Kalt konsumiert, aber umso heißer diskutiert: Der britische Ärzte-Verband „Royal College of the Physicians“ hat mit einem neuen Report für Zündstoff in der Debatte um die E-Zigarette gesorgt. Die Experten fordern, den Elektro-Stängel in der Nikotinersatztherapie einzusetzen.
In Großbritannien gilt das Rauchen, wie in allen Industrieländern, als häufigste vermeidbare Todesursache. Der Leiter des „UK Center for Tobacco and Alcohol Studies“, Prof. John Britton, argumentiert in einem neuen Report [Paywall], mit der E-Zigarette stünde eine weitere Variante der Nikotinersatztherapie zur Verfügung, die „den schädlichen Einfluss des Tabakrauchens auf die Gesellschaft radikal reduzieren“ könne. Die Schädlichkeit des Rauchens rühre von Karzinogenen, Kohlenstoffmonoxid und den anderen tausenden Giften, die im Tabak enthalten seien, wohingegen Nikotin allein für die Sucht verantwortlich und selbst kaum bis gar nicht schädlich sei. Der Verband macht sich mit seinem Report dafür stark, die E-Zigarette als Strategie im Kampf gegen die tabakassoziierte Morbidität und Mortalität zu nutzen. Die Elektro-Lunte als Waffe gegen die todbringende Sucht – ein Hauch von Fortschritt oder am Ende doch nichts weiter als heiße Luft?
Ob in edlem Glasdesign, hochtechnisiert anmutend oder ganz profan im weiß-orangenen Zigaretten-Gewand, die Funktionsweise der E-Zigaretten ist immer gleich: In Kartuschen enthaltene Flüssigkeiten werden mittels batteriebetriebenem Mechanismus erhitzt und als Dampf eingeatmet. Die Zusammensetzung dieser „Liquids“ variiert stark; in den meisten Fällen sind neben Nikotin vor allem Wasser, Aromastoffe und die „Verneblungsmittel“ Propylenglykol und Glycerin enthalten. Es gibt auch E-Zigaretten, die kein Nikotin enthalten, genauso kann eine ganze Palette anderer Chemikalien zugesetzt sein. Ist die Kartusche geleert, kann der Nutzer sie entweder austauschen oder auffüllen. Seitdem die E-Zigarette ihren Triumphzug durch Atem- und Handelswege im Jahre 2006 angetreten hat, schwelt eine hitzige Diskussion zwischen Befürwortern und Gegnern des innovativen Rauchinstruments. Vehementer Fürsprecher der E-Zigarette ist Peter Hajek, Professor für klinische Psychologie an der Queen Mary University in London: „E-Zigaretten haben das Zeug, tabakbedingte Krankheiten und Todesfälle zu eliminieren. Wir hatten noch nie etwas, das auch nur annähernd so vielversprechend im Kampf gegen den Tabakkonsum gewesen wäre.“ Dr. med. Martina Pötschke-Langer, Angestellte des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), Leiterin des WHO-Kollaborationszentrums für Tabakkontrolle und Vertreterin des Contra-Lagers hält dagegen: „Bei der E-Zigarette werden ebenfalls krebserregende Stoffe freigesetzt, wenn auch in geringeren Mengen. Die Studienlage bezüglich der Langzeitfolgen ist noch sehr dünn.“ Außerdem seien E-Zigaretten besonders für junge Menschen attraktiv und bereiteten für diese den Weg in die Nikotinabhängigkeit.
Allein im Jahre 2013 starben in Deutschland 121.000 Menschen an den Folgen des Tabakrauchs, damit waren 13,5 % aller Todesfälle durch Rauchen bedingt. Der Lungenkrebs stellt bei den Männern seit den 1960er Jahren die häufigste Krebstodesursache da und wird bei den Frauen in den nächsten Jahren vermutlich den Brustkrebs als häufigste Krebstodesursache ablösen. Die Zahl der Raucher ist derweil seit Jahren rückläufig, vor allem bei Jugendlichen: Rauchten in den 1990er Jahren noch etwa 30 % der 12- bis 17-Jährigen, so sind es heute etwa 10 %. Die Folgen des herkömmlichen Rauchens für individuelles Wohlergehen und Gesundheitssystem sind altbekannt. Doch welche Rolle spielt hier die E-Zigarette? Das DKFZ hat in einer repräsentativen Umfrage mit 2.000 Bundesbürgern Bekanntheit und Konsum von E-Zigaretten in den Jahren 2012, 2013 und 2014 untersucht. Der Bekanntheitsgrad wuchs über alle Altersgruppen hinweg von 85 % auf 95 % an, am deutlichsten jedoch unter den jungen Leuten: War im Jahre 2012 die E-Zigarette nur 68 % ein Begriff, traf dies 2014 bereits auf alle 16- bis 19-Jährigen zu. Dabei probierten insbesondere Raucher E-Zigaretten aus: Etwa jeder fünfte Raucher hatte bereits mindestens einmal zur E-Zigarette gegriffen. Wiederum zeigten sich die 16- bis 19-Jährigen unter den Rauchern am experimentierfreudigsten: Etwa jeder Vierte hatte schon mal am Elektro-Stängel gezogen.
