Mit fortschreitendem Alter wird die Aufnahme von Polyaminen mit der Nahrung immer wichtiger, da die körpereigene Produktion zurückgeht. Polyamine spielen in unzähligen Zellprozessen eine Rolle, sodass sich eine Polyamin-Unterversorgung negativ auf die Gesundheit, kognitiven Fähigkeiten, Reproduktion und Lebenserwartung auswirken kann. Doch auch zu viele Polyamine können schädlich sein. Die Polyaminaufnahme sollte daher an die aktuellen Bedürfnisse des Körpers angepasst sein. Die Neurobiologen konnten nun zeigen, dass Fruchtfliegenweibchen nach der Paarung Nahrung mit einem höheren Polyaminanteil bevorzugen. Eine Kombination aus Verhaltensstudien und physiologischen Untersuchungen ergab, dass die veränderte Anziehungskraft von Polyaminen auf Fliegen vor und nach der Paarung durch einen Neuropeptid-Rezeptor, den Sex Peptid Rezeptor (SPR) und seine Neuropeptid-Bindungspartner ausgelöst wird. „Es war bekannt, dass der SPR die Eiproduktion in verpaarten Fliegen ankurbelt“, erklärt Ashiq Hussain, einer der beiden Erstautoren der Studie. „Dass der SPR auch die Aktivität der Nervenzellen reguliert, die den Geschmack und Geruch von Polyaminen erkennen, hat uns überrascht.“ Der reproduktive Zustand des Fliegenweibchens schickt Signale an das Gehirn, worauf sich die Sinneswahrnehmung ändert. © MPI für Neurobiologie / Friedrich
In trächtigen Weibchen werden deutlich mehr SPR-Rezeptoren in die Oberflächen der chemosensorischen Nervenzellen eingebaut. Polyamine werden so bereits sehr früh in der Verarbeitungskette von Gerüchen und Geschmäckern verstärkt wahrgenommen. Die Bedeutung des Rezeptors zeigte sich, als die Forscher durch eine genetische Modifikation das SPR-Vorkommen in Geruchs- und Geschmacksneuronen nicht-trächtiger Weibchen steigerten: Diese Veränderung reichte aus, um die Nervenzellen von jungfräulichen Fliegen deutlich stärker auf Polyamine reagieren zu lassen. Letztendlich führte dies dazu, dass die Weibchen ihre Vorlieben änderten und wie ihre verpaarten Artgenossinnen die polyaminreiche Nahrungsquelle anflogen. Die Studie zeigt erstmals einen Mechanismus, über den Trächtigkeit die chemosensorischen Nervenzellen modifizieren und so die Wahrnehmung wichtiger Nährstoffe und das Verhalten darauf verändern können. „Da Geruch und Geschmack in Insekten und Säugetieren ähnlich verarbeitet werden, könnte ein entsprechender Mechanismus auch bei uns Menschen dafür sorgen, dass das heranwachsende Leben optimal versorgt ist“, vermutet Habibe Üc̗punar, die zweite Erstautorin der Studie. Originalpublikation: Neuropeptides modulate female chemosensory processing upon mating in Drosophila. Ashiq Hussain et al.; PLOS Biology, doi: 10.1371/journal.pbio.1002455; 2016