Wer die E-Zigarette einmal ausprobiert, wird noch lange nicht zum überzeugten Dauerkonsumenten. Langfristig verwendet die E-Zigarette nämlich in Deutschland fast niemand. Durchschnittlich nur 0,4 % gaben in der DKFZ-Umfrage an, regelmäßig tabakfrei zu dampfen – 0,6 % der Raucher und 0,2 % der Nichtraucher. Die Anzahl an Rauchern, die die E-Zigarette als Mittel zur Raucherentwöhnung nutzt, schwankt stark und liegt je nach Umfrage zwischen 0,2 % und 10 %. Klar scheint, dass immer mehr Raucher zu nikotinhaltigen Ersatzmitteln bei der Entwöhnung greifen: Hatten im Jahr 2000 noch lediglich 3,9 % einen Gebrauch angegeben, so waren dies im Jahr 2012 11,3 %. Allerdings zeigte sich hier auch, dass Menschen, die erfolgreich aufhörten zu rauchen, seltener Hilfsmittel benutzt hatten. Hierbei stellt sich natürlich auch die Frage, inwiefern der Gebrauch von E-Zigaretten einen tatsächlichen Nutzen für den angehenden Nicht-Raucher bedeutet. Nikotinersatz an sich hat sich als durchaus nützlich in der Abstinenztherapie erwiesen: In einigen Studien konnte die Rate an erfolgreichen Rauch-Stopps um 20–30 % erhöht werden. Die Datenlage zu E-Zigaretten ist dagegen begrenzt. Einigen Studien zufolge scheint sie ein probates Mittel zu sein, um den Zigarettenkonsum zumindest kurzzeitig zu reduzieren. Außerdem verringern sich möglicherweise Entzugssymptome unter Zuhilfenahme von E-Zigaretten. Der Nikotinersatz spielt dabei vielleicht gar keine so entscheidende Rolle, denn auch nikotinfreie E-Zigaretten scheinen beim Rauch-Stopp helfen zu können: In einer Studie gaben Probanden nach dem Rauchen von E-Zigaretten an, ein geringeres Verlangen nach Tabakkonsum und weniger Entzugserscheinungen zu verspüren und das selbst, wenn das E-Zigaretten-Liquid gar kein Nikotin enthielt. Das spräche dafür, dass auch die nikotinfreien, habituellen Stimuli wie das Führen der Hand zum Mund oder das Gefühl von Qualm in der Mundhöhle einen supportiven Effekt in der Raucherentwöhnung haben.
Neben dem Nikotin inhaliert der Elektro-Raucher Zug um Zug in der Regel eine ganze Palette weiterer Substanzen. Daher drängt sich natürlich die Frage auf, ob und wie gefährlich diese Substanzen sind. Zuverlässig beantworten lässt sich diese Frage aber leider nicht, denn Langzeitstudien sind derzeit Mangelware. Die Inhaltsstoffe Propylenglykol und Glycerin können aber mehreren Studien zufolge zu Irritationen in Mund- und Halsbereich sowie zu trockenem Husten und gereizten Augen führen. Durch Erhitzen können aus ihnen giftige Verbindungen wie Acetaldehyd und Formaldehyd entstehen. Mit welchen Risiken der Dauerkonsum behaftet ist, bleibt ungewiss. In manchen Liquids konnten zudem sogenannte tabakspezifische Nitrosamine (TSNA) festgestellt werden. Diese sind potenziell karzinogen, allerdings ist unklar, ob die festgestellten Mengen für einen solchen krebserregenden Effekt ausreichen. Ein weiterer Gefahrenherd ergibt sich aus den teils sehr hohen Konzentrationen an Nikotin in den Kartuschen. Gierige Mäuler können theoretisch bis zu 100 Züge hintereinander inhalieren. Das erhöht die Gefahr einer akuten Nikotinvergiftung – Übelkeit, Erbrechen und Schwindel können die Folge sein. Außerdem ist Nikotin für die Suchtentstehung verantwortlich und es steht darüber hinaus im Verdacht, karzinogenes Potenzial zu besitzen. Insgesamt muss man aktuell davon ausgehen, dass E-Zigaretten zwar weniger toxisch als ihre herkömmlichen, tabakhaltigen Vertreter, jedoch nicht frei von gesundheitsschädlichen Effekten sind.
Bisher werden E-Zigaretten in Deutschland in einer rechtlichen Grauzone vermarktet. Es ist unklar, ob sie juristisch als Tabakprodukt, Medizinprodukt, Lebensmittel oder Verbraucherprodukt einzuordnen sind. Das entzieht sie einer hinreichenden Regulation, was auch zur Folge hat, dass es praktisch keine Produktstandards gibt. Das DKFZ bemängelt vor diesem Hintergrund stark variierende Inhaltsstoffe und Nikotingehalte sowie häufige Deklarationsfehler. Dies bedeute für den Verbraucher erhebliche Sicherheitsmängel. Das DKFZ fordert daher, E-Zigaretten in die EU-Tabakprodukt-Richtlinie aufzunehmen. Diese wurde im Jahre 2014 von der EU verabschiedet, um den Tabakkonsum global einzudämmen. Bis 2016 soll sie von den Mitgliedsländern auf nationaler Ebene umgesetzt werden. Solange jedoch keine rechtliche Regulierung und somit keine Standards bestehen, erscheint es nahezu unmöglich, die E-Zigaretten einer ausreichenden Prüfung zu unterziehen. Damit bleiben auch hinreichende Expositionsabschätzungen und toxikologische Beurteilungen aus. Folge ist, dass Grundvoraussetzungen fehlen, um überhaupt den Einsatz von E-Zigaretten als adäquates Mittel zur Raucherentwöhnung in Betracht zu ziehen und empfehlen zu können. Bevor also eine klare Studienlage und eine rechtliche Einordnung vorliegen, kann man hinsichtlich der von der Insel verlautbar werdenden Forderungen nur eines bedenkenlos tun: Abwarten und Tee trinken